Tagung zum Projekt Herkunftsforschung

Im StadtMuseum Einbeck | Vorträge und Gespräche zu Erkenntnissen und weiterem Umgang damit

Dr. Andrea Baresel-Brand (von rechts), Dr. Claudia Andratschke, Annette Schwandner, Dr. Christian Riemenschneider, Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek und Dr. Elke Heege begrüßten die Teilnehmer der Netzwerktagung.

Einbeck. Zahlreiches Fachpublikum hatte sich jetzt zur gemeinsamen Tagung des Landschaftsverbands Südniedersachsen, des Netzwerks Provenienzforschung in Niedersachsen und des StadtMuseums in Einbeck eingefunden.

Seit vier Jahren widmen sich kleine Stadtmuseen in Niedersachsen der Herkunftserforschung von zu Unrecht erworbenen Objekten. Nun geht es bereits in der zweiten Projektphase weiter. Nach dem Erstcheck wurde in den Museen, Alfeld, Einbeck, Hann.-Münden, Nort­heim, Uslar, Seesen und Osterode weiterer Forschungsbedarf entdeckt, berichtete Dr. Christian Riemenschneider vom Landschaftsverband Südniedersachsen. Bei der Provenienzforschung kann es sich um Objekte aus jüdischem, freimaurerischem, kirchlichem Arbeiter- und kolonialem Hintergrund handeln, um nur einige Beispiele zu nennen. Referenten von Zürich bis Hamburg über Frankfurt, Göttingen, Hannover und Oldenburg waren dazu angereist.

In ihrer Begrüßung stellte Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek fest, dass die Rückgabe solcher Objekte einen hohen symbolischen Wert habe und dieses Forschungsprojekt deshalb vorbildlich sei: »Denn Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung für Verständnis und Verständigung«.

Das Netzwerk, eine Erfolgsgeschichte

Annette Schwandner vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur erläuterte nochmals die »Erfolgsgeschichte« des Netzwerks, das sich als »feste Anlaufstelle für Provenienzforschung« etabliert habe. Im Februar 2015 begann man mit 20 Gründungsmitgliedern. Inzwischen sind es über 55 Museen, Archive und weitere Institutionen. Wichtige Eckpunkte sind der partnerschaftliche Umgang mit den Herkunftsgesellschaften, die Herausgabe von Objekten, die Kontaktherstellung mit betroffenen Ländern und natürlich die gemeinsame Zusammenarbeit.

Dr. Claudia Andratschke, in Einbeck vor Ort als Moderatorin, von der Netzwerkkoordinierungsstelle am Landesmuseum Hannover, sei »Gesicht und Motor« des Projekts, so Schwandner. Aber, »das, was Sie alle leisten«, sprach sie die Museumsleiter direkt an«, »jeder kleine Baustein ist nicht nur wichtig für das jeweilige Museum, sondern auch national und international«.

Vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste aus Magdeburg begrüßte Dr. Andrea Baresel-Brand die Zuhörer. Das Zentrum befasst sich mit Raub- sowie Beutekunst, Kulturgutverbringung aus der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR sowie Sammlungen im kolonialen Kontext. Einen ganz wichtigen Aspekt stellte sie heraus: bei den Objekten auch die Geschichte der Opfer zu erfassen. Später stellte Dr. Baresel-Brand, die auch bei der Gurlitt-Recherche mitarbeitete, in einem Workshop die »Lost Art-Datenbank« vor.

Über Erkenntnisse aus den Museen Alfeld, Duderstadt, Hann.Münden und Einbeck berichtete dann Dr. Riemenschneider, der mit Dr. Andratschke auch die Tagung organisierte.

1936 und 1939 erhielt das Museum Einbeck 28 Ritualgegenstände der Freimaurerloge. Sie kamen über den Landrat sowie den Logenbruder Grosse ins Haus, ermittelte Dr. Riemenschneider. Auf Druck des NS-Regimes löste sich die Loge 1935 auf. Nach dem Krieg bemühte sich ein Logenbruder, die »verteilten« Gegenstände wiederzuholen. Der Stempel des israelistischen Syndikus der Stadt Einbeck – während der Zeit des Königsreichs Westphalen im Gebrauch – fand sich ebenfalls. Auch ein Buch aus dem Altersheim für Freimaurer, dem Johannistift, ist heute noch in der Museumbücherei.

Objekte aus jüdischem Kunsthandel

Ein Beispiel für Kunsthandel in jüdischem Besitz brachte er aus Hann.-Münden: Hannoversche Zinnsoldaten kaufte das Haus im Oktober 1935. Sie stammen aus dem Kunsthandel Oberdorfer aus Augsburg. Zwangsweise geschlossen wurde das Geschäft im August 1935. »Wie ist dieser Erwerb zu bewerten? Wie frei war Oberdorfer beim Abverkauf der Restbestände? Was wurde mit dem Erlös?« Diese Fragen stellen sich dann dem Provenienzforscher.

Umgang mit »sensiblen« Objekten

»Sensible Dinge« wie etwa menschliche Überreste förderte er ebenfalls zutage, so im Museum Alfeld den Schädel einer indigenen Frau aus Australien. Verschlungene Recherchewege wurden hier deutlich: In einem Brief des Museumsleiters 1945 an die Haushälterin des Tiermuseumgründers wird dieser Schädel erwähnt. Die Haushälterin als Erbin verkaufte ihn an das Museum. Im Museum Einbeck befindet sich ein weiteres sensibles Objekt, entdeckt im Archivbestand Kayser, ein Briefumschlag mit einer Haarlocke, dem Foto einer jungen Frau und der Widmung: »Gedenke deiner Freundin Grete.« Dr. Riemenschneider stieß durch ein Gespräch in Duderstadt auf den Namen Sophie Winter, genannt Grete, geboren 1903 in Einbeck, später verheiratet mit Kurt Ballin. Grete und Tochter Ruth wurden 1942 deportiert. »Kann man das letzte physische Überbleibsel einer Person, die nirgendwo ein Grab hat, ausstellen? Wäre das Voyourismus?« Wieder schwierige Fragen.

Ethnographisches in Alfeld

In Alfeld stieß Dr. Riemenschneider auf 110 ethnographische Objekte. Der Sammler ist bekannt: Alfred Glenewinkel, vor dem Zweiten Weltkrieg Arbeiter einer Tierhandelsfirma, später Zoodirektor in Gelsenkirchen mit Amazonas-Schau, für die er in Brasilien Objekte sammelte. Am Beispiel von Arbeitervereinsfahnen aus dem Museum Alfeld erläuterte er die Forschung dieses Feldes: Nicht in jedem Fall sei unrechtmäßiger Entzug die Basis. Aus Sorge vor Beschlagnahmung wurden Dinge auch versteckt, verschenkt oder die Vereinskasse bei einem »Familienwaldfest« verprasst.

Nutzbarmachung der Erkenntnisse

In Workshops ging es dann noch um das Bewusstsein für Raubgut in Privatbesitz. Diskutiert wurde eifrig der Umgang mit diesen Erkenntnissen und der Nutzbarmachung für Museums- und Bildungsarbeit.des