60 Jahre Theatergeschichte(n)

Das war die Jubiläumsgala auf der Greener Burg

Die erste »Sofarunde mit (von links) Jochen Stern, Marco Luca Castelli, Uwe Schwarz und Moderator Achim Lenz.

Greene. Von Regenschauern lassen sich die Gandersheimer Theatermacher nicht so ohne weiteres erschüttern. Erst recht nicht, wenn sie auf der Greener Burg 60 Jahre Theatergeschichte mit so vielen schönen Erinnerungen und bewegenden Begegnungen feiern. Das gilt natürlich auch für das Publikum, das geduldig abwartet, wenn die Bühne vorübergehend unter Wasser steht und jetzt erst mal Wischer, Lappen und Tücher zum Einsatz kommen. »Singing in the Rain« summt Intendant Achim Lenz bei der Mikrophonprobe und kontert den wetterwendischen Auftakt zur Jubiläumsgala mit charmanter Ironie.

Wie geplant stimmt dann das Ensemble die Zuschauer musikalisch mit dem Titelsong aus dem gefeierten Musical »Fame« ein und gönnt der »Addams Family« eine weitere schräge Show. Lenz lässt es sich nicht nehmen, jetzt erst recht »das beste Publikum der Welt« zu feiern, das Regenschauer, Sturmböen und Kälteeinbrüche einfach aussitzt, weil es unbedingt die Aufführung erleben will, und dass er ja überhaupt nur deshalb Intendant der Domfestspiele geworden sei.

Es gibt viel zu erzählen über die Gründerjahre der Domfestspiele, das auch im Programmheft nachzulesen ist. Lenz hält ein leicht ramponiertes, nasses Exemplar in die Höhe, in der das Engagement des Festspielinitiators Eberhard Gieseler beschrieben wird. Wie er zur 1100 Jahrfeier des Stiftes »Das Lied von Gandersheim« auf dem Marktplatz inszenierte – damals noch Bundes-Durchgangsstraße – und als Intendant des gerade gegründeten Kulturwerks »Bundesweihestätte Burg Greene« 1952 die ersten Burgfestspiele in Greene veranstaltete bis 1959 die Bühne vor der Stiftskirche zum sommerlichen Theatertreffpunkt wurde.

Auch davon berichtet Lenz in seiner kurzweiligen Chronik über 60 Jahre Festspielbegeisterung. Dabei stehen ihm natürlich kenntnisreiche Theaterveteranen wie zum Beispiel Peter Dietrich zur Seite, der als Schüler bei der ersten »Jedermann« Aufführung vor dem Dom als Knecht des damaligen Filmstars Gustav Fröhlich mitwirkte. Nach einem hoch dramatischen Monolog gibt er auch noch mal einen imposanten »Jedermannruf« zum Besten und sorgt für schön schaurige Stimmung.

Jetzt gönnt sich Felicitas Heyerick endlich das Bier, das ihr die Autorin der Szenenfolge »Bier für Frauen« für die Aufführung auf der Studiobühne in Brunshausen in ihrer Regieanweisung verweigert hat. So lassen sich auch die männlichen Fußballfantasien genüsslich verspotten, die Festspielveteran Jochen Stern später mit dem wunderbaren Wortwitz von Heinz Ehrhardt kontert. Das erheitert natürlich die WM Fans, wenn 44 Beine ziellos durch die Gegend rasen und deshalb halt ein »Rasenspiel« veranstalten. Zur ersten »Sofarunde« hat Achim Lenz mit Uwe Schwarz, Jochen Stern und Marco Luca Castelli zwar nur ein Trio formiert. Aber das glänzt um so mehr durch überraschende Spielzüge auf dem Spielfeld vor dem Dom. So manches ist eben auch ein bisschen in Vergessenheit geraten.

Dass zum Beispiel die Darsteller und Statisten bei Brechts »Dreigroschenoper« gewaltig verschnupfen, weil der Kirchenvorstand das Stück für skandalös befunden hatte und den Bühnenzugang über den Kirchenraum verweigerte. Beharrlich blieben wiederum die Intendanten, die natürlich meist auf Widerstand stießen, wenn sie neue Formate erprobten, um die Domfestspiele weiterzuentwickeln.

Gelegentlich gefröstelt hat auch Jochen Stern, der unter drei Intendanten auf der Dombühne stand und ebenso beharrlich blieb. Neben den Rollen begeisterte ihn auch der enge Kontakt zur Bevölkerung. Und wenn Marco Luca Castelli von einer Ersatzfamilie schwärmt, sei es im Ensemble oder bei den Gandersheimer Bürgern, kommt sogar die Kurstadt zu einer besonderen Würdigung. Weil seine Tochter seine Textbücher gern bemalt und auseinanderreißt, um damit zu spielen, konnte der Schauspieler im theatralen Kurklima endlich seinen »Jedermann«-Text lernen.

Von seinem Ensemble lässt sich Achim Lenz gern bestärken, wenn er nach weiteren Musicalfavoriten für die nächsten Festspieljahre Ausschau hält und gemeinsam mit dem Publikum die Abstecher in »Greese« und in das Abba Musical genießt.

Bei der zweiten Sofarunde stellt sich dann heraus, dass nicht nur der Schweizer Theatermacher noch weitere überraschende Spielzüge auf Lager hat. Jetzt verrät sein Vorvorgänger Johannes Klaus, dass er seinen damaligen Assistenten Achim Lenz schon als potenziellen Theaterleiter im Blick hatte und wie er mit Dramaturgin Hilke Bultmann als kluger und konditionsstarker Sparringspartnerin seine Strategie erfolgreich entwickeln konnte.

Zur Sprache kommen auch regnerische Festspielsommer und Produktionen, die vielleicht nicht so liefern wie erhofft. »Man müsse durch den Dreck gehen und sehen, wie es funktioniert« kontert Klaus und denkt dabei auch zurück an die vielen Gespräche, wann immer er in der Stadt unterwegs gewesen sei, wo ihm jemand seine Meinung über die aktuelle Inszenierung sagte, die keineswegs immer nur positiv gemeint war und ihn zum Nachdenken angeregt habe, was man anders und besser machen könne.

Auf der Greener Jubiläumsbühne kommt es jetzt zu einer kleinen Sternstunde mit dem Theatermagier Johannes Klaus, der einen Monolog von Heinrich Kleist aus seinem Drama »Prinz von Homburg« zitiert, der ihn sein ganzes ganzes Arbeitsleben lang begleitet habe. Da ringen Lebens- und Todesvisionen miteinander aus denen Klaus sein ganz persönliches Credo über die Bedeutung des Theaters formt, sich dabei mit seinen Lebensproblemen auseinander zu setzen und sein Dasein weiter zu entwickeln.

Die Feuerzeuge flammen zwar erst später auf, wenn Guido Kleineidam für sein Revival mit der »Rocky Horror Picture Show« gefeiert wird. Aber auch dieser berührende und nachdenkliche Moment mit Kleist fasziniert die Geburtstagsgäste auf der Greener Burg, die von den Theatermachern erneut umarmt werden. Auf das beste Publikum der Welt schwören mit dem Lenz die Mitglieder seines Ensembles, selbst wenn sie nicht wie Kleineidam nach fünfjähriger Festspielabstinenz von der Feuerwehr über Lautsprecher begrüßt werden.

Zum Finale der Jubiläumsgala bekommt die Gandersheimer Theaterfamilie noch einen ganz besonderen Chor geschenkt, der das wunderbar zum Ausdruck bringt. »Thank you for the music«.red

Kreiensen

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