Zweieinhalb Jahre Haft nach Böller-Anschlag

26 und 24 Jahre alte Rechtsextreme beim Amtsgericht geständig | 15 Monate auf Bewährung für Jüngeren

Einbeck. Zweieinhalb Jahre Haft für den 26 Jahre alten Angeklagten, 15 Monate auf Bewährung für den 24-jährigen: Das Schöffengericht beim Amtsgericht Einbeck unter dem Vorsitz von Direktor Thomas Döhrel ist beim ursprünglich auf drei Tage angesetzten Prozess gegen zwei szenebekannte Rechte bereits zu einem Urteil gekommen.

Die beiden Männer waren angeklagt, in den Morgenstunden des 10. Juni einen Polen-Böller in einen Briefkasten in der Maschenstraße gesteckt zu haben. Er gehört einer 41-Jährigen, die in der linken Szene aktiv ist. Sie trat im Prozess als Nebenklägerin auf. Man habe ihr einen Denkzettel verpassen wollen. Vorausgegangen - und ebenfalls angeklagt - waren unter anderem Körperverletzung, Beleidigung und Nötigung.

Gegen 3.50 Uhr am 10. Juni hatte der ältere Angeklagte einen gezündeten Polen-Böller in den Briefkasten der 41-Jährigen in der Maschenstraße gesteckt, wo er explodierte. Der 24-Jährige stand derweil an der Ecke »Schmiere«. Bei einer zweiten Zündung explodierte der Böller vorzeitig, er trug Verletzungen an beiden Händen davon. Bei seiner Festnahme - die Blutspur hatte die Polizei zur Wohnung eines weiteren Rechten geführt - beleidigte er die Beamten. In der Universitätsmedizin Göttingen, wo er ärztlich versorgt wurde, wurde ein Wert von 1,44 Promille gemessen.

Über ihre Anwälte räumten beide Angeklagte die Vorwürfe ein. Am 9. Juni gegen Mittag hätten sie sich getroffen und getrunken, wie fast täglich. Die Tagesdosis lag bei zehn Dosen Bier oder mehr. Zufällig trafen sie auf die 41-Jährige, es kam, wie öfter bei diesen Begegnungen, zu Streitigkeiten, in deren Anschluss der ältere Angeklagte mit seinem Trinkkumpan überlegte, man müsste ihr einen Denkzettel verpassen. Das passierte in der folgenden Nacht in Form des Böllers im Briefkasten. Aus Verärgerung über seine Dummheit, sich selbst verletzt zu haben, und über die Schmerzen habe er seinen »Brass« an den Polizeibeamten ausgelassen. Sein Mandant bedauere sein Verhalten ausdrücklich, teilte der Verteidiger mit.

Aus einer Vernehmung in der Untersuchungshaft wurde er allerdings mit »Schade, dass sie nicht hinter der Tür gestanden hat« zitiert. Bereits früher war es zu einem Zusammenstoß mit der Einbeckerin gekommen: Der 26-Jährige sagte ihr, sie solle sich vom Nazi-Kiez fernhalten. Als sie unerwünschtes Filmen verhindern wollte, hatte er ihren Zugriff abgewehrt.

Der zweite Angeklagte ließ ebenfalls seinen Anwalt sprechen: Es habe sich so zugetragen wie geschildert. Auch er verwies auf große Mengen Alkohol und den spontanen gemeinsamen Tatentschluss, den Böller zu zünden. Der Denkzettel sei gedacht, »damit man weiß: Ich habe euch aufm Schirm.« Man habe damit gerechnet, dass der Briefkasten »ein bisschen mitkriegt«, nicht aber, dass das ganze Haus explodiere.

Zu den Böllern, die der 26-Jährige besessen hatte, hat das Landeskriminalamt in einem Gutachten mitgeteilt, es seien sogenannte Polen-Böller gewesen - mit geringer Gefahr, allerdings mit bis zu zehnmal so viel Nettosprenstoffmenge wie vergleichbare Böller. Nach der Zündung sei ein Abstand von 40 Metern einzuhalten. Seit 2018 durften sie in Europa nicht mehr verkauft werden.

