»Wir können Einwohner werden von Digitalien«

Professor Dr. Ewald Wessling spricht beim »Einbecker Forum« der Sparkasse über die »Revolution 2.0«: Internet verändert die Welt

Ein Netzwerk mit einer Milliarde Mitgliedern hat die katholische Kirche in rund 2.000 Jahren erschaffen – Facebook wird das, so die Prognose, innerhalb von elf Jahren erreicht haben. »Wie Computer und Internet uns verändern«, zum Thema »Revolution 2.0« referierte in der Veranstaltungsreihe »Einbecker Form« Professor Dr. Ewald Wessling auf Einladung der Sparkasse Einbeck. Rasant geht es zu im Netz-Zeitalter, das heute Techniken entwickelt, die gestern kaum vorstellbar waren und die morgen schon zum Standard gehören werden.

Einbeck. Er freue sich, nach zweijähriger Pause die Reihe »Einbecker Forum« fortzuführen, hieß der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Einbeck, Stefan Beumer, die zahlreichen Zuhörer willkommen. Die letzten beiden Jahre seien wie im Flug vergangen – damals noch Krisen- und Weltuntergangsstimmung, heute schon wieder Vorkrisen-Standards fast überall. Die Welt sei schnelllebig geworden, das zeige nicht nur die Entwicklung der letzten Jahre. Internet habe die Welt und das Leben jedes Einzelnen verändert. Was sich da tue, dafür sei Professor Dr. Ewald Wessling ein kompetenter Referent – unterhaltsam, eingängig und auf Augenhöhe.

Mit einer Familiengeschichte begann der frühere Konzernmanager und Geschäftsführer von Gruner + Jahr, heute Professor für Neue Kommunikationsformen an der Fachhochschule Hannover, seinen Vortrag: Das ausrangierte Metallbett seiner Tochter wechselte nach einem Umzug für 2,13 Euro per Ebay die Besitzerin – von Hamburg nach Finnland. »Wie macht Ebay das?«, habe er sich gefragt, und was mache 2.0 mit jungen Menschen, mit »digital natives«, mit Eingeborenen im digitalen Land. Schon einmal habe eine Technologie die Gesellschaft revolutioniert, der von Gutenberg weiterentwickelte Buchdruck. Vorarbeiten zur Revolution 2.0 leisteten Konrad Zuse und sein Computer, Bill Gates, Gründer von Microsoft, Tim Berners-Lee, der den Browser entwickelte, die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page, und Facebook-Macher Mark Zuckerberg. Dieses soziale Netzwerk werde innerhalb von elf Jahren eine Milliarde Mitglieder erreichen, so die Prognose.

Die meistbesuchte Internetseite der Welt sei Google, und dort finde sich keine Werbung. »Der Nutzer steht an erster Stelle«, betonte Wessling, er müsse bestens befriedigt werden. »Und wenn Sie’s nicht tun, tut’s ein anderer.« Deshalb müsse man seine Sache richtig gut machen, ein Prinzip, das auch bei anderen Internet-Marken wie Ebay, You Tube oder Amazon fest verankert sei – Superprodukte mit begeisterten Nutzern.

»Es gibt nichts, wofür sich die Leute nicht interessieren«, die Long-Tail-These machten sie sich zunutze, um Angebote und Nachfrage zu verknüpfen. Dabei sei zwar der Bau der Plattformen schwierig und teuer, »aber wenn’s einmal läuft, wird jeder Erlös zum Gewinn. Mit Cent-Erlösen kann man so Milliarden-Gewinne machen.«, führte Wessling aus. Endlose Auswahl bringe unendliche Nachfrage: »Überfluss macht Märkte.«Dabei setze das Aal-Prinzip an: andere arbeiten lassen. Dem Unternehmen sei es egal, wer was verkaufe, es gewähre maximale Freiheit unter der Voraussetzung, dass alles einfach funktioniere. Vertrauen in den Kunden sei dabei wichtig, und die brutale Transparenz des Internets führe dazu, sich ausschließlich am Kunden zu orientieren. Web 2.0 verbinde Nutzerinteresse mit Daten, und die Daten wiederum würden durch Nutzung noch besser organisiert. Wie schnell sich diese Welt entwickele, machte er an einem Beispiel deutlich: Er selbst, Jahrgang 1961, sei aufgewachsen mit fünf Medien. Heute hätten 80 Prozent der Kinder Internet- und Computerzugang. Sie nutzten 5,4 Medien gleichzeitig, seien »digital natives«, mit SMS oder Instand Messaging vertraut; E-Mails seien für sie schon ein Medium für alte Menschen. »Aber auch wir können Einwohner werden von Digitalien, selbst wenn wir in Analogistan aufgewachsen sind«, machte Wessling Mut.

