Straßenausbau: »Der Aufwand löst sich nicht auf«

Rechtsanwalt Dr. Christian von Waldthausen erläutert Alternativlösungen zur bestehenden Beitragssatzung

Vor der Ausschusssitzung, in der es um die Refinanzierung straßenbaulicher Maßnahmen ging, haben Anwohner von Tie­dexer Straße und Tiedexer Tor be­ziehungsweise Mitglieder der Bürgerinitiative auf dem Marktplatz demonstriert und dabei, auch im Gespräch mit Politikern, ihren Protest gegen den unveränderten Stand Finanzierungsplanung deutlich gemacht.

Viele Zuhörer, die dicht an dicht in der Rathaushalle saßen und die Ausführungen von Rechtsanwalt Dr. J. Christian von Waldthausen aus Hannover verfolgten, hatten vermutlich anderes erwartet: Der Jurist erläuterte den Mitgliedern des Ausschusses für Finanzen und Rechnungsprüfung und für Umwelt, Energie und Bau, die in gemein­samer Sitzung tagten, was bei der Refinan­zierung straßenbaulicher Maßnahmen möglich ist und was nicht. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht machte deutlich, dass er keine konkreten Empfehlungen geben werde, wie künftig beispielsweise mit der Straßenausbausatzung oder mit wiederkehrenden Beiträgen umzugehen sei. Er wolle nur die Parameter für die Entscheidungen der Politik liefern.

Einbeck. Die Sitzung sollte der Meinungsbildung dienen über Vor- und Nachteile der verschiedenen Modelle. Anlass war der geplante Ausbau der Tiedexer Straße, wodurch eine öffentliche ­Debatte über Gerechtigkeit und Sinnhaftigkeit der Straßenausbaubeitragssatzung ins Rollen gekommen ist. Vorschläge zu Alternativen wurde bereits gemacht.

Er wolle, erläuterte Dr. von Waldthausen, der seit zwei Jahren in vielen Kommunen zum Thema referiert, die Konsequenzen der unterschiedlichen Modelle aufzeigen. Wenn eine Straße komplett erneuert oder verbessert werde, könne die Kommune dafür Straßenausbaubeiträge verlangen. »Niemand wird uns auf kommunaler Ebene helfen bei der Refinanzierung«, machte er deutlich. Die Rechtslage sehe vor, dass die Maßnahmen auf örtlicher Ebene selbst bezahlt werden müssten. Man könne nur darüber entscheiden, welcher Kreis das tragen solle. Da komme zum einen der größtmögliche Kreis in Frage, wenn man die Finanzierung über den Steuerhaushalt wähle und alle Bürger belaste. Einmalige Beiträge seien eine Mischfinanzierung aus Steuerhaushalt und Anliegern. Und schließlich gebe es seit April 2017 die Möglichkeit der wiederkehrenden Beiträge mit Abrechnungsgebieten. Die Kommune habe die Zuständigkeit zu entscheiden, wer den Aufwand tragen solle. »Der löst sich nicht auf«, machte er mehrfach deutlich. Dabei sei es relativ egal. wofür man sich entscheide, denn jede Schraube bewege ein weiteres Räderwerk. Jedes Argument habe ein Gegenargument. Die Bewertung sei letztlich eine politische Frage.

Steuern, erläuterte er, würden ohne Zweckbindung erhoben. Die Kraftfahrzeugsteuer komme beispielsweise nicht speziell der verkehrlichen Infrastruktur zugute, und eine erhobene Steuer sei nicht für immer und ewig für eine bestimmte Maßnahme gedacht. Für eine Erhöhung der Grundsteuer könne es gute Gründe geben. Sie würde viele treffen, die Einzellast werde damit kleiner. Sie stärke aber auch die Steuerkraft der Kommune, und das könne sich auf die Kreisumlage auswirken. Das müsse man also gut durchrechnen. Zudem werde das Grundsteuersystem so nicht bleiben, und man wisse nicht, was bei der Reform herauskomme.

