Wenn Mediation gelingt, ist sie ein Gewinn für alle Seiten

Pastor und Mediator Wolfgang Bauer und Amtsgerichtsdirektor Thomas Döhrel: Themenabend über Wege aus Streitigkeiten

Streit anzufangen, ist oft leicht, ihn zu beenden, häufig sehr schwer. Manchmal brauchen die Be­teiligten dabei Hilfe, etwa in einer Mediation. Die Einbecker Beratungsstelle für Lebens- und Be­ziehungsfragen hatte jetzt zu einem Themen­abend dazu eingeladen. Referenten waren Wolf­gang Bauer, Pastor und Mediator aus Nort­heim, und Thomas Döhrel, Direktor des Amtsgerichts Einbeck. Sie erläuterten Wegen, miteinander zu­recht zu kommen beziehungsweise zu Recht zu kommen.

Einbeck. Joachim Voges, Vorstandsmitglied des Trägervereins der Beratungsstelle für Lebens- und Beziehungsfragen, machte darauf aufmerksam, dass die Einrichtung bei vielen Problemen die richtige Adresse  sein könne. Hier gebe es Hilfe in unterschiedlichsten Situationen. Etwa 75 Fälle pro Jahr würden mit professioneller Unterstützung behandelt.»Wie passt Streit zu Gottes Haus?«, das sei eine interessante Frage, so der Pastor der Freikirchlichen Gemeinde in Einbeck, Thomas Klammt. Gott verbiete Streit nicht, er heiße aber Streitsucht nicht gut. So werde in der Bergpredigt aufgerufen, sich rasch zu verständigen, und im Korinther-Brief werde vorgeschlagen, Weise einer Gemeinde bei Streitfällen zu nutzen.

Wenn Menschen zusammen seien, komme es oft zu konfliktträchtigen Situationen, stellte Pastor Wolfgang Bauer fest. Zuweilen seien es kleine Dinge, die in eine Spirale der Eskalation führten. Konflikte seien häufig verbunden mit persönlichen Angriffen, in denen das Ego verletzt werde. Jede Kritik bringe dann eine gereizte Antwort. Manche Konflikte führten zum Aufbrausen, andere zum Verdrängen, wieder andere würden unter den Teppich gekehrt, wo sie vor sich hinmodern könnten, um eines Tages wieder aufzutauchen. Konflikte müssten nicht zwangsläufig zu Katastrophen werden, sondern die Beteiligten könnten an ihnen wachsen und gestärkt aus ihnen hervorgehen. Früher hätten Religion und Tradition, diese Regulatoren fielen aber immer mehr aus. An diese Stelle sei individuelle Beliebigkeit getreten. Es gebe keinen Knigge der Streitkunst.

Mediation, so Bauer weiter, könne im Großen und im Kleinen helfen, im Tarifkonflikt ebenso wie beim Zank über das Laub aus Nachbars Garten. Ein Paradebeispiel für Mediation sei das Camp-David-Abkommen von 1979: US-Präsident Carter sei es damals gelungen, Vertreter Israels und Ägyptens an einen Tisch zu bringen, die Grenze beider Länder sei seither sicher. Keine Mediation sieht dagegen bei »Stuttgart 21«. Das sei bestenfalls ein Schiedsspruch. »Mediation kann Konfliktparteien helfen, Lö­sungen zu finden, die beide Seiten zufriedenstellen«, so Bauers Definition. Eine Lösung sei dabei anders zu sehen als Rechtsprechung. Bei der Me­diation sollte es keine Verlierer geben, sondern eine faire, sachgerechte Lösung. Mediation beru­he auf Freiwilligkeit, jeder müsse seien Teil zum Gelingen beitragen. Leidensdruck erhöhe die Bereitschaft zur Mitarbeit. Wichtig sei die Neutralität des Mediators, was manchmal schwer falle, räumte Bauer ein. Voraussetzung sei auch, dass die Beteiligten Verantwortung für den Konflikt übernehmen. Wer bereit sei, sich selbst den Kopf zu zerbrechen, werde gute Früchte ernten. Während das Gericht einen Fall kläre, werde bei der Mediation hinter den Konflikt geschaut und erarbeitet, welche Bedürfnisse dahinter steckten. Kommunikationswilligkeit und -fähigkeit seien notwendig.