In ihrer Zeugenaussage bestätigte die Nebenklägerin, dass es mehrere Begegnungen mit den Angeklagten gegeben habe, immer wieder mit Beschimpfungen. In der Nacht des Anschlags sei sie wach geworden, weil es zweimal geknallt habe. Sie habe dann Stimmen gehört, sei zur Haustür gegangen und habe den zerstörten Briefkasten gesehen. »Nicht gut«, sagte sie auf die Frage, wie es ihr inzwischen gehe. Auch ihre Familie sei betroffen. Sie habe Schlafstörungen, habe sich auch Hilfe geholt. »Ich bin halt Opfer.« »Du kannst dir aussuchen, wie du stirbst«, habe einer der Angeklagten an einem Innenstadt-Supermarkt am Abend vorher gesagt, wo man aufeinander getroffen sei.

Während der jüngere Angeklagte bisher nur zweimal aktenkundig mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist, hat der ältere eine ganze Reihe von Vorbelastungen: Rund ein Dutzend Einträge finden sich da seit 2008; Beleidigung, Widerstand, Hausfriedensbruch, Volksverhetzung, Zeigen von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen, Sachbeschädigung, Widerstand, unerlaubter Waffen- und Betäubungsmittelbesitz gehören dazu.

Zu den persönlichen Verhältnissen des 24-Jährigen hieß es, er habe nach dem Hauptschulabschluss eine Ausbildung begonnen, aber abgebrochen. Anschließend sei er als Produktionshelfer tätig gewesen. Dann sei Corona gekommen, danach die Untersuchungshaft. Da habe er sich Gedanken über sein Leben gemacht und festgestellt, dass es so nicht weitergehen sollte. Er wolle die Gegend verlassen, weg aus diesem Rechts-Links-Scharmützel, und woanders eine Ausbildung beginnen. Der 26-Jährige hat nach dem Hauptschulabschluss und einer abgebrochenen Ausbildung nichts vorzuweisen, ein »eher perspektivloses Dasein« mit Hartz IV.

Bei der Haupttat habe sich der Sachverhalt bestätigt, stellte die Staatsanwaltschaft in ihren Plädoyer fest. Beide seien beteiligt gewesen: einer habe die Böller gezündet, der andere »Schmiere« gestanden. Nicht eingeräumt wurde, dass nicht nur die 41-Jährige, sondern auch ihre Familie gefährdet wurde. Das Nichteintreten von Schaden sei lediglich vom Zufall abhängig gewesen. Ein Schäden wäre dem Hauptangeklagten aber recht gewesen. Dass es beim Versuch geblieben sei, bedeute keine Milderung der Strafen, denn man habe eine konkrete Gefährdung herbeiführen wollen.

Ebenso seien die Angeklagten durch Alkohol in der Schuldfähigkeit nicht beeinträchtigt: Sie würden regelmäßig trinken, seien in der Lage gewesen, den richtigen Briefkasten auszuwählen, und hätten sich nach der Tat gegenüber den Polizeibeamten eine Ausrede einfallen lassen, woher die Verletzungen stammten. Strafmildernd könne geltend, dass die Männer teilweise geständig seien und der Sachschaden mit etwa 600 Euro gering blieb. Allerdings habe der ältere Angeklagte viele Vorstrafen. »Rechts will links einen Denkzettel verpassen«, das verstoße gegen die Meinungsfreiheit. Das Opfer sei im Schlaf überrascht worden, mit weitreichenden Folgen, denn in den eigenen vier Wänden wolle man sich sicher fühlen. Die Staatsanwaltschaft hielt eine Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten für den älteren und zweieinhalb Jahren für den jüngeren Angeklagten für richtig.

Es sei nicht absehbar gewesen, was sich hinter der Haustür befand, stellte Rasmus Kahlen als Vertreter der Nebenklägerin fest. Dass auch Kinder im Haus gewesen seien, sei dem Angeklagten egal gewesen. Er stellte auch den Spontanentschluss in Frage. Über längere Zeit sei seine Mandantin bedroht und Gewalt ausgesetzt gewesen, wie sie von links so nicht ausgehe. Dass eine Gruppe bedroht werde und sich das nicht gefallen lasse, sei unbequem für eine Stadt wie Einbeck. Hier habe jeder das Recht in Frieden zu leben, das dürfe die rechte Szene niemandem absprechen.

Verteidiger Christopher Klein sah es für seinen Mandanten, den 24-jährigen Angeklagten, anders als die Staatsanwaltschaft: Er habe sich keine vertiefenden Gedanken über die Tat gemacht, alkoholbedingte Enthemmung habe dazu geführt. Es sei nicht anzunehmen gewesen, dass sich um diese Zeit jemand im Hausflur aufhalte. Eine versuchte schwere Brandstiftung sei nicht nachzuweisen, der Tatentschluss auch nicht zweifelsfrei. Die nachträglichen Äußerungen des Mitangeklagten seien geschmacklos, aber nicht zu Lasten seines Mandanten zu sehen. Das Einwirken auf die 41-Jährige sei eine »Schweinerei«, aber die rechtliche Würdigung müsse von Sachbeschädigung und Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz ausgehen. Er beantragte eine zehnmonatige Haft, wobei sein Mandant sich bereits seit fünf Monaten in Untersuchungshaft befinde. Er bemühe sich, seinem Leben eine neue Richtung zu geben, habe den Weckruf beziehungsweise Warnschuss gehört.

