»Reicht vorn und hinten nicht zur Verurteilung«

Betrug, gefährliche Körperverletzung: Amtsgericht spricht jungen Angeklagten frei | Aussagen »passend« gemacht

Einbeck. Der Angeklagte hatte das letzte Wort – und er war positiv überrascht, dass »auch mal« die Wahrheit zum Tragen kam. Mit einem Freispruch endete ein Verfahren vor dem Amtsgericht Einbeck, in dem unter anderem Betrug und gefährliche Körperverletzung im Raum standen.

Die Staatsanwaltschaft hat einem 23-Jährigen vorgeworfen, im April 2017 von einer ehemaligen Freundin 1.100 Euro »geliehen« zu haben, wobei er in Kauf genommen habe, das Geld nicht zurückzahlen zu können. Kurz darauf soll er ihr Pfefferspray durch den Briefschlitz in die Wohnung gesprüht haben, worauf die Frau, ihre Kinder und ihr Lebensgefährte mit Gesundheitsproblemen ins Krankenhaus gebracht wurden. Im Anschluss soll der Angeklagte, das Gesicht mit einer Sturmhaube verhüllt, in der Marktstraße ein Paar mit einer Schreckschusswaffe und mit einem Messer bedroht haben.

Nur dass er sich das Geld geliehen und es bis jetzt nicht komplett zurückgezahlt habe, das wolle sein Mandant zugeben, sagte Verteidiger Marco Jutsch. Um die weiteren Vorgänge zu klären, dazu hörte das Schöffengericht eine Reihe von Zeugen.

Sie habe, räumte die Ex-Freundin ein, gewusst, dass der junge Mann von Hartz IV lebe und das Geld vermutlich nur schwer zurückzahlen könne. »Wenn man verliebt ist, macht man manchmal solche Dinge.«

In der Nacht zum Himmelfahrtstag 2017 wird von Verliebtheit möglicherweise nicht mehr viel zu spüren gewesen sein, denn sie endete für die 23-Jährige, ihren Lebensgefährten und die drei und vier Jahre alten Kinder mit Husten, Tränen und Würgereiz im Krankenhaus, nachdem jemand Pfefferspray in ihre Wohnung in der Innenstadt gesprüht hatte. Eine von ihr vor der Wohnungstür gefundene Sonnenbrille deutete auf den Ex als Täter hin, sagte die Zeugin.

Eine unruhige Nacht war das auch für die  Polizei: Nachdem dieser Einsatz abgearbeitet war, ging es in die Marktstraße, wo ein vermummter Unbekannter ein junges Paar mit einer Waffe bedroht haben sollte. Es war auch von Schüssen die Rede. Ein Polizeibeamter sagte aus, dass mit Verstärkung von Kollegen aus Northeim und Bad Gandersheim der 23-Jährige in der Fußgängerzone angetroffen wurde. Er habe diverse Gegenstände bei sich gehabt, die »nicht für den täglichen Bedarf« seien, etwa ein Tier-Abwehrspray, eine Sturmhaube und ein Messer. Aus einem Blumenkübel wurde Munition gefischt, die der Täter dort verschwinden lassen wollte.

Er sei alkoholisiert gewesen, die Blutprobe ergab 1,42 Promille. Von einer Sonnenbrille, so der Beamte, sei zwar die Rede gewesen, tatsächlich tauchte das wichtige Beweismittel aber im Gegensatz zu Messer oder Sturmhaube nicht mehr auf. Die Untersuchung auf Fingerabdrücke an der Munition oder auf Schmauchspuren beim Angeklagten sei unterblieben.

Von einem Geständnis des Angeklagten ihm gegenüber berichtete der Lebensgefährte der Ex-Freundin. Zur Polizei sei er deshalb aber nicht gegangen, er dachte, es reiche, wenn er das in der Verhandlung sage.

Mehr Verwirrung als Klarheit brachten schließlich die Aussagen des 25-jährigen Einbeckers, der in der Nacht in der Marktstraße bedroht wurde, sowie seines 22-jährigen Bruders und dessen 27 Jahre alter Freundin, die zufällig aufs Geschehen trafen. Die Angaben deckten sich zum Teil nicht mit denen, die bei der Polizei zu Protokoll gegeben worden waren. Es war von Schreien, einem Schuss und dem Messer die Rede, von Forderungen nach Handy und Geld, die bei früheren Aussagen nicht auftauchten. »Die Geschehensabläufe ändern sich«, stellte die Staatsanwaltschaft angesichts der Schilderungen der Zeugen fest.

Der Staatsanwalt plädierte schließlich auf Freispruch. Von einem Betrug könne nicht die Rede sein, denn über seine mangelnde Fähigkeit, das Geld zurückzuzahlen, habe der Angeklagte die Ex-Freundin nicht getäuscht, sondern sie kannte die Situation. Zum Ablauf in der Nacht zu Himmelfahrt gebe es Zweifel, wie er sich tatsächlich abgespielt haben könnte. »Es bleibt die Möglichkeit, dass es ein anderer war.« Die Tat könne nicht mit der zur Verurteilung notwendigen Sicherheit nachgewiesen werden. Auch die widersprüchlichen Aussagen zum Geschehen in der Marktstraße hätten die Tat nicht nachweisen können, und wenn es Zweifel gebe, müsse man ihn freisprechen.

»Ziemlich abenteuerliche Geschichten« habe man gehört, stellte der Verteidiger fest. Man wolle seinem Mandanten »einen einschenken«, so sein Eindruck. Die Täterschaft für den Pfefferspray-Angriff werde allein an der Sonnenbrille festgemacht, da zeigten die Zeugen erhebliche Belastungstendenzen. Die Polizei hätte andere Beweise zum weiteren Geschehen sicherstellten können, meinte er. Es sei aber auch deutlich geworden, dass die Zeugenaussagen nicht zusammen passten. Es wurden Sachverhalte präsentiert, um den Angeklagten zum Sündenbock zu machen.

Einen Freispruch verkündete Amtsgerichtsdirektor Thomas Döhrel. Beim Betrug sei das ganz einfach: Es wurde nicht getäuscht, also gebe es keinen Betrug.

Bei der Pfefferspray-Attacke habe der Angeklagte ein »verdammt starkes Motiv«, es spreche viel für ihn als Täter, aber Glaube und Gefühl reichten in diesem Rechtssystem nicht, sondern man brauche Beweise. Auch beim Angriff mit Waffe oder Messer spreche vieles für ihn als Täter. Andererseits hätten die Zeugen ihre Wahrnehmungen passend gemacht.

Sie hätten nicht bewusst die Unwahrheit gesagt, aber ihre Aussagen würden nicht ansatzweise zusammenpassen: Wann wurde die Waffe gezogen, wann das Messer, wann Handy und Geld verlangt? Bei guter Polizeiarbeit hätte man besser ermitteln können, fuhr er fort. Aber das sei nicht den Beamten anzulasten, sondern der Situation, der katastrophalen personellen Ausstattung der Polizei in Niedersachsen. Dass der Angeklagte »unter Umständen« und »möglicherweise« die ihm zur Last gelegten Taten begangen habe, reiche »vorn und hinten nicht aus« für eine Verurteilung.ek