Fantastische Cestnik-Bilder

Neue Auswahl von Werken in der Galerie in der Tiedexer Straße

»Nächtliches« ist eines der fantastischen Bilder, die jetzt in der Cestnik-Galerie in der Tiedexer Straße zu sehen sind. 

Einbeck. Ab sofort wird in der Cestnik-Galerie in der Tiedexer Straße 15 in Einbeck eine neue Auswahl aus dem Werk des Künstlers Franz Cestnik gezeigt. Die fantastischen Bilder enthalten Motive und Details, die es tatsächlich gibt, daneben tauchen aber auch Objekte und Gestalten auf, deren Bedeutung und Herkunft sich nicht unmittelbar erschließen. Rätselhaft ist auch die Art und Weise, wie Reales und Irreales miteinander in Verbindung gebracht werden. Hat jemand, einen klaren Blick und gute Sichtverhältnisse voraussetzt, je einen Fisch gesehen, der auf ein Mondgesicht zuschwimmt? So etwas kommt nur in Träumen vor, in Märchen oder Fabeln, dort, wo nicht alles den Regeln der Vernunft gehorcht.

Ein Blick auf das Ölbild »Nacht« von 1990: Im fahlen Licht des Mondes liegt eine weite, leere Landschaft. Eine Einbahnstraße führt ins Nichts. Im Vordergrund, innerhalb eines abgezäunten Areals, taucht eine menschliche Gestalt auf. Man meint, ihr zuschauen zu können, wie sie aus einer Grube herauszuklettern versucht. Ob man nun den eingezäunten Bereich als Friedhof interpretiert oder nicht, das Bild vermittelt den Eindruck von Einsamkeit und Stille, um nicht zu sagen Grabesruhe. Und gruselig ist die Situation auch. Die Szene hält eine spezielle Form von Traum fest: einen Albtraum.

Auch drei weitere der fantastischen Bilder sind in der Nacht angesiedelt: »Nächtliches« heißt die bereits erwähnte Komposition mit dem Fisch und dem Mond. »Nächtliche Erscheinung« ist der Titel des Ölbilds von 1968, aus dem den Betrachter ein rundes Antlitz anblickt, das ebenfalls ein Mondgesicht sein könnte. Die kleine Radierung aus demselben Jahr trägt zwar den Titel »Komposition«, ist aber dem Ölbild, was das Motiv angeht, sehr ähnlich, auch ein nächtliches Arrangement.

Möglicherweise verrät die unterschiedliche Benennung bei fast identischem Bildaufbau etwas davon, was Franz Cestnik mit den zwei letztgenannten Arbeiten vorschwebte. Anders als beim schwermütigen Bild des einsamen und verängstigten Menschen, das auch beim Betrachter Beklemmung erzeugt, spielt er hier mit Formen und im Falle des Ölbilds zusätzlich mit Farben, erzeugt eine Atmosphäre schöner, gelassener Ruhe und lässt jedem, der die beiden Werke vor Augen hat, die Wahl, sich entweder an der formalen Gestaltung zu erfreuen, also das sozusagen Abstrakte in den Fokus zu nehmen, oder aber sich auf Entdeckungsreise zu begeben und in den Formen ein menschliches Gesicht - oder doch den Mond? -, das Gehörn eines Stiers oder was auch immer zu entdecken.

Die rätselhafte Vieldeutigkeit wird im Bild »Nächtliches« noch einmal gesteigert, so sehr, dass man kaum mehr auf die Idee kommt, das Bild »vernünftig« analysieren zu wollen, sondern sich dem Genuss der »Traumgesichter fantastischer Prägung« hingibt, wie es Dr. Helmut Ahlborn, Freund des Künstlers und intimer Kenner seines Werkes, 1996 so schön beschrieben hat. Er fügte einen treffenden literarischen Vergleich hin: »Eine Nachtvision wie bei Franz Kafka, geläutert durch Melancholie wie bei Georg Trakl, wodurch das Bild auf eine nicht mehr bedrückende Ebene gehoben wird.«

Der größte Schauder der fantastischen Bilder, die in der Galerie gezeigt werden, geht von der Radierung (1968) und dem sehr ähnlichen Holzschnitt »Bedrohung/Der Krieg« (1978) aus. Der Horror, den diese Bilderfindung transportiert, versteckt sich nicht im Dunkel der Nacht, sondern offenbart sich im hellen Licht des Tages. Was zeigt Cestnik? Fantastische Wesen, Wölfe oder Hunde, denen Geschützrohre aus dem mit scharfen Zähnen bestückten Maul ragen. Die Bestien ähneln menschlichen Wesen. Sie bewachen und beschießen unzählige Gefangene, die in einer riesigen Grube wie in einem Massengrab niedergehalten werden.

Es ist eindeutig: Die der Phantasie Cestniks entsprungenen Höllenhunde symbolisieren die Grausamkeit des Krieges. Sie erinnern an die Spukgestalten des Renaissancemalers Hieronymus Bosch, aber auch an Bilderfindungen der Surrealisten oder der fantastischen Realisten.

Franz Cestnik mischt in seinen fantastischen Bildern Reales und Fiktives, gestaltet aber beide Sphären mit Mitteln der gegenständlichen Kunst, beschreitet also nicht den Weg in Richtung abstrakte Malerei, wie mancher auf den ersten Blick vermuten könnte.

Der Gedanke, die ausgestellten Bilder dem Surrealismus zuzuordnen, läge ebenfalls nahe. Die Ausstellungsmacher greifen nicht auf dieses Etikett zurück. Das hängt wohl damit zusammen, dass es bei Franz Cestnik nicht um ein theoretisch begründetes Programm geht, wie bei den Surrealisten, die mit ihrer Kunst höhere Wirklichkeiten erkennen wollten. Er schafft mehrdeutige, poetische Bilder, die still und verträumt, aber auch verstörend sein können, und er erfindet, wie im Fall der Kriegsmetapher, eindeutige, grausame Formulierungen für die menschliche Abgründigkeit.kde