Zunächst werde geklärt, ob der Konflikt überhaupt geeignet sei für das Verfahren. In mehreren Schritten werden unter anderem der Rahmen der Mediation, Gesprächsregeln und gegenseitiger Austausch und Respekt vereinbart. Manchmal könne dabei einer der Beteiligten zum ersten Mal ungestört reden - der andere müsse zuhören. Nach der Konflikterhellungsphase gehe es darum, Lösungswege zu finden. Das sollte einvernehmlich geschehen, wobei der Mediator die Beteiligten stützt und »zu schnel­le« Lösungen verhindert. Abschließend wird eine schriftliche, rechtsgültige Vereinbarung geschlossen. Die Konfliktparteien seien jederzeit des Verfahrens, dazu gehöre selbst die Möglichkeit des Abbruchs.

Mediation sei inzwischen auch für Gerichte ein übliches Verfahren, wie Amtsgerichtsdirektor Thomas Döhrel erläuterte. Eigentlich verliefen in der deutschen Justiz Prozesse seit rund 160 Jahren gleich: orientiert nicht an Schlichtung, sondern an der Auflösung des Streits. Es gehe um Recht, nicht um Gerechtigkeit - beide Begriffen könnten auseinanderfallen, denn Gerechtigkeit sei subjektiv. Vor Gericht, das sei ein wesentliches Kennzeichen der Verfahren, sprächen die Beteiligten nicht miteinander, sondern mit dem Richter. Über dieses Dreiecksverhältnis seien sie gehalten, Regeln zu beachten, sie könnten sich etwa, anders als bei Gerichtsserien im Fernsehen, nicht anschreien. Ein so diszipliniertes und organisiertes Verfahren sei grundsätzlich gut, so Döhrel. Daneben habe es aber in den letzten Jahren einen massiven Wandel im Selbstverständnis von Richtern gegeben. »Wir wollen und müssen die richtige Lösung eines Streits finden, aber die Beteiligten haben auch die Erwartung, dass wir die richtige Entscheidung fällen.« Die zuweilen geschlossenen Vergleiche seien nicht gedacht, um Frieden zu schaffen, sondern sie kämen zustande aus Gründen der Prozessökonomie.

In den letzten Jahren habe es hin zu friedlichen Lösungen einen kompletten Wandel im Selbstverständnis der Justiz gegeben, fuhr Döhrel fort. Wenn es darum gehe, eine richterliche Entscheidung zu treffen oder Frieden zu stiften, stehe Letzteres im Mittelpunkt. Außergerichtschliche Streitschlichtung sei in Niedersachsen ein Versuch dazu. In Zivilverfahren seien vorherige Güteverhandlungen vorgeschrieben, in denen die Beteiligten gefragt würden, ob sie Lösungen sähen. Das sei »Mediation light«, so Döhrel, ohne Formalien und ohne Protokoll. Wenn dieser Weg gescheitert sei, gehe es in die »richtige« Verhandlung. Gerändertes Selbstverständnis und Verhandlungsregeln schafften andere Möglichkeiten für Vergleiche, für Befriedung und Interessensausgleich. Im Familienverfahrensgesetz seien einige »kosmetische« Versuche unternommen worden, aus dem Prozess ein Verfahren zu machen, aus Parteien Beteiligte und aus Urteilen Beschlüsse.

Selbst Lösungen zu erarbeiten, sei immer sinnvoll, betonte der Richter, Verantwortung könne so an die Beteiligten zurückgegeben werden. Für den Landgerichtsbezirk Göttingen habe man die gerichtsnahe Mediation entwickelt. Dabei solle Interessensausgleich im Vordergrund stehen. Es gelten andere Regeln als im Gerichtsverfahren. Einbeck arbeite im Verbund mit Northeim und Osterode, der im Amtsgericht zuständige Richter gebe den Fall an einen Kollegen von außerhalb ab. Das Gespräch finde nicht im Gerichtssaal, sondern am Tisch statt, sogar mit Kaffee und Gebäck, die zeitliche Vorgabe liegt bei zwei Stunden. Beide Parteien müssten anwaltlich vertreten sein. Die Erfolgsquote, berichtete Döhrel, betrage mehr als 90 Prozent. Er sei ein Befürworter dieses Verfahrens, wenngleich oft dasselbe Ergebnis in einem modern geführten Gerichtsverfahren erzielt werden könnte.

Wenn Mediation gelinge, sei das ein ausgesprochen befriedigendes Gefühl für alle Beteiligten, stellten die Referenten abschließend fest.ek