Wieder zu einem vernünftigen Leben kommen

Bewährungsstrafe für 32-Jährigen nach gefährlicher Körperverletzung und Trunkenheit | Teilweise schuldunfähig

Einbeck. Elf Monate Haft auf Bewährung für Körperverletzung und gefährliche Körperverletzung sowie vorsätzliche Trunkenheit im Straßenverkehr, dazu 150 Stunden gemeinnützige Arbeit: Nach einem langen Prozess hat das Schöffengericht beim Amtsgericht Einbeck einen 32-jährigen Einbecker verurteilt, dem eine ganze Reihe von Straftaten vorgeworfen wurde. Während mehrerer Verhandlungstage kam das Gericht zu dem Schluss, dass der junge Mann nicht für alles, wofür er angeklagt war, verantwortlich gemacht werden könne, denn Alkohol- und Drogenkonsum, ein Sturz auf den Kopf und auch die Gabe von Medikamenten führten teilweise zu Schuldunfähigkeit.

Eine »Mammutaufgabe« habe die Staatsanwaltschaft bei der Anklage, stellte Amtsgerichtsdirektor Thomas Döhrel fest. Es ging um einen Einbruchdiebstahl, der keiner war, um eine Auseinandersetzung mit einer früheren Lebensgefährtin, die sich als weniger dramatisch entpuppte als zunächst angenommen, um das Werfen eines Gullideckels, um handgreiflichen Streit und um einen Fahrradunfall im betrunkenem und bekifftem Zustand, nach dem der Einbecker sich nicht helfen lassen wollte, womit er weitere Maßnahmen auslöste.

Mit diesem Fahrradunfall beschäftigte sich das Gericht ausführlich. Im September des vergangenen Jahres war der Mann in der Schlachthofstraße gestürzt und dabei auf den Kopf gefallen. Von Passanten ließ er sich zunächst helfen, dann flüchtete er. Er attackierte die herbeigerufenen Polizeibeamten, und auch im Kommissariat ließ er sich nicht beruhigen, sei kaum zu bändigen gewesen. Dass er nicht in die Zelle, sondern in ein Schreibzimmer gebracht wurde, wo er weiter toben konnte, sei eine Fehleinschätzung gewesen, so das Gericht. Einsicht und Steuerung seien durch Alkohol und den Sturz auf den Kopf beeinträchtigt gewesen, stellte ein Rechtsmediziner fest. Schuldfähigkeit könne man für diesen Anklagebereich mit Beleidigungen, Bedrohungen und Beschimpfungen ausschließen. Er habe sich nicht »zugesoffen« und dann eine Straftat begangen, sondern sein Verhalten sei auch eine Folge des Sturzes – entsprechend müsse es einen Freispruch geben, befand das Gericht. Der Angeklagte selbst erinnerte sich ab dem Sturz an nichts – dabei hat sich danach noch einiges ereignet. So haben die als Zeugen befragten Sanitäter sich auf Unterlagen für eine Zwangseinweisung berufen, die gar nicht vorliegen konnten. Der Transport nach Göttingen sei nachweisbar falsch gewesen, hieß es. Außerdem hätten sie erhebliche Mengen Beruhigungsmittel gegeben, »wider jegliche ärztliche Kunst«. Mit Polizeibegleitung wurde der Einbecker in die Uniklinik eingeliefert und fixiert. Mehrere Stunden musste er dort bleiben, bevor die Polizei in den späten Abendstunden mit einem Haftbefehl kam und ihn mitnehmen wollte. Mit einem Fixiergurt, der gerade gelöst worden war, hat er nach einem Wachmann geschlagen und ihn am Auge verletzt. Das sahen sowohl die Staatsanwalt als auch das Gericht als so schwerwiegend an, dass eine Haftstrafe gerechtfertigt sei.

Schwierig war es für das Gericht, sich ein Bild von den Vorgängen im Juni des vergangenen Jahres zu machen, als der Angeklagte sich auf dem Parkplatz eines Supermarktes bedroht fühlte und sich mit einem Gullideckel gegen einen Autofahrer zu wehren versuchte. Mit einem solchen Ding auf eine Motorhaube zu springen und es dort fallen zu lassen, das sei ein Notwehr-Exzess, so das Gericht. Von Sachbeschädigung könne man sprechen, nicht aber vom zunächst angeklagten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Dass der Fahrer des Autos sich so erschreckt habe, dass er den Gang verwechselte und nicht rückwärts, sondern nach vorn gegen eine Wand fuhr, sei unglaubwürdig.

