Tödlicher Schuss in die rechte Wange

Prozess um gewaltsamen Tod einer 27-Jährigen in Einbeck: Gutachten des Rechtsmediziners im Landgericht

Im Prozess um den gewaltsamen Tod einer 27-jährigen Frau in Einbeck hat am Freitag der vom Landgericht Göttingen beauftragte Rechtsmediziner sein Gutachten vorgestellt. Er war im April vergangenen Jahres von der Polizei zu einem Einfamilienhaus in Einbeck gerufen worden. Die 27-Jährige habe sich leblos in sitzender Position auf der Couch im Wohnzimmer befunden, sagte Rechtsmediziner Kai Zindler. Im Gesicht sei eine Einschussverletzung sichtbar gewesen. Am rechten Unterkiefer und am Kinn hätten sich Blutspuren befunden.

Göttingen/Einbeck. In dem seit Januar laufenden Prozess muss sich der jetzt 50 Jahre alte Ehemann der Getöteten wegen Mordes verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, am 14. April 2020 um kurz vor Mitternacht seine schlafende Ehefrau heimtückisch erschossen zu haben. Diese habe zuvor im Wohnzimmer entspannt Musik gehört und sei dann eingeschlafen. Die 27-Jährige habe mit keinem Angriff ihres Ehemannes gerechnet und sei arg- und wehrlos gewesen.

Der Rechtsmediziner war um kurz vor halb 5 Uhr morgens am Wohnhaus eingetroffen. Aus der Auffindesituation hätten sich keine Hinweise auf einen vorangegangenen Kampf ergeben, sagte er. Bei der späteren Obduktion habe er dann einen sechs Millimeter großen Einschuss in der rechten Wange festgestellt. Aus dem Verletzungsbild lasse sich schließen, dass das Projektil schräg eingedrungen sei. Das Vollmantelgeschoss sei von der Wange durch den Unterkiefer und das Weichgewebe am Hals in die Wirbelsäule eingedrungen und dann links im Nacken zum Liegen bekommen sei. Dabei seien die rechte Halsschlagader und eine innere Halsvene zerrissen und das Rückenmark durchtrennt worden. Dies habe eine Atemlähmung bewirkt, die Frau sei sofort handlungsunfähig gewesen. Aus welcher Position genau der Schuss abgegeben wurde, lasse sich anhand der rechtsmedizinischen Befunde nicht feststellen. Man könne lediglich einen absoluten Nahschuss ausschließen, es sei also kein aufgesetzter Schuss gewesen. Weitere Gewalteinwirkungen seien nicht zu erkennen gewesen.

Der Angeklagte hatte damals selbst die Polizei gerufen. Die vor Ort eingesetzten Beamten hatten in ihrer Zeugenvernehmung berichtet, dass der Ehemann der Getöteten stark nach Alkohol gerochen habe. Den Berechnungen des Rechtsmediziners zufolge hatte dieser in dem potenziellen Tatzeitraum einen maximalen Blutalkoholwert zwischen 2,03 und 2,17 Promille. Auf dem Couchtisch hätten eine halbleere Flasche mit dem Aufdruck »Akinci Raki« und eine vollständig geleerte Flasche mit dem Aufdruck »Christkindlglühwein« gestanden, berichtete er.

Im Rahmen der Verhandlung nahmen die Prozessbeteiligten auch diverse frühere Fotos von der 27-Jährigen in Augenschein. Auf einem dieser Selfies ist zu sehen, dass ihre linke Oberlippe geschwollen ist. Nach Einschätzung des Rechtsmediziners dürfte diese Schwellung auf stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Mund zurückzuführen sein. Ein Sturz auf ebener Erde sei dagegen auszuschließen, da dann Gesichtsregionen wie Nase oder Augenbrauen betroffen wären. Auf einer anderen Aufnahme sind Hautrötungen auf dem Rücken zu sehen, außerdem Hinweise auf eine Schürfverletzung.

Laut Anklage soll der 50-Jährige den Lauf einer Selbstladepistole aus maximal 1,2 Metern Entfernung auf die rechte Gesichtshälfte seiner Ehefrau gerichtet und dann einen Schuss abgefeuert haben. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat der Angeklagte vorsätzlich gehandelt. Motiv sei gewesen, dass er seine mehr als 20 Jahre jüngere Ehefrau als große Last, Schicksalsschlag und Pech empfunden habe. Er habe zum yezidischen Neujahrsfest am Folgetag eine Veränderung in seinem Leben angestrebt, ohne die Kinder zu verlieren. Der Angeklagte habe damit rechnen müssen, dass seine Ehefrau im Fall einer Trennung die Kinder mitnehmen würde. Der Angeklagte selbst hatte gegenüber den Ermittlern angegeben, dass er am Tatabend seine Pistole gereinigt und sich dabei versehentlich ein Schuss gelöst habe.pid-nie