Young Art macht Einbeck zur Kunstgalerie

Sechs Objekte neu gestaltet | Nachhaltige Eindrücke bei den Atelierkonzertbesuchern | Künstlerische Vielfalt

Einbeck. Die Vorbereitungen für die erste Einbecker Street-Art-Meile begannen schon im Herbst letzten Jahres. Um für Street-Art-Künstler möglichst beste Vorrausetzungen zu schaffen, mussten zunächst Objekte gefunden werden, die von ihren Eigentümern zur Gestaltung freigegeben würden. Mit offenen Augen wurde die Stadt von den Young Artlern betrachtet. Letztendlich konnten insgesamt sechs Objekte für die Kunstaktion »Street-Art-Meile 2014« festgemacht werden. Hierzu zählten eine Garage im Einfahrtsbereich des Kindergartens Münstermauer, eine Wand am Haus Ecke Tiedexer Tor/Maschenstraße, die große Tordurchfahrt in der Tiedexer Straße 27, der weiße Vereins-Audi der »Konzertfreunde« TangoBrücke, der Bauzaun vor der Baulücke in der Langen Brücke 5 und als Außenstelle noch eine Bushaltestelle in Vardeilsen.

Es folgten Vorbereitungsmaßnahmen an den Objekten. Der »Art-Spot Nummer 1«, eine  Garage mit Spitzdach zwischen der Stadtgrabenstraße und der Münstermauer, wurde schon im Herbst 2013 aufwendig vorbereitet durch den  Malergesellen Dennis Steins. Außerdem entstand in der großen Tordurchfahrt in der Tiedexer Straße 27 zu den Garagen in den Hinterhöfen der Tiedexer Straße zwei gut zehn mal 3,5 Meter große Flächen. Die Suche nach Künstlern für die Art-Spots verlief mehrspurig. Unter der Leitung von Eileen Janowsky wurden zunächst lokale Personengruppen von der Ilmeschule und der Harz-Weser Wohnstätte eingeladen. Ebenso konnten engagierte Einbecker Hobbykünstler wie beispielsweise John Deppe und Mona-Isabelle Hüser für die Aktion begeistert werden. Für die größeren Art-Spots wurden professionelle Street-Art-Künstler aus dem In- und Ausland gesucht. Insgesamt sieben konnten dafür begeistert werden, zur Street-Art-Meile nach Einbeck anzureisen.

Am Freitag begann das bunte Treiben in der Einbecker Innenstadt. Der offizielle Startschuss der Street-Art-Meile 2014 bildete das Vernissagekonzert der Jazzformation »Blue Break Trio« in der Tordurchfahrt der Tiedexer Straße 27. Währenddessen entstanden auch die ersten Bilder an den Wänden der erstmalig auflebenden Young Art Open Air Galerie. Die Musik wirkte auf die Maler, die entstehenden Bilder regten die Musiker zu spannenden Improvisationen an, und über allem lag die eigentümliche Stimmung einer alltäglichen Abendstimmung. Autos fuhren über die »Bühne«, Passanten schauten erstaunt  in die neue Galerie, die in diesem Moment Konzertbühne, Publikumsraum und Atelier in einem war. Die vordergründig anscheinenden Gegensätze von Konzertflügel und Abendpublikum auf der einen und den klackenden Spraydosen auf der anderen Seite lösten sich mit jedem Ton und jeder neuen Farbnuance auf. Es blieben am Ende nachhaltige Kunsteindrücke bei den Atellierkonzertbesuchern und erste, ganz unterschiedliche Bilder an den Wänden der Open-Air-Galerie. »Der Auftakt der Street-Art-Meile übertraf bereits in seiner künstlerischen Vielfältigkeit und seiner wechselseitigen Wirkung all unsere Erwartungen«, so Rainer Michael Hartje, Mitorganisator. 

Am Sonnabend waren dann erstmalig an allen Art-Spots zeitgleich Künstler aktiv. Die erste Begegnung mit der Street-Art-Meile bekamen Besucher der Innenstadt in erster Linie an den zwei exponiertesten Art-Spots. In der Langen Brücke, dem Zugang zum Marktplatz, hatte der Hamburger Graffitikünstler Christoph Popp bereits ein eindrucksvolles Portrait an den gut sieben mal 2,5 Meter großen Bauzaun gemalt. Einige Meter weiter auf dem Marktplatz arbeitete der Airbrushkünstler Kevin Lasner von KOarts am weißen Audi der »Konzertfreunde« TangoBrücke. An den beiden Art-Spots konnten sich interessierte mit den Künstlern unterhalten.

Die Young Art Street-Art-Meile wurde in Kooperation mit dem Festival in Einbeck veranstaltet. Ein weiterer Clou für alle, die die Street-Art-Meile komplett entdecken wollten, waren die geführten Segway-Touren. In Gruppen haben viele Menschen auf dem Segway die Street-Art-Meile komplett gesehen. Znächst entdeckt werden konnte die Kunst-Garage am Kindergarten Münstermauer. Hier war inzwischen bereits eines der eindrucksvollsten Bilder der Street-Art-Meile entstanden. Der Hannoveraner Graffitikünstler Patrik Wolters, Alias Bener1, hatte mit seinen Spraydosen auf einer Fläche von gut sechs mals vier Meter einen nachdenklich dreinblickenden Schimpansen geschaffen, der vor einer durch Feuer und Rodung zerstörten Landschaft in eine alarmierende Leere blickt. Auf der Rückseite der Garage in Richtung Kindergarten entwarf der Künstler Johannes Kadlicsek ein freundlich anmutendes Bild, das speziell für die Kinder des Kindergartens Münstermauer gedacht ist.