Der Gutachter aus der Rechtsmedizin hatte bestätigt, dass der Angeklagte langjähriger Konsument von Alkohol und Drogen sei – das hatte der 32-Jährige auch eingeräumt. Bier, Schnaps, Amphetamine, Joints, das war für ihn seit Jahren ein Dauerzustand. Arbeitslos sei er seit 2012, sein Leben sei danach ohne Orientierung gewesen. Nach mehrmonatiger Haft fühle er sich derzeit aber gesund und vernünftig.

Wie der Rechtsmediziner erläuterte, zeige der Alkoholwert zur Zeit des Fahrradunfalls – 2,59 Promille -, dass der Angeklagte an Alkohol gewöhnt sei. Er habe allerdings nicht so viel getrunken, wie er angegeben habe, und auch nicht so viel gekifft wie behauptet. Das Steuerungsvermögen sei dennoch erheblich vermindert gewesen, der Fahrradsturz eine Ursache für eine Verhaltensänderung. Auch die gefährlich hohe Gabe von Medikamenten könne Erinnerungslücken verursachen.

Der Angeklagte brachte eine Reihe von Vorbelastungen mit: Mehrfach ist er unter anderem wegen Körperverletzung, Beleidigung,
Widerstand oder Sachbeschädigung zu Geldstrafen verurteilt worden; von Ende September bis April war er in Haft.

Die Staatsanwaltschaft sah eine erhebliche verminderte, aber nicht aufgehobene Steuerungsfähigkeit und bestätigte, dass der Sturz zu einer Änderung im Verhalten geführt habe. Zu Gunsten des Angeklagten spreche, dass er mindestens teilweise geständig sei; gegen ihn müsse man aber die Voreinträge ins Strafregister berücksichtigen. Nach einer früheren Haft habe es eine erhebliche Rückfallgeschwindigkeit gegeben. Eine Gesamtstrafe von einem Jahr Gefängnis auf Bewährung wäre angemessen, mit dreijähriger Bewährungsfrist. Zudem sollten 150 Stunden gemeinnütziger Arbeit verhängt werden.

Verteidiger Matthias Wuttke arbeitete sich durch die Anklagen, und viel, stellte er fest, bleibe davon nicht übrig: eine Körperverletzung beim Streit mit seinen Kumpels, Freispruch wegen des Gullideckels, Trunkenheit im Verkehr. Die Unfallfolgen beleuchtete er eingehend: So sei die Platzwunde seines Mandanten von den Sanitätern vor Ort nicht behandelt worden, das sei unterlassene Hilfeleistung. Dass man eine Einweisung nach dem sogenannte Psychisch-Kranken-Gesetz durch den Haftbefehl ersetzt habe, sei ein »Hammer«, ebenso die hohe Gabe eines Beruhigungsmittels. Sein Mandant sei ohne Rechtsgrundlage gefesselt ins Klinikum gekommen. Als er losgebunden wurde, habe er überreagiert. Den Gurt habe er nicht gezielt als Waffe gegen den Wachmann eingesetzt, sondern aus Notwehr. In der Summe seien 90 Tagessätze angemessen. Einige im Verfahren aufgedeckte Inhalte müssten Konsequenzen haben, forderte er.

Abschließend zeigte sich der Angeklagte einsichtig: Er bat um Entschuldigung und stellte fest, dass diejenigen, mit denen er sich früher umgeben habe, ihn im Leben nicht weiterbringen würden. Er wolle einen Abschluss finden und zu einem vernünftigen Leben kommen.

Beim Strafrahmen hielt das Gericht dem Angeklagten zugute, dass er sich während der Verhandlung gut präsentiert habe. Er habe es in der Vergangenheit nicht leicht gehabt, habe aber auch gezeigt, dass er sein Leben im Griff haben könne. Die sozialen Fähigkeiten, die er zwischendurch verloren habe, sollte er sich jetzt bewahren: »Das würde ich Ihnen und uns wünschen.« Gegen das Urteil ist Berufung möglich.ek