Sprache und Bewegung sind ein gutes Gespann

Professor Dr. Renate Zimmer spricht über Sprechfreude und Bewegung | Expertin für frühkindliche Bildung

Professor Dr. Renate Zimmer hat vor einem großen und interessierten Publikum im BBS-Forum einen Vortrag über den Zusammenhang von Sprache, Sprechfreude und Bewegung gehalten.

Einbeck. Bewegung und Sprache gehören zusammen. Ein Ball kann dazu beitragten, mit Kindern ins Gespräch zu kommen, sie zum Sprechen zu bringen und bei ihnen Sprechfreude zu wecken, wirkungsvoll und realitätsnah. »Sprechfreude wecken, Ressourcen entdecken«, darüber hat Professor Dr. Renate Zimmer jetzt in den Berufsbildenden Schulen Einbeck referiert. Die Fachschule Sozialpädagogik hatte dazu im Rahmen ihres Jubiläumsjahres eingeladen, und die Resonanz war enorm.

Die Referentin gab dem Publikum viel mit, was in der täglichen Arbeit in den Kindertagesstätten einfach, aber mit großem Effekt umgesetzt werden kann. Über ein restlos ausverkauftes Forum freuten sich die Abteilungsleiterin Sozialpädagogik/ Pflege/Hauswirtschaft, Kathrin Düvel, und Teamleiterin Sabine Schleder.

Das zeige, dass man mit dem Thema am Puls der Zeit sei, nah an Bedarf und Interessen. Die Referentin sei in vielen Fachgebieten zu Hause, unter anderem in den Bereichen frühe Kindheit und Bildung. Mehr als 45 Bücher habe sie veröffentlicht. Hartnäckig und professionell setze sie sich für Veränderungen sein.

Seit 1991 sei ihr das Thema »Bewegte Kindheit« ein Anliegen. Deutschland-, europa- und weltweit zähle sie zu den renommiertesten Wissenschaftlerinnen im Bereich Frühpädagogin. Wenn es um Sprachbildung gehe, sei Niedersachsen nicht gerade fortschrittlich, stellte Professor Dr. Renate Zimmer fest. Bei der Feststellung von Sprachkompetenz plädiere sie für Alltagsbegleitung statt Test - einen entsprechenden Ansatz werde sie zeigen.

Pädagogisches Handeln sei immer auch abhängig vom Bild des Kindes und vom Verständnis von Bildung. Das Kind komme über den Körper zur Sprache, Bewegung sei der Ausgangspunkt für die Aneignung der Welt. Sie habe leider den Eindruck, so die Referentin, dass Bildung häufig als 100-Meter-Bahn angesehen werde, die man nach dem Motto »Schnell durch!« absolviere. Bildung sollte anregen, alle Kräfte zur Aneignung der Welt optimal zu entfalten - ohne Zeitdruck.

Sie finde es schade, wenn Kinder zu früh aus dem Kindergarten in die Schule wechseln würden, und eine Klasse zu wiederholen, sei kein Problem. Durch das Turbo-Abitur seien Studienanfänger teilweise noch so jung, dass es einen »Elterntag« an den Universitäten gebe: Das sei »das Allerletzte«, wie sollten Kinder da selbstständig werden?

Eine heute junge Frau habe inzwischen eine statistische Lebenserwartung von 92 Jahren, ein Mann von 87 - also eine Menge Zeit. »Nur für Kindheit haben wir keine Zeit«, bedauerte sie, dabei sei die nie mehr nachzuholen. Bildung könne man nur »in tätiger Auseinandersetzung mit der Welt« erlangen, zitierte sie Humboldt, sie sei ein aktiver Prozess. Ein Kind wolle lernen, es wolle etwas bewirken können.

Bewegung sei dabei ein Querschnittsthema der Bildung, ebenso sei Sprachbildung eine Querschnittaufgabe in allen Bildungsinstitutionen. Sprachliche Kompetenzen seien die Schlüsselfertigkeiten für die Schule, die Eintrittskarte für Bildung und Beruf. Bildung sei somit das Fundament für das ganze Leben. Und je länger man mit einer Förderung warte, desto teurer werde es schließlich. Amerikanische Forschungen hätten errechnet, dass ein Dollar für den Kindergartenbereich eine achtfache Rendite bringe - entsprechend wäre es sinnvoll, den Bildungsetat zu erhöhen.

Es sei zwar viel investiert worden, aber wenig dabei herausgekommen. Möglicherweise sei man den falschen Weg zur Sprache gegangen. Sprache sei störanfällig, und wenn man Kindern beim Spracherwerb helfen wolle, seien gute Ideen wichtig. Statt Kinder Buchstaben lernen zu lassen, könne man sie dort ansprechen, wo sie Freude hätten - mit einem Ball zum Beispiel.

