Mies und fies: 20-Jähriger verprügelt Rolli-Fahrer

Jugendschöffengericht verhängt Jugendstrafe auf Bewährung und 200 Sozialstunden | Zudem: Internetbetrug

Einbeck. Spätestens das Schlusswort wäre die Gelegenheit gewesen, das Opfer um Entschuldigung zu bitten. Auf die Nachfrage des Gerichts, ob er noch etwas sagen wolle, kam nur ein kurzes »Nö« vom Angeklagten. In einem Prozess vor dem Jugendschöffengericht Einbeck wurde einem jetzt 20-Jährigen vorgeworfen, im März dieses Jahres einen inzwischen 21 Jahre alten Rollstuhlfahrer verprügelt zu haben – aus Eifersucht in einer Kurzschlussreaktion, wie der Angeklagte aussagte, in »fieser« Absicht, wie das Gericht feststellte. Ebenfalls angeklagt war dreifacher Internetbetrug. Er wurde zu einem Jahr und drei Monaten Jugendstrafe auf Bewährung und zu 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.

Die Körperverletzung ereignete sich am 22. März dieses Jahres in einem Dasseler Ortsteil, gegen 5 Uhr morgens. Das Opfer, das unter einer Behinderung leidet und weitgehend auf den Rollstuhl angewiesen ist, hat eine junge Frau im Ort besucht. Der junge Mann versprach sich etwas von diesem Date.

In der Wohnung fand er allerdings nicht nur die Frau, sondern auch den Angeklagten vor, der sich als Noch-Ehemann herausstellte. Als er die Wohnung verließ, ging der Angeklagte mit hinaus. Dort stoppte er den Rollstuhl, das Opfer musste aufstehen, es wurde mit der Faust geschlagen und geschubst, am Kragen gepackt, getreten.

Auf allen Vieren versuchte der 21-Jährige, sein Auto zu erreichen, immer wieder wurde er aber attackiert, bis ein hinzugerufener Nachbar dafür sorgte, dass der Angreifer von ihm abließ und er wegfahren konnte. Er erlitt einen Nasenbeinbruch, eine Kieferprellung, die Augen waren für Tage zugeschwollen, Würgemale, Schürfwunden und Prellmarken wurden festgestellt.

Darüberhinaus hat der Angeklagte dreimal eine PC-Grafikkarte über eine Internetplattform angeboten, verkauft und das Geld kassiert, die Ware aber nicht geliefert. 155 Euro sind dabei zusammengekommen.

Den Betrug gab der Angeklagte anstandslos zu: »War so, ja.« Als Erklärung sagte er, das Geld sei knapp gewesen. Die Körperverletzung räumte er ein. Er habe allerdings nicht gewürgt und keinen gefährlichen Gegenstand genutzt. Die Aktion bezeichnete er als Kurzschlusshandlung aus Eifersucht. Zudem habe er nicht gewusst, dass der 21-Jährige »so schlimm behindert« sei; davon habe er erst erfahren, als er »Post« von den Behörden bekommen habe.

Zur Frage, was er gemacht hätte, wenn ein Zeuge nicht eingeschritten wäre, sagte er: »Totgeschlagen hätte ich ihn jetzt nicht.« Kontakt zum Opfer habe er seither nicht gesucht, nachfragen, wie es ihm gehe, wollte er nicht: »Ich weiß nicht, wie er reagiert hätte.« Es werde seinem Mandanten nicht leicht fallen, sich hier zu äußern, kündigte der Rechtsbeistand des 21-Jährigen an, der als Nebenkläger auftrat. Auf Nachfrage bestätigte der Angeklagte, er habe das Opfer genötigt, aus dem Rollstuhl aufzustehen: »Ich schlage nur Leute, die stehen.«

Geholfen hat dem Zusammengeschlagenen ein 32-Jähriger, der neue Freund der 19-jährigen Noch-Ehefrau. Er wohnt in der Nachbarschaft. Die Frau sei in jener Nacht aufgeregt zu ihm gekommen, aufmerksam geworden auf die Schlägerei. Er habe sich angezogen, und vor Ort sei er dazwischengegangen, habe die beiden getrennt.

Der 21-Jährige, Auszubildender aus Göttingen, schilderte seine Verletzungen. Beim Gespräch in der Wohnung habe sich eine »Stimmung aufgebauscht«, berichtete er. Er sei lieber gegangen. Vor dem Haus sei es dann zur Auseinandersetzung gekommen, die er zunächst gar nicht so ernst genommen habe: Er werde doch wohl keinen Rollstuhlfahrer schlagen, habe er den Angeklagten gefragt. Mit dem ersten Angriff sei er nach hinten in den Rollstuhl gefallen und damit umgekippt. Er wurde am Kragen gepackt, in den Vorgarten geworfen, geschlagen, getreten. Den Autoschlüssel hatte er fest in der Hand. Als er endlich einsteigen konnte, sei er schnell losgefahren. Per Lichthupe habe er unterwegs einen anderen Autofahrer angehalten, der Polizei und Rettungswagen alarmierte. 24 Stunden musste er im Krankenhaus bleiben.

