Niello-Kelch von Iber: ein romanisches Meisterwerk

Fast 800 Jahre ununterbrochen in Gebrauch | Einziger Kelch seiner Art in Deutschland | Goldschmiedetechnik

Die »Cuppa« des Niello-Kelchs von Iber zeigt biblische Darstellungen und Spruchbänder. Hier: »Ecce Virgo co(n)cipiet & parete (pariet)«: »eine Jungfrau wird empfangen und gebären«.

Iber. Seit mehr als 800 Jahren ist die Kirchengemeinde in Iber im Besitz eines Abendmahlkelches, von dem in Deutschland kein vergleichbares Exemplar mehr vorhanden ist. Der einzigartige Farbton des silbernen Kelches entstand durch die Niello-Technik, die auch den Namen erklärt.

Erst 1955 erkannte man den kunsthistorischen Wert des Kelches, so dass er für ein größeres Publikum als Leihgabe im Kestner-Museum in Hannover ausgestellt wird. Iber ist eines der ältesten Dörfer in der Region und war vielleicht schon in der sächsischen Zeit besiedelt. 812 ließ Grimhold von Iber die Kirche St. Johannes bauen. Nach einem Brand wurde die Kirche im späten zwölften Jahrhundert neu errichtet.

Zu dieser Zeit entstand auch der berühmte Niello-Kelch von Iber: ein einzigartiges Meisterwerk der romanischen Kunst. Im Jahr 1180 gab es in Iber einen Großbrand. Dabei wurde die frühmittelalterliche Kirche St. Johannes zerstört. Schon drei Jahre später hatte Iber ein neues Gotteshaus. Die damaligen Herren von Iber hatten Kontakte nach Hildesheim. Möglicherweise wurden hier kostbare Kirchengeräte in Auftrag gegeben.

Zu den Kirchengeräten gehörte auch ein vergoldeter silberner Kelch, der heute als Niello-Kelch von Iber bekannt ist. Die Zeit seiner Entstehung war eine Zeit des Übergangs. In den Benediktiner- und Zisterzienser-Klöstern begann sich das Glaubensbild von Jesus Christus zu wandeln.

Die Menschen empfingen jetzt im Gottesdienst das Altar-Sakrament: den Leib und das Blut Christi in Form von Abendmahlswein aus dem Kelch und der Hostie auf der Patene. Gleichzeitig änderte sich auch der Baustil. Als der unbekannte Hildesheimer Goldschmiedemeister am Niello-Kelch arbeitete, war der erste gotische Kirchenbau schon vollendet und der Bau der Kathedrale von Notre-Dame in Paris in vollem Gange.

Als die neue Kirche in Iber geweiht wurde, gehörten dazu noch mehr Kirchengeräte. Erhalten sind leider nur noch die Patene, der Teller für die Hostien, und der Niello-Kelch. Das sogenannte »Niellieren« ist eine Technik zum Verzieren von Metallen. Dabei wird eine schwarze Masse aus Silber, Kupfer, Blei und Schwefel zusammengeschmolzen und pulverisiert. Diese Masse presst man danach in die Vertiefungen der Metalloberfläche und poliert sie ausgiebig.

Nach dem Polieren erstrahlt der Kelch in einem Glanz aus Silber, Gold und dem schwarzen Niello. Das macht die Faszination dieses romanischen Kunstwerks aus, denn je nach Lichteinfall schimmern die verschiedenen Farbtöne in unterschiedlicher Intensität. Der halbkugelige silberne Kelch, dessen Innenschale vergoldet wurde, ist außen über und über mit Verzierungen und Spruchbändern bedeckt. Die Figuren reichen teilweise über den Rand hinaus.

Die Arbeiten sind von außerordentlich guter Qualität, und die Niello-Technik vermittelt dem Betrachter eine Kontrastwirkung zwischen den feinen schwarzen Linien und den mit silbernen und goldenen Hintergründen versehenen Darstellungen. Selbst in den winzigsten Vertiefungen zwischen den feinen Blattranken wurde die schwarze Niello-Masse hinein poliert. Es ist erstaunlich, mit welcher Genauigkeit der Goldschmiedemeister vor über 800 Jahren gearbeitet hat.

Auf der Cuppa (lateinisch: Wölbung, Trinkschale des Kelches) finden sich vier kreisförmige Medaillons, die nacheinander die Verkündigung, Christi Geburt, die Abnahme von Kreuz und die Auferstehung Christi darstellen. Zu jeder der vier Darstellungen findet sich eine Inschrift. »Ecce Virgo co(n)cipiet et pareet,«»puer natu(s) e(st)n(obis) fili(us) dat(us)«»ero mors tua o mors« und »Xps(Christus) resurgens a mortuis. Iesus Rex«.

Das bedeutet: »Siehe, eine Jungfrau wird empfangen und gebären. Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Ich werde dein Tod sein, oh Tod. Christus steht von den Toten auf. Jesus, König«. Der Kelch überdauerte die Jahrhunderte leider nicht ohne Schäden. Nachdem man ihn im Jahr 1609 erstmalig reparieren ließ, wurde er im Dreißigjährigen Krieg stark beschädigt. Der Kelchfuß musste komplett erneuert werden.

Eine Inschrift auf dem Kelch erinnert daran: »Dieser Kelch gehört der christligen Gemeine zu Iber und ist der Füs und Knope zugemacht. Anno 1670. Joachim Klages Kirchvater«. Vom Hochmittelalter bis in die 1950er Jahre war der Abendmahlskelch in Iber ununterbrochen in Gebrauch. Aus jüngerer Zeit ist eine Anekdote überliefert, nach der die Küsterin den Kelch nur ungern sauber machte und darüber klagte, dass sie »dieses schwarze Zeug« so schlecht abbekam.

Der Kelch war seit vielen hundert Jahren Bestandteil der Kirche, so dass sein wahrer Wert im Lauf der Zeit vergessen wurde. Erst durch Pastor Martin Brandin, der 1955 die Kirche St. Johannes in Iber zu restaurieren begann, erkannte man die hohe kunsthistorische Bedeutung des Niello-Kelches.

Der Kunsthistoriker Johannes Sommer führte eine genaue Analyse des kostbaren Kirchengeräts durch und veröffentlichte 1957 seine Forschungsergebnisse. Der Kelch wurde wahrscheinlich von einer Hildesheimer Werkstatt um das Jahr 1180 hergestellt, neuere Veröffentlichungen tendieren auf die Zeit um 1200. Heute sind nur noch drei Kelche aus dieser Zeit bekannt. Ein Kelch befindet sich in Polen, ein anderer in Wien, der dritte ist im Besitz der Kirchengemeinde von Iber.wk