Die Tat sei nicht zu entschuldigen, stellte auch Andreas Wölfel, Verteidiger des 26-Jährigen, fest. Er betonte, es gebe ein Tat-, kein Gesinnungsstrafrecht. Unstrittig gebe es die Auseinandersetzung mit der Antifa-Aktivistin, man habe ihr einen Böller in den Briefkasten gesteckt. Er stellte in Frage, ob sein Mandant zur Tatzeit noch voll orientiert gewesen sei. Eine versuchte schwere Brandstiftung sehe er nicht, der Böller sei dazu nicht geeignet gewesen. Eine versuchte Sprengstoffexplosion hätte einen höheren Schaden verursachen müssen. Es »nur« der Briefkasten getroffen worden, wobei es keine 08/15-Sachbeschädigung sei. Erhebliche Alkoholisierung, umfassendes Geständnis und die Eigenverletzungen sollte man berücksichtigen. Ein Jahr Haft auf Bewährung halte er für angemessen.

Auf ein Schlusswort verzichteten beide Angeklagte, der Jüngere ohne Kommentar, der ältere murmelte »Nein, besser nicht.«
Wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung und gemeinschaftlicher versuchter Sprengstoffexplosion wurde der 24-Jährige zu einer Haftstrafe von 15 Monaten verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung. Die Bewährungsfrist läuft über drei Jahre. 100 Arbeitsstunden hat er ebenfalls zu absolvieren. Der 26-Jährige wurde wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung, versuchter Herbeiführung eines Sprengstoffanschlags, Beleidigung sowie Nötigung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

In seiner Urteilsbegründung zeichnete Amtsgerichtsdirektor Döhrel den Tatablauf nach, wie er sich für das Gericht dargestellt habe. Beide hätten sich verabredet, bei der 41-Jährigen einen verbotenen Böller in den Briefkasten zu werfen - ohne zu wissen, wie es dahinter aussehe. Sie hätten in Kauf genommen, dass dabei alles Mögliche kaputt gehen könne. Man habe nicht damit rechnen müsse, dass das ganze Haus in die Luft fliege, könne aber von Glück sagen, dass kein weiterer Schaden entstanden sei. Auf versuchte Brandstiftung gebe es allerdings keine Hinweise.

Der 24-Jährige sei in seinem Leben gut gestartet, dann habe es seinen Bruch gegeben. Hobbys und Lebenssinn habe er bei den Rechten gefunden: Saufen, Leute bepöbeln, da habe er mitgemacht. Es sei aber aufgrund seiner Persönlichkeit nicht anzunehmen, dass er das angetrieben habe. Man habe die Strafe zur Bewährung ausgesetzt, weil er es schaffen könnte, sich aus dem Umfeld zu lösen.

Schwieriger sei es beim 26-Jährigen, ihn sehe man als Triebfeder. Der politische Hintergrund der Tat sei, anders als die Staatsanwaltschaft das sehe, nicht strafschärfend. Vorbelastungen und Persönlichkeit seien nicht von rechtem Gedankengut geprägt, sondern vom Wunsch nach Selbstdarstellung. Macht und Gewalt würden ihn mit Glück erfüllen, das finde er in der rechten Ideologie, in der achtköpfigen Szene in Einbeck. Sich da in den Vordergrund zu stellen, das wünsche er sich. Das Angebot, sich Tat und Nacht mit der Antifa zu streiten, habe er ausgelebt, auch am 10. Juni. Nichts von dem, was er bisher an Strafen erlebt habe, habe ihn beeinflusst, niemand habe ihm Grenzen gezeigt. Man hoffe, so der Richter in seiner Urteilsbegründung, auf eine Persönlichkeitsveränderung bei diesem Angeklagten, aber man sei da nicht optimistisch - möglicherweise zu Recht: Bevor er für die Rückkehr in die Haftanstalt transportfähig gemacht wurde, nutzte er die Gelegenheit, gegenüber der Nebenklägerin Grimassen zu schneiden.ek