Der Ball sei ein unendliches Thema, eine ganze Palette des Wortschatzes und der Grammatik lasse sich damit abarbeiten - zudem so, dass das Kind es im Handeln verstehe. Die Erzieherinnen würden dabei Regeln und Satzmuster vorstellen, in alltäglicher Verwendung würden sie deutlich gemacht.

Der Ball und das, was man mit ihm machen könne, eröffne den Zugang zum Kind und zur Sprache, Bisherige Konzepte, erläuterte sie, setzten häufig auf isolierte Förderung von Lauten. Sprechförderung werde dabei ebenso vernachlässigt wie Dialogfähigkeit. Da finde man häufig Funktionstraining ohne sinnhafte Zusammenhänge. Förderung müsse mit dem Alltag der Kinder zu tun haben, punktuelle Programme seien nicht effektiv.

Negativ sei auch, dass sie den Alltag im Kindergarten unterbrechen würden. Durch besondere Förderstunden würden Sprachförderung und Bildungsprozesse voneinander isoliert. Erfolgreicher könne man arbeiten, wenn man an den Lebenserfahrungen der Kinder ansetze und ihre Interessen aufgreife. Das lasse sich auch in den pädagogischen Alltag integrieren, einschließlich der prozessbegleitenden Beobachtungen.

Die Expertin plädierte zudem dafür, den defizitorientierten Blick aufzugeben und stattdessen stärker kompetenzorientiert zu urteilen: »Weg von den isolierten Programmen, weg vom Blick auf die Schwächen, sondern andersherum schauen: Was ist richtig?« Man müsse sich hinbewegen zu authentischen Erlebnissen, die zum Sprechen verlockten. Kinder würden kommunikationsfreudig geboren, schon Babys suchten nach einem aufmerksamen Kommunikationspartner. Erwachsene hätten da eine Vorbildfunktion.

Erst erfreut sei sie gewesen, als sie kürzlich eine Mutter intensiv mit ihrem Kind in der Karre sprechen sah, berichtete Zimmer - das wechselte aber in Betroffenheit, als sich herausstellte, dass die Mutter mittels Freisprecheinrichtung telefonierte. Wie solle sich denn da die Sprache der Kinder entwickeln? Es müsse jemand da sein, der direkt mit dem Kind spreche und dessen Freude am Sprechen wecke.

Gestik, Mimik, Laute, Gebärden, Lächeln oder Blicke: Kinder jeden Alters brauchten jemanden, der auf sie zu- und eingehe. Schon kleine Kinder zeigten untereinander oder mit noch Jüngeren Dialog-Kompetenzen. Bewegung als Ausgangspunkt für sprachliche Prozesse beziehungsweise Bewegungsaktivitäten, die zu Sprachanlässen werden: Bewegung unterstützt linguistische und pragmatische Kompetenzen.

Wer auswendig lernen wolle, sollte bloß nicht am Tisch sitzen, sondern sich dabei bewegen. Hier regte sie an, es mit Fangspielen zu versuchen: Bewegungsrhythmus sei Sprachrhythmus. Viele Spiele, bedauerte sie, seien verschüttet, aber sie seien sehr effektiv. Wortschatz und Bedeutung könnten dabei ebenso gewinnen wie die Grammatik. Das alles sollte man aber nicht technisch umsetzen, sondern man sollte Modelle bilden.

»Handeln statt erklären«, das sei ebenso wichtig wie häufige Wiederholungen: »Sie sind der Transporteur der Grammatik«, machte sie dem Publikum deutlich. In Bewegungssituationen würden kommunikative Kompetenzen erworben. Ein Baustein seien auch Rollenspiele, in denen die Kinder üben könnten, in unterschiedlichen Situationen miteinander zu sprechen. Die Wirksamkeit ein bewegungsorientierten Sprachförderung lässt sich messen beziehungsweise nachweisen. Von künstlichen Situationen für Tests riet sie ab.

Im Idealfall würden Beurteilungen in Alltagssituationen erfolgen. Professor Zimmer plädiert für prozessbegleitende Beobachtungen. Das »Basik«-System setzt darauf, dass Beobachtung, Dokumentation und Bildungsprozesse ineinander greifen - das wird möglich, wenn man die Kinder beispielsweise in Spielsituationen beobachtet. Das System eignet sich vom ersten Lebensjahr bis zum Schulbeginn. Es sei nicht einfach zu erarbeiten, der Alltag werde aber sprachreicher.ek