Was weiß Einbeck noch über die Heidemann-Werke?
Zeitzeugen sind gefragt: Fotomaterial, Dokumente und Erinnerungsstücke | Firmengeschichte aufarbeiten
Einbeck. Die Zeitschrift der Fahrrad-Markt meldete in ihrer Ausgabe von November 1936: »Die seit Jahren stillgelegten Stukenbrokschen Werke in Einbeck werden am 2. Januar 1937 wieder in Betrieb genommen, und zwar vorläufig mit 100 Mann Belegschaft. Eine Bielefelder Firma hat die Gebäude, die seit 1932 im Besitz der Stadt Einbeck sind, übernommen, um dort die Baronia-Fahrradwerke zu eröffnen. Hergestellt werden außer Fahrrädern auch noch Fahrradzubehör und Kinderroller«.
Bei dieser Bielefelder Firma handelte es sich um die Baronia-Werke (1923 von Karl Heidemann gegründet). Die ehemaligen Geschäftsräume des August Stukenbrok wurden von seinem Sohn Helmut übernommen.
Zwei Jahre später begann der Zweite Weltkrieg. 1940 wurde auf Kriegsproduktion umgestellt. Am Köppenweg wurde ein Lager mit 150 sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern eingerichtet – auf dem Firmengelände unterhielt man das einzige eigene Lager in Einbeck. Heidemann beschäftigte auch sowjetische Gefangene aus dem Lager in der Domäne Clus und aus dem Zivilarbeiterlager an der Hannoverschen Straße. 1942 wurden zirka 120 »Ostarbeiter« und »Ostarbeiterinnen« eingesetzt.
Im Januar/Februar 1943 überbot die Firma mit 150.000 Stück das Soll bei der Produktion von Zündschrauben für die C12-Granaten. 1944 betrug der Anteil an ausländischen Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen über 60 Prozent der Gesamtbelegschaft. 1945 war auf dem Werksgelände ein Lazarett mit etwa 300 Verwundeten untergebracht.
Firmenchef Helmut Heidemann fiel während des Krieges. Sein Bruder Gerhard führte das Unternehmen weiter. Die Heidemann-Werke Einbeck (auch: Baronia-Heidemann-Werke Einbeck) waren zum Beispiel Aussteller Nummer 1 bei den ersten Nachkriegsmessen, den Einbecker Wochen 1948 und 1950. Ende der 1940er Jahre gehörte HWE zu den größten Fahrradproduzenten Deutschlands.
Konsequenterweise rief Gerhard Heidemann zur Einbecker Woche 1948 das Radrennen »Rund um die Heidemann-Werke« ins Leben. Dabei ging ein Stern an Einbecks Sportlerhimmel auf: Der 15-jährige Emil Reinecke vom Kükenschnipp 9 fuhr sich in die Herzen der Einbecker. Zeitzeuge Peter »Perchen« Nolte erinnert sich: »”Zieh Emil, zieh!” Das riefen wir ihm bei jedem Rennen zu. Bei den Gleisen am Ostertor war immer was los. Da sind viele gestürzt. Aber Emil stieg wieder auf und gewann das Rennen. Er war ein Idol für uns«.
1953 wurden mehr als 100.000 Fahrräder in die USA exportiert. 1959 gründete Heidemann eine Importfirma in New York. 1961 entstand das Zweigwerk in Rotenburg/Wümme. Bis 1964 produzierte die Firma drei Millionen Fahrräder.
Fabrikant Heidemann hatte sich beim Kauf verpflichtet, das bekannte Westminster-Geläut der Stukenbrokwerke zu pflegen. Allerdings mussten die Glocken während des Zweiten Weltkrieges zum Einschmelzen abgegeben werden. Nach dem Krieg wurde ein neues Geläut installiert, »das aber, bedingt durch das damalige Material, doch nicht den Originalklang hatte«. Im März 1964 ließ Heidemann ein neues Geläut einbauen.
1971 entstand ein neues Werk, 1977 ein weiteres im Industriegebiet westlich der Stadt.
»Seit 1955 ließ Gerhard Heidemann Automobilteile in seinem Unternehmen in Einbeck fertigen. Als er expandieren wollte, entschied er sich, ein Zweitwerk in Rotenburg zu gründen, da er in Bretel ein Gestüt besaß, auf dem er seine Freizeit verbrachte. … Bereits 1961 wurde das Werk mit den Abteilungen Werkzeugbau, Fließpressfertigung, Stanzerei, Galvanik, Härterei und Stößelschutzrohrfertigung in Betrieb genommen. Einziger Kunde war VW. Unter den 250 Mitarbeitern waren viele Ehemalige der in Konkurs gegangenen Borgward-Werke in Bremen, die Heidemann übernommen hatte. 1967 sank die Zahl der Mitarbeiter auf 80 ab«.
1980 erreichte man die Acht-Millionen-Marke. Zu dieser Zeit machten Zulieferteile für die Autoindustrie schon ein Großteil der Produktion aus. Ab 1986 war Robert Stafflage geschäftsführender Gesellschafter. 1997 wurde die Heidemann-Gruppe zunächst an die Adwest Automotive Plc. in Großbritannien verkauft. Zwei Jahre später erfolgte die Übernahme durch Dura Automotive Systems, Inc., USA.
Damit ist die Geschichte der Heidemann-Werke zwar grob erzählt, aber was fehlt, sind zum Beispiel Listen aller Modelle und Fabrikate. Zwar kann das Internet durchaus helfen, aber nicht ausreichend.
Es fehlen auch die Erinnerungen von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen genau wie Fotomaterial, Dokumente oder Erinnerungsstücke.
Um die Aufarbeitung der Geschichte der Heidemann-Werke bemühen sich derzeit Ulrich Meiser vom Einbecker Brauhaus und ein Kreis von Mitstreitern.
Wer zur Geschichte der Heidemann-Werke in Einbeck Erinnerungen, Fotos, Dokumente und Ähnliches beitragen kann und möchte, wird gebeten, sich bei der Brauhaus AG oder bei Wolfgang Kampa zu melden.wk