Pauschale Verurteilungen sind falsch

CDU-Diskussion mit Landwirten und dem Bundestagsabgeordneten Dr. Roy Kühne | »80 Millionen Experten«

Ein Dankeschön an die Gastgeber Andrea und Holger Schlüter (Mitte und Zweiter von links) sagte die CDU-Vorsitzende Beatrix Tappe-Rostalski (links); ein Dank fürs Mitdiskutieren ging an Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek (rechts) und den CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Roy Kühne (Zweiter von rechts).

Kohnsen. Gesunde Lebensmittel produzieren, Natur- und Tierschutz beachten, nachhaltig wirtschaften, internationaler Konkurrenz standhalten und alles zu für die Verbraucher günstigen Preisen: Die Anforderungen, die an die Landwirtschaft gestellt werden, sind hoch – zu hoch, scheint es, denn von vielen Seiten wird gezerrt und gezogen. 80 Millionen Landwirte gebe es in Deutschland, hieß es in der Diskussion, zu der die Einbecker CDU mit Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek und dem CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Roy Kühne nach Kohnsen eingeladen hatte, zu einem Experten: auf den Hof von Landwirt Holger Schlüter. Er diskutierte mit den Besuchern mit den Berufskollegen Jens Brandes und Hendrik Wolper.

»Landwirtschaft als Spielball der Interessen«, dazu hieß die CDU-Vorsitzende Beatrix Tappe-Rostalski die Teilnehmer willkommen. Der Landwirtschaft stehe das Wasser bis zum Hals; es gebe Gesprächsbedarf.

Es sei viel Druck auf dem Kessel, das bestätigte Holger Schlüter. Ein landwirtschaftlicher Betrieb sei ein Unternehmen, kein Selbstzweck. Er müsse Geld verdienen. In Deutschland gebe es rund 260.000 Betriebe mit mehr als fünf Hektar. Sie zeichneten sich durch große Vielfalt hinsichtlich Größe, Ausrichtung, natürlichen Gegebenheiten und Arbeitskräftezahl aus. Häufig handele es sich um mittelgroße Familienbetriebe. Landwirtschaft sei dabei immer ortsgebunden. Wachstum sei nur über Fläche möglich, wobei Boden nicht zu vermehren sei. Die Arbeitsplätze seien aufgrund teurer Geräte kostenintensiv und hochtechnisiert. Dabei sei man stark schwankenden Belastungen ausgesetzt, etwa dem Wetter. Gedacht werde in langfristigen Investitions- und Produktionszyklen. Produktionsmengen seien schwierig kalkulierbar, es gebe Preisschwankungen und neben allem stehe die Konkurrenz des Weltmarkts.

Das Leben schwer machten den Bauern die sogenannten Non Government Organisations, die Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) wie BUND, NABU, Greenpeace oder Peta. Sie hätten sich stark auf Landwirtschaft spezialisiert und würden Themen hochemotional angehen. Die Landwirtschaft sei ein schwacher Gegner, ohne Geld, mit geringem Organisationsgrad. Die NGOs seien oft finanziell und personell stark aufgestellt: Meinungskonzerne. Unprofessionelle Produktion liefere ihnen die Skandale.

Auf die Landwirtschaft wirkten viele weiche Faktoren ein, die selten objektiv messbar seien. Wann sei Natur Natur? Ökosysteme seien komplex und hochdynamisch, genau wie Wirkzusammenhänge. Skandale ließen sich über Vereinfachung produzieren. NGOs müssten ihr »Geschäftsmodell« am Laufen halten, würden dabei als die »Guten« wahrgenommen. Mit emotionalen Themen lasse sich zudem Auflage machen, so dass es Unterstützung über die Medien gebe, die wiederum das Besondere in den Fokus nehmen würden. Fast jeder habe eine Meinung dazu, komplexe Zusammenhänge würden vereinfacht.

Verseuchung von Wasser und Boden, Artensterben, Massentierhaltung, Agrarindustrie, ungesunde Nahrungsmittel – das werde der Landwirtschaft angelastet.
Die Verbraucher, so die Landwirte, seien satt und anspruchsvoll. Sie hätten den Wunsch nach Überschaubarkeit, heiler Welt, Nostalgie, schöner Landschaft und intakter Natur. Aber an der Supermarktkasse zeige sich eine Doppelmoral: 90 Prozent seien bereit, mehr Geld für gute Lebensmittel auszugeben, aber nur fünf Prozent würden »Bio« kaufen – somit nicht einmal alle Grünen-Wähler, stellte Schlüter fest. Regional und Bio hätten hohe Wertschätzung, dennoch hätten sich Markenprogramme nicht durchsetzen können. So viele Siegel auf der Packung, davon sei der Verbraucher überfordert, und viele interessiere das gar nicht.
Die Wirtschaft profitiere von landwirtschaftlicher Tätigkeit, Landwirtschaft trete auch als Verbraucher auf. Es fließe, etwa über Direktzahlungen und Flächenprämien, viel Geld in den ländlichen Raum. Es gebe aber auch große Flächenverluste, rund 60 Hektor pro Tag würden zugebaut, was für die Produktion fehle.

