»Passt auf eure Menschlichkeit auf«

Einbeck. Warm ist es an diesem Tag. Die Sonne lacht über der Stadtbibliothek, die Blätter rauschen vor dem Lesesaal, Vögel singen, das beruhigende Läuten der Glocken ist gerade verklungen. Das Thema, dem sich an diesem Morgen die siebten Klassen der IGS Einbeck stellen, ist alles andere als friedlich.

Es geht um »Susi, die Enkelin von Haus Nr. 4«. Die jüdischen Eltern des Mädchens entschieden sich während der Verfolgung durch die Nationalsozialisten, in den Untergrund zu gehen, um einer Deportation zu entgehen. Unter höchstem Risiko für die Familie und ihre Helfer überlebten sie den Krieg mitten in Berlin. Die Berliner Lehrerin Birgitta Behr schrieb die Geschichte von Susi auf. Begleitet wird diese eindrucksvolle Handlung durch Zeichnungen von Sandra Wandeborn, die daraus eine Graphic Novel machen.

Birgitta Behr ist auf Einladung der Stadtbibliothek gekommen, um sich mit jüngeren Schülern an das Thema Judenverfolgung im Nationalsozialismus heranzuwagen. Die Jahrgangsleitungen des sechsten und siebten Jahrgangs nahmen das Angebot gern an, gibt es doch bei Schülern in diesem Alter schon viele Fragen dazu. »Das Thema fasziniert und erschreckt unsere Schüler gleichermaßen. Wir bemerken das besonders im Deutschunterricht, wenn wir Texte aus dieser Zeit lesen und die Schüler versuchen, Erklärungen für die Schreckenstaten zu finden«, bemerkt Mareike Baak, Jahrgangsleitung des Jahrgangs 7.

Es gehe nun darum, diesem Interesse altersgerecht zu begegnen. Und hier zeigt es sich, dass Behr nicht nur Autorin, sondern erfahrene Lehrerin ist. Mit Liebenswürdigkeit schafft sie es, einerseits den Schülern die Zeit von Susi näher zu bringen und sich andererseits immer wieder an die schwierige Frage »Wie konnte das alles passieren, dass Menschen anderen Menschen so etwas antun?« zu trauen. Die Schüler trifft diese Frage emotional: »Aber wieso machten die das? Jeder Mensch hat doch ein Herz und das gleiche Blut«, überlegt ein Schüler der 7d. Immer wieder schafft es Birgitta Behr, die Relevanz des Themas für die heutige Zeit herzustellen. »Ihr seid verantwortlich dafür, ob die Welt ein schöner oder ein böser Ort ist.«

Mit Sätzen wie diesem versucht sie, den Schülern ihre eigene Menschlichkeit gegenüber jedem Menschen jeden Tag begreiflich zu machen. Das Gute kann schon ein offenes Lächeln sein, das sagt: »Ich tue dir nichts.« Gemeinsam erarbeitet sie aber mit den Schülern, dass das mit der schönen Welt auch in der Schule nicht immer einfach ist. Und hier gibt sie den Schülern einen wichtigen Satz mit: »Passt auf eure Menschlichkeit auf!« Zu oft würde man durch andere verleitet, das Menschliche zu vergessen. Eben diese Menschlichkeit, die Hilfsbereitschaft war es, die Susi und ihre Eltern in einer furchtbaren Zeit das Leben gerettet hat. Doch rettet man mit Menschlichkeit nicht nur das Leben eines Hilfesuchenden, eigentlich rettet man auch sich selbst und die Welt.oh