Für die Straßenausbaubeiträge gebe es keine Rechtspflicht, aber es könnte schwierig sein, die erforderlichen Beiträge aus Steuern zu begleichen. Die gesicherte Erschließung über Straßen sei eine Daueraufgabe der Kommune. Ein Ausbau einer Straße könne einen Sondervorteil für Eigentümer bringen, für den er zahlen müsse, und das sei im Einzelfall schwer vermittelbar. Auch Straßen in gutem Zustand könnten verbessert werden, und dann sei abzurechnen. Die Ausbaufrage beziehungsweise die Entscheidung zur Erneuerung sei eine Ermessensfrage, die Antwort liege beim Rat.

Für die Politik gehe es bei der Finanzierung der Maßnahmen darum, eine Systementscheidung zu treffen: Verschiedene Möglichkeiten hätten unterschiedliche Konsequenzen. Die Varianten seien über Satzungen zu regeln, und hier habe man zwei Verteilungsebenen: einmal zwischen Kommunen und Anliegern, zum anderen die Binnenverteilung, bei der es darum gehe, wie man den Aufwand für die Anliegergrundstücke untereinander verteile. Bei einer Anliegerstraße sei ein öffentlicher Anteil zwischen 25 und 40 Prozent möglich, bei einer Durchgangsstraße zwischen 30 und 40 Prozent, bei innerörtlichem Verkehr 50 Prozent. Die Beiträge für die Anlieger seien nach den Vorteilen zu bemessen. Die Zuordnung zu den Straßentypen sei eine Rechtsfrage. Bei der Einordnung komme es auf den Zeitpunkt an, zu dem der Ausbau technisch beendet sei. Dann sei die Situation zu beurteilen. Es könne sein, dass sich später etwas ändere – nach Jahren den Status noch einmal zu erfassen, sei aber nicht möglich.

Wenn von der Kommune nicht alle Einnahmen erhoben würden, die möglich seien, gehe das zu Lasten des Steuerhaushalts, und darin könne man Untreue sehen, warnte er.

Die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen müsse so sein, dass sie akzeptiert werde. Wenn die Bürger jetzt Magengrummeln und Kopfschmerzen wegen des touristischen Ziels des Ausbaus der Tiedexer Straße hätten, könne er menschlich gut nachvollziehen, was sie umtreibe. Sorgen mache bei den Ausbaubeiträgen vor allem deren Höhe, und wenn es sich, wie hier, um viele ältere Anwohner handele, dann tue jeder Beitrag weh. Darauf müsse man eine Antwort finden.

Eine Alternative zu Ausbaubeiträgen wären Vorausleistungen, mit denen man die Beiträge strecken könne. Das sei möglich, wenn man Teilmaßnahmen zeitnah abrechne. Weitere Instrumente, die man nutzen könne, seien Ablöseverträge zwischen Anliegern und Kommunen. Damit werde die sachliche Beitragspflicht abgelöst. Gezahlt werde vor der Maßnahme. Das löse den Aufwand nicht auf, aber er werde gestreckt. Praktisch sei es dabei so, dass die Stadt einen Ablösevertrag anbiete; die darin festgesetzte Summe werde über fünf oder sechs Jahre gezahlt. Der Nachteil für die Anlieger sei, dass sie den Betrag rechtlich nicht überprüfen könnten, wie beispielsweise bei einem Beitragsbescheid. Der Ablösebetrag werde auf der Grundlage der Ausschreibungsergebnisse ermittelt. Eventueller Mehraufwand werde aus dem Steuerhaushalt getragen. Der Beitrag der Anwohner werde so »handhabbarer«.

Das ganze Thema sei, räumte er ein, ausgesprochen schwierig. Der Landesgesetzgeber beschäftige sich derzeit auch damit. Sollten die Ausbaubeiträge abgeschafft werden, müsse das Land nach dem Konnexitätsprinzip dafür bei den Kommunen einspringen. Andere Bundesländer hätten es vorgemacht, aber da gebe es nicht nur gute Beispiele. Grundsätzlich seien auch die Fragen zu klären, ob Anliegerstraßen so hoch belastet werden müssten. Und es gebe die Möglichkeit, Zuwendungen Dritter, die bisher nur der Gemeinde zugute kamen, für die Anlieger zu nutzen.