Die heutigen Jugendlichen seien die fähigste und die befähigtste Generation aller Zeiten: entspannt, kompetent, ohne Scham vor falschen Autoritäten. Keine Generation habe solche Möglichkeiten gehabt, Zugang zu Wissen zu bekommen. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Netzwerke, die Freunde von Freunden, die bisher im Verborgenen blieben. Die könne man jetzt sehen – und die Theorie der kleinen Welt verfolgen, dass jeder um sechs Ecken mit jedem bekannt sei. Was Xing beispielsweise leiste, schaffe ein Chef mit 100 Rollodex und 26 Sekretärinnen nicht. Entsprechend müsse man in den Unternehmen die entsprechende Umgebung für die jungen Mitarbeiter schaffen, eine Umgebung, in der sie sich wohl fühlen könnten. Was früher Stubenarrest gewesen sei, sei für Jugendliche heute der Handyentzug, die Trennung von ihren Freunden. Die Netzwerke der Kommunikation zeigten: Keiner ist so klug wie jeder, aber auch die Weisheit der Vielen werde deutlich. Wikipedia sei ein Beispiel dafür, dass das Prinzip funktioniere – ebenso wie der Zuschauer-Joker bei Günther Jauch. Andere Angebote wie Holiday-Check oder frag-mutti.de zeigten: Vertrauen ist gut, Empfehlung ist besser. Eine Lanze brach Wessling für Computerspiele, sie stünden für systematisches Lernen: Es gebe ein Problem, man suche eine Lösung, könne scheitern, müsse analysieren und stelle sich der Aufgabe erneut. In diesem Mechanismus könne man lernen. Es gebe bereits mehr als eine Million E-Sportler, 750.000 Deutsche würden »Counterstrike« spielen. Andere Spiele verhelfen zu geistiger und körperlicher Fitness. Mit der Playstation könne man im Sport zum Sieger werden wie Lewis Hamilton, wieder andere Spiele verbesserten Hand-Auge-Koordination – ein positiver Aspekt beispielsweise bei Schlüssellochoperationen. »Web macht klüger«, diese Einstellung teilten inzwischen viele Menschen.

»Daten kann man nicht schützen«, auch das machte der Referent deutlich. Das führe dazu, dass sich die Privatheit verändere, nicht nur durch Bewegungsprofile auf dem iPhone. Herrschaftswissen schütze Autoritäten nicht mehr, »und für Vermittler tickt die Uhr: Wer mit digitalisierten Daten arbeitet, wird angegriffen.« Seine Studenten seien immer erstaunt, dass es früher Heiratsvermittler gegeben habe – eine Aufgabe, die heute Portale wie Parship übernähmen. Gerade an die Wirtschaftsvertreter appellierte er zu überlegen, was sich digitalisieren lasse. Es werde zwar nicht alles verschwinden, »aber wenn’s keiner macht, mach’s Google.«

Eindeutig sprach er sich dafür aus, Kinder und Süchtige vor den Gefahren des Netzes zu schützen, »aber die Dosis macht die Droge.« Wertschätzen sollte man, was gut funktioniere: iTunes zähle ebenso dazu wie die Netzwerke Facebook oder Twitter. »Lassen Sie sich darauf ein und probieren Sie’s aus«, ermunterte er: »Melden Sie sich bei Facebook an, oder testen Sie eine Spielkonsole.« Wer auf Augenhöhe bleiben wolle, müsse mit seinen Kindern lernen, um mit ihnen die gleiche Sprache zu sprechenek