Nahrungssicherheit in Bezug auf Qualität und Quantität sowie günstige Preise seien ein Anliegen der Politik. In Deutschland würden durchschnittlich zwölf Prozent des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben. Der Druck, Wählerwünsche zu erfüllen, sei groß. Nahrungssicherheit stehe neben dem Verlangen nach Natur- und Umweltschutz, und eine Kosten-Neid-Diskussion gebe es ebenfalls.

Die Landwirtschaft, führte Schlüter aus, leide unter der Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und der des Landwirts. Der habe sich mit ständig neuen Vorschriften zu befassen, kompliziert, praxisfremd, kurzlebig, widersprüchlich. Die Produktion werde so immer aufwendiger, teurer und unsicherer, der wirtschaftliche sowie Kontroll- und Rechtfertigungsdruck würden steigen. Die Anforderungen seien im typischen Familienbetrieb kaum umsetzbar. Es fehle, kritisierte er, das Vertrauen in eine langfristige Perspektive. Den Kindern raten, den eigenen Betrieb zu übernehmen? Eher nicht, es sei kaum ein Silberstreif am Horizont. Ob es damit mal besser werde angesichts des Zerrbildes aus öffentlicher Wahrnehmung und realem Geschehen, bezweifelte er. Wenn Berufskollegen sagten, sie würden mit Energie- statt mit Nahrungsmittelproduktion besser dastehen, sei etwa nicht in Ordnung.

»Wie kann ein Stück Fleisch so wenig kosten?« Es sei verlogen, für hunderte Euro einen Grill zu kaufen, und nur ein paar Cent für Fleisch und Würstchen auszugeben. In der Diskussion ging es um dieses Thema, etwa im Zusammenhang mit der öffentlichen Debatte um Landwirte. Die Demonstration in Berlin, an der so viele Landwirte teilgenommen hätten, auch aus der Region, habe wachgerüttelt. »Nicht ohne uns, nicht über uns«, das sei ein guter Slogan für das Gespräch miteinander, stellte der CDU-Abgeordnete Dr. Roy Kühne fest.

Vieles, was im Zusammenhang mit den Schlachthöfen und Corona-Ausbrüchen besprochen wurde, sei reine Effekthascherei, etwa regionale Schlachthöfe: Das habe man alles schon gehabt – und es sei nicht EU-tauglich gewesen. In Deutschland gebe es 80 Millionen Bauern, die alles über Landwirtschaft wüssten. Diese Diskussion sei gar nicht zu versachlichen. Landwirte lebten in und mit der Natur. Sie machten nicht immer alles richtig, aber pauschale Verurteilungen seien falsch.

Was können die Landwirte tun? Gegen den professionellen Auftritt der NGOs sei kaum anzukommen. Sie würden einfache Sätze zu Kampagnen machen, während die Landwirtschaft sich erklären müsse. Von einem Wettkampf der Marketing-Strategien riet Dr. Kühne ab. Vieles laufe tatsächlich »gaga« ab, es gebe diffamierende Diskussionen. Sich wirksam in Berlin oder Hannover zu präsentieren, wie mit »Land schafft Verbindung, sei eine gute Aktion. Es seien gerade die jungen Bauern, die zeigten, dass sie sich Sorgen machten über ihre Zukunft. Dabei wurde deutlich, dass nicht mehr zwischen großen und kleinen Betrieben gekämpft werde, sondern dass alle im gleichen – sinkenden – Boot säßen.

Man müsse den Verbrauchern – und Wählern – deutlich machen, dass die Landwirtschaft in der CDU am richtigen Platz sei. Wenn man das vor Ort gut vermittele, könne der Abgeordnete das mit nach Berlin nehmen. Eine weitere Chance sei, dass sich die Betriebe stärker öffneten. Die Erntekorb-und-Kopftuch-Idylle, die noch immer in Büchern zu finden sei, entspreche längst nicht mehr der Realität. Die Distanz zwischen Betrieb und Verbrauchern sei zu groß.

Mehr Vertrauen in den Landwirt, »denn der hat das mal gelernt«, wünschte sich Holger Schlüter. Hier sei leider viel verloren gegangen. Vor ein paar Wochen sei der Berufsstand systemrelevant gewesen, jetzt sei alles wieder beim Alten. Zur Situation in den Schlachthöfen wäre es richtig, wenn der Verbraucher davon etwas merken würde. Die Landwirtschaft liefere dort nur ab, sie könne die Preise akzeptieren – oder eben nicht. Ein Wertebewusstsein der Menschen müsse man auf regionaler Ebene stärken, der Verbraucher entscheide, was er kaufe. Dr. Roy Kühne sagte zu, die hervorragende Präsentation mit nach Berlin zu nehmen und Kontakte zu knüpfen.ek