Weiter ging es in Richtung Tiedexer Straße. Am Haus Ecke Maschenstraße war der zweite Art-Spot. Das Haus bietet eine 6,5 mal drei Meter große weite Wandfläche. Die Arbeiten mit Bleistift und Pinsel erwiesen sich hier jedoch als sehr mühselig, da die Wandfläche einen sehr groben Strukturputz aufweist. Nach einigen Stunden Arbeit fiel schließlich die Entscheidung, diesen Art-Spot zunächst nicht weiter zu gestalten.  Einige Meter weiter stadteinwärts gelangten die Segwayfahrer schließlich zur Young Art Open Air Galerie in der Tiedexer Straße 27. An den beiden Wänden in der Tordurchfahrt wurde von Freitag bis Sonntag nahezu ununterbrochen künstlerisch gearbeitet. Die linke Wand war im Vorfeld in 74 verschiedengroße Felder unterteilt worden. In jedem Feld konnten sich Maler kreativ ausleben. Die rechte Wand teilten sich die professionellen Künstler Oliver Leo aus Hamburg sowie Michal Baca und Andrej Cavojsky aus Bratislava. Oliver Leo, der seine Bilder mit dem Pseudonym »SCEK« signiert, freute sich sehr über die Aufgeschlossenheit der vielen Einbecker Passanten. »Selten wurden wir in der Vergangenheit mit unseren Werken von Passanten so freundlich begrüßt wie hier im schönen Einbeck. Wir haben sogar schon neue Einladungen nach Einbeck erhalten«, so Oliver Leo. Musikalisch wurden die Arbeiten in der Open-Air-Galerie in den Nachmittagsstunden von verschiedenen Pianisten und der Band »Buchstaben« begleitet.

Weiter ging die Reise auf der Street-Art-Meile über den Marktplatz entlang am Airbrush-Art-Spot. Der Airbrushkünstler Kevin Lasner arbeitete Stunde um Stunde an filigranen Motiven auf dem PKW und wurde dabei von vielen Passanten zu seiner Arbeit beglückwünscht. Der Kunst-Audi wird derzeitig durch die Firma Grass kostenlos mit einem Klarlack nachbearbeitet.

Als letzten Art-Spot passierten die Segwaygruppen den Bauzaun in der Langen Brücke. Das Portrait mit afrikanischen Zügen des Street-Art-Künstler Christoph Popp wurde gegen Nachmittag bereits fertig, sodass der Künstler am Sonnnabendabend noch ein weiteres Motiv oberhalb des FINE-Geländes auf einer Bauzaunplane gestalten konnte. Auch Christoph Popp hat einen Nachfolgeauftrag zur Gestaltung einer Hinterhofhauswand in der Einbecker Innenstadt erhalten und wird somit schon in Kürze wieder nach Einbeck kommen. Nachdem am Sonntag alle Künstler ihren Werken noch den letzten Schliff verliehen, fand die Street-Art-Meile 2014 ihren Abschluss mit dem Finissagekonzert des Pianisten Gintaras Janusevicius in der Young Art Open Air Galerie. In der ersten Konzerthälfte inspirierte Janusevicius die vier noch aktiven Künstler beim Malen mit Werken von Rachmaninov, Tschaikowski und Debussy. Vor der Pause zog der Pianist gemeinsam mit der jungen Malerin Eileen Janowsky das Publikum komplett in seinen Bann. Die beiden Künstler hatten vereinbart, dass im sechsminütigen Stück »To the Fallen« von Derek Woods ein komplettes Bild entstehen sollte. Eileen schuf zunächst zu den melancholischen Klängen des Klavieres einen rot-schwarzen Hintergrund mit einem breiten Pinsel. Sie nutzen dabei ihre Beine und Arme als Farbpalette und verschmolz so förmlich mit ihrem Bild. Nach rund drei Minuten begann die junge Künstlerin mit den Fingern schwarze Konturen in das Bild zu ziehen. Unter den Augen von gut 50 Zuschauern entstand aus dem roten Hintergrund nahezu von einem zum anderen Moment eine Frauenfigur, die zusammengezogen mit den Knien an der Burst in sich selbst Schutz zu suchen scheint. Die letzten 30 Sekunden begleitete der Pianist sich selbst, in dem er die tragende Melodiestimme pfiff. Die Musik verklang, und das Bild war erschaffen.

»Es war für mich die bisher beeindruckenste Kulturveranstaltung außerhalb der TangoBrücke«, so Martin Keil, Organisator des Kuturprogramms in der TangoBrücke. Nach dem Erfolg dieser ersten Street-Art-Meile steht für die Veranstalter von Young Art fest: Diese Veranstaltung soll es möglichst jedes Jahr zu erleben geben.oh