Den Kollaps des städtischen Haushalts sagte BI-Sprecherin Anja Linneweber voraus: Es würden in naher Zukunft mehrere große, touristisch orientierte Bauprojekte angeschoben, und es sei kein Ende der Kosten in Sicht. Die Stadt werde auf die Straßenausbaubeiträge wegen der Haushaltssituation nicht verzichten können, »und wir sitzen extrem in der Falle«. Gerade die alten Bewohner der Tiedexer Straße, aber auch junge Familien hätten große Sorgen, zumal Beiträge in dieser Höhe noch nie in Einbeck erhoben wurden. »Fassungslos und ohnmächtig« verfolge man das. Die Politiker hätten das Vertrauen dieser Bürger verloren. Dass es sich um einen normalen notwendigen Ausbau handele, weil die Straße »hin«, sei, dafür wurde Bauamtsleiter Joachim Mertens rundweg ausgelacht. Nur 27.000 Euro für farbige Betonsteine gingen über übliche Maßnahmen hinaus, sagte er. Falsch sei die Höhe der Beiträge, mit denen die Bürgerinitiative argumentiere: Im Durchschnitt seien 5.000 bis 10.000 Euro zu zahlen, nur wenige Anlieger würden darüber liegen.

Wiederkehrende Beiträge, wie die Grünen sie beantragt hatten, basieren auf dem Prinzip eines Abrechnungsgebiets. Wenn innerhalb eines solchen Gebiets eine Straße erneuert wird, wird ein Teil aus Steuern gezahlt; der andere Teil wird von allen Eigentümern im Abrechnungsgebiet getragen – je mehr, desto kleiner wird der Beitrag für den Einzelnen. Dazu müssen Abrechnungsgebiete festgelegt werden. Sie müssen topografisch abgegrenzt sein, und die Straßen müssen möglichst einheitlich genutzt werden. Im ländlich strukturierten Niedersachsen sei eine solche Abgrenzung häufig schwierig, hieß es. Der Verwaltungsaufwand, das bestätigten Erfahrungen aus Springe, werde steigen. Nach zwei Jahren seien zwei von 17 Abrechnungsgebieten erfasst. Wiederkehrende Beiträge probeweise einzuführen, sei schwierig, davon riet er dringend ab.

Dieses Thema, darauf verwies Marcus Seidel, SPD sei juristisch noch nicht bearbeitet. Entsprechend sollte man nicht vorschnell handeln.

»Wir sind gegen den Prachtausbau. Können Sie als Anwalt uns sagen, wie wir uns wehren können?« Wer mit diesem Anliegen zur Sitzung gekommen war, und das waren sicher nicht wenige Zuhörer, wurde in der rund dreieinhalbstündigen Veranstaltung enttäuscht.

»Es gerecht zu machen, ist unglaublich schwierig«, so der Jurist. Sein – vorsichtiger – Rat zielte auf den Abschluss von Ablöseverträge. Damit sei der Aufwand gedeckelt. Außerdem sollte man sich Zeit lassen mit der sachlichen Beitragspflicht. Beiträge seien nach dem Vorteil zu bemessen – und nur nach dem Vorteil. Das Abgabenrecht sei blind hinsichtlich des Begriffs »sozial«. Man könne nur innerhalb geltenden Rechts Lösungen entwickeln, das »Spielbrett« dürfe man dabei nicht verlassen.

Mit diesem Hintergrundwissen müsse man jetzt Lösungen für alle Seiten finden, nicht nur die Tiedexer Straße, so der Ausschussvorsitzende Frank-Dieter Pfefferkorn. Bürgerliste. Das werde Grundlage sein für die weiteren Beratungen in Fraktionen und Ausschüssen.ek