Wirtschaft, Kultur und Politik vor 95 Jahren

Annoncen und Ereignisse aus Einbeck im Jahr 1926 | Sollingfahrt, Mühlenbrand, Siedlung Eigenheim, Silvester

Einbecker Zeitungsannoncen von 1926. Damals waren die Telefonnummern in Einbeck noch dreistellig. Die meisten Betriebe sind Geschichte, aber einige existieren noch heute.

Einbeck. 1926 war die Stadt Einbeck bereits über die Stadtmauern hinausgewachsen. Rund um den alten Festungsring waren einige neue Straßen entstanden wie Langer Wall, Taternweg, Schützenstraße, Hubeweg, Walkemühlenweg und so weiter. Das Jahr hatte schlecht angefangen: Die mittlere Mühle, die Pohlsche Mühle am Benser Tor, wurde in der Silvesternacht 1925/26 durch einen Brand zerstört. Die im Diekturm feiernden »Wandervögel« entdeckten das Feuer. Das Ehepaar Pohl war im Gottesdienst. Einige retteten die Kinder und Großmutter aus den Flammen, andere liefen zur Polizeiwache am Hallenplan, um das Feuer zu melden. Hier glaubte man zunächst an einen Silvesterscherz, bis die Feuerwehr von ihrer Silvesterfeier aus ihrem Stammlokal ausrückte.

1926 war die Demokratie noch jung. Im März wurde Landrat von Engel vom preußischen Innenminister beurlaubt. Der Landrat hatte sich geweigert, die Einzeichnungslisten für ein von der SPD und KPD eingereichten Volksbegehren über die Fürstenabfindung öffentlich auszulegen. Am 13. August wurde der Regierungsassessor Otto Gail zum kommissarischen Landrat des Kreises Einbeck ernannt, am 23. Dezember wurde er einstimmig gewählt.
Der Volksentscheid zur Enteignung der Fürstenhäuser scheiterte landesweit. Lokal stimmten in Einbeck und den Dörfern zirka ein Drittel der Wahlberechtigten für die Enteignung.

1926 wurde Bäckermeister Friedrich Glenewinkel in den Vorstand des Geschichtsvereins aufgenommen. Zu dieser Zeit waren dort heute in Einbeck legendäre Geschichtsforscher wie Ellissen, Feise und Fahlbusch vertreten.

Am 15. April eröffnete der vaterländische Frauenverein einen Kindergarten an der Weststraße, heute die Seminarstraße unterhalb der Pestalozzischule.
Zu diesem Zeitpunkt war bei Stukenbrok bereits die Jahresproduktion erreicht. Die Auftragslage war mäßig, und es lagen 10.000 Räder fertig montiert im Lager. Der Chef stoppte die Produktion und richtete mahnende Worte an seinen Prokuristen, denn auch das » Lager ist ausserordentlich gross, und Gelder sind trotz der vielen Schulden nun doch nicht zur Hand; so kann es auf keinen Fall weiter gehen.« Leider sollte es so weitergehen, denn es war der Anfang vom Ende des weltumspannenden Einbecker Versandhauses.

Noch immer herrschte in Einbeck großer Wohnungsbedarf. Weil die Stadt keine Mittel zum Wohnungsbau hatte, schlug SPD-Bürgervorsteher Wilhelm Messerschmidt den Bau von Wohnungen in gemeinschaftlicher Eigenleistung vor. Bei einer ersten Informationsveranstaltung meldeten sich 14 Bauwillige, die noch während der Veranstaltung die Siedlungsgenossenschaft Eigenheim gründeten. Ende 1926 hatte die Gesellschaft 69 Mitglieder mit genauso vielen neu gebauten Wohnungen im »roten Dorf«.

Im August 1926 war im konservativen Lager die finanzielle Grundlage zum Bau eines »Kriegerdenkmals« (Ehrenmal) gegeben. 40 Vertreter der verschiedenen Einbecker »vaterländischen Vereine und Verbände« planten gemeinsam den Baubeginn. Ein Jahr später begannen die Vorarbeiten im Bereich zwischen dem heutigen Carl-Diem-Weg und Knickebrink. Kulturell schien man in Einbeck auch eher Vaterländisches zu bevorzugen, Stahlhelm-Mitglieder führten zum Beispiel im Gasthaus »Traube« das Schauspiel »Kolberg« auf.

Im Gegensatz dazu stand das vielfältige und bunte kulturelle Programm eines Einbeckers im Berlin der »goldenen Zwanziger Jahre«: Wilhelm Emil Boden alias Wilhelm Bendow erfand in dieser Zeit die Urversion des heute noch bekannten Sketches »Auf der Rennbahn«, den er im »KaDeKo«, dem Kabarett der Komiker, aufführte. Loriot sollte Jahrzehnte später das »ja wo laufen sie denn?« unsterblich machen. Im gleichen Jahr hatte er seine erste Schallplatte veröffentlicht. Im »KaDeKo« spielten unter anderem auch Karl Valentin, Liesl Karlstadt und Hans Moser. Silvester 1926 feierte er mit Olga Tschechova, Leni Riefenstahl, Camilla Horn, Willy Fritsch und Lilian Harvey.

Wilhelm Bendow entstammt übrigens der Familie Boden, die in der Annonce unten rechts für das Einbecker Exportbier wirbt. Direkt darüber empfehlen sich das Gasthaus »Zur Hube« und das Hotel »Goldener Löwe«. Hubewirt Albert Hase konnte mit seinem schattigen Garten und den großen Spielwiesen punkten, die Gebrüder Ihssen vom »Goldenen Löwen« bezeichneten sich als gehobenes Haus »mit bekannt guter Küche, Weine erster Häuser«, Autogarage, Saal und Ausstellungsräumen.

Das Inserat der Ilmebahn macht touristisch gesehen wehmütig: Reisende aus Hildesheim konnten morgens um 7 Uhr den Zug am Bahnhof besteigen und über Einbeck um 9 Uhr in Dassel ankommen. Von hier aus konnte man gemütlich durch den Wald über Schießhaus nach Holzminden wandern. Dort nahm man die Weserfähre nach Hameln und hatte Zeit für einen ausgiebigen Stadtbummel. Nach einem erlebnisreichen Tag war man bereits kurz vor halb 9 Uhr abends zurück in Hildesheim.

Einige der dargestellten Betriebe gibt es nicht mehr. Die Kunstglaserei und Kunsthandlung Christian Lauritzen, Reiche-Wagenbau und das legendäre Brechts Puddingpulver sind Geschichte.

Bis heute erhalten haben sich aber der Blaudruck, Farben-Schrader und die Stadtwerke. Letztere brachten ihren Kunden mit einer Karikatur den Gebrauch von Gas statt Strom näher: »7 Pfennige kostet das Kochen einer Mittagsmahlzeit für 5 Personen auf einem sauberen Gaskocher. Lassen sie Ihr Gerät nachsehen! Ihr Geld fliegt zum Schornstein hinaus, wenn Sie mit Kohlen kochen oder heizen. Sie verwenden es 10-13 mal so gut, wenn Sie Gasheizung für den Küchenofen und die Zimmeröfen haben!«wk