In ihrem Plädoyer stellte die Staatsanwaltschaft fest, dass der Angeklagte das Opfer aus nichtigem Anlass übelst zusammengeschlagen habe. Besonders fies sei das, weil der 21-Jährige nicht allein zurechtkomme. Mindestens 15 Minuten, vielleicht länger, habe er hemmungslos zugeschlagen. Und man sei nicht sicher, was passiert wäre, wenn der Nachbar nicht dazwischengegangen wäre.

Das Geständnis habe es nur aufgrund der Beweislage gegeben, ein Erkennen der Unrechtslage oder eine Entschuldigung sehe man nicht: »Es tut Ihnen nicht leid.« »Unfassbar schnell« zudem der Rückfall: nur zehn Tage nach einer Verurteilung. Besonders rücksichts- und hemmungslos sei die Tat, weil der 21-Jährige sich nicht wehren könne. Er habe das körperlich eingeschränkte Opfer erniedrigt. Strafverschärfend komme der Betrug über das Internet hinzu. Da stelle sich die Frage, wie oft er die Grafikkarte verkauft habe. Ein Jahr und drei Monate Jugendstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, zudem 200 Stunden gemeinnützige Arbeit, das sei angemessen. Nebenklage-Vertreter Jürgen Reitemeier machte geltend, dass diese Kosten ebenfalls dem Angeklagten auferlegt werden sollten. Es handele sich um eine gemeine, widerwärtige Tat, keine spontane Eifersucht.

Der Sachverhalt habe sich überwiegend bestätigt, räumte Verteidigerin Martina Hainski ein. Nicht bestätigt habe sich der Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs. Ihr Mandant habe nicht gewürgt, so dass keine lebensbedrohliche Körperverletzung vorliege. Sie sehe hier eine Kurzschlussreaktion, resultierend aus Eifersucht. Ihr Mandant sei zudem in Sachen Körperverletzung nicht vorbelastet. Er habe noch keinen Plan vom Leben und müsse noch einiges lernen. Ein Jahr Haft nach Jugendstrafrecht sei angemessen, verhängt auf Bewährung.

Vorbelastet ist der Angeklagte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen sowie Sachbeschädigung und Betrug. Einen Schulabschluss hat er nicht, gearbeitet bisher nur sporadisch, in der Summe vielleicht ein Jahr. »Was machen Sie so den ganzen Tag?«, auf diese Frage der Staatsanwaltschaft antwortete er: »Kommt drauf an.«

Urteil: Ein Jahr und drei Monate auf Bewährung

Ein Jahr und drei Monate auf Bewährung, lautete das Urteil des Schöffengerichts wegen Körperverletzung, Nötigung und Betrug.  Zudem trägt der Angeklagte die Kosten des Verfahrens. Der 21-Jährige habe sich Hoffnungen auf die Frau gemacht, sei zweimal zu ihr gefahren, habe aber nicht mitgekriegt, dass sie verheiratet sei.

Hätte die Tat im Affekt stattgefunden, wäre in der Wohnung etwas passiert. Fies sei es, dass der Zeuge dem Opfer lieber gefolgt sei, richtig mies sei das, weil er gewusst habe, dass der Gegner ihm deutlich unterlegen sei. Zynisch sei die Aufforderung, aufzustehen. Nahezu eine halbe Stunde, so die Berechnungen des Gerichts, habe er geschlagen, und es wäre mehr passiert, wenn der Zeuge nicht eingegriffen hätte.

Das alles rechtfertige die Annahme von erheblichen charakterlichen Defiziten. In diesem Zusammenhang wäre es gut gewesen, die Jugendgerichtshilfe mit im Saal zu haben. Durch seine Tat habe er auch die Familie des Opfers beeinträchtigt. Dass die vom Gesetz vorgesehene Bewährungsstrafe eine ausreichende Warnung sei, davon sei er nicht überzeugt, stellte Amtsgerichtsdirektor Döhrel fest. »Das rauscht an Ihnen vorbei.« 200 Stunden gemeinnützige Arbeit halte das Gericht für sinnvoll, und zudem wurden fünf Beratungen im Proaktiv-Center »verordnet«, um dem 20-Jährigen deutlich zu machen, dass Arbeit »nicht die allerblödeste Idee« sei.ek