Gerd Siemoneit-Barum hat »viel riskiert für einen Traum«

Bekannter Einbecker Raubtierlehrer und Zirkusdirektor veröffentlicht Autobiographie / Ziel stets fest vor Augen / Lesung am Mittwoch

Der Junge, der mit nicht einmal zehn Jahren zum ersten Mal in eine Vorstellung geht, ist begeistert: »...der ganze Zirkus in seiner aufregenden, schillernden Gesamtheit umarmt mich und verspricht mit ein erfülltes, glückliches Leben voll individueller Freiheit.« Er ist infiziert – und setzt alles daran, sein Lebensziel zu verwirklichen. Wie er das geschafft hat, das schreibt Gerd Siemo­neit-Barum in seiner beeindruckenden, sehr lesenswerten und unterhaltsamen Autobio­graphie »Viel riskiert für einen Traum«. Sie ist soeben im Wagner Verlag erschienen. Bei der Frankfurter Buchmesse hat er das Buch vorgestellt, und in dieser Woche wird er daraus in Einbeck lesen.

Einbeck. In Gumbinnen in Ostpreußen kommt Gerd Siemoneit 1931 zur Welt. Seine Eltern bewirtschaften die Kantine einer Kaserne, so dass Gerd und sein jüngerer Bruder Ernst viel bei der Großmutter sind. Es ist eine heile Welt. »Krieg«, dieses Wort überrascht Gerd am 1. September 1939 auf dem Weg von der Badeanstalt. Eine Abwechslung zum Kriegs­alltag ist ein Besuch im Zirkus. »Von Stund an bin ich wie verhext«, schreibt er. »In mir entsteht bereits die Vision meines künftigen Lebensweges. Für mich ist der Zirkus die Insel der Verheißung.« In der Realität kann er sie nur selten genießen, aber der Film »Die große Nummer«, der von einem Raubtierdompteur handelt, wird zum mentalen Ansporn für seine Karriere.

Vater Franz Siemoneit fällt im August 1943 im Osten. Die Familie verbringt noch einige Monate in Ostpreußen, bevor die Front näher rückt und alle fliehen müssen. Erste Station ist Dresden, und hier bietet sich für Gerd eine erneute Offenbarung: Der Circus Sarrasani gastiert in der Stadt »Ich bin gerettet – mein Unglück bedeutet für mich mein Glück«. Doch der verheerende Luftangriff im Februar 1945 richtet auch im Zirkus größte Schäden an; Gerds Welt, in die er sich schon hineingeträumt hatte, liegt in Schutt und Asche.

Nach Kriegsende geht es über Friedland in den Westen, nach Hamburg, wo mit dem Williams-Gastspiel erneut ein Zirkus auf ihn wartet, als sollte es so sein. Inzwischen 15 Jahre alt, entscheidet er sich, dort anzuheuern. Am 7. Mai 1946 beginnt sein Leben in der und für die Manege, und bald schon tritt der Circus Barum in sein Leben. Hier übernimmt er bei Margarete Kreiser, »Fräulein Direktor«, als Reiterakrobat die Pferde, bis ein Unfall ihn stoppt und ihm ein Zufall eine neue Chance weist: die Raubtiere, speziell die Löwen, haben es ihm angetan. Er erlebt alle Höhen und Tiefen im Zirkus-Geschäft, vor allem geht es aber nach oben. Er feiert im In- und Ausland große Erfolge, und so ist es fast selbstverständlich, dass sich das Fernsehen meldet. In einer Serie wird er als »Jens Claasen« Mitte der 60er Jahre noch bekannter. Und schließlich wurde der Apfel reif, wie er im Nachhinein feststellt: 1970 kauft er den zwei Jahre zuvor eingestellten Circus Barum und gründet ein eigenes Unternehmen, den »Circus Safari« mit Sitz in Einbeck. Dies wird jedoch eines seiner wenigen Projekte, die nicht den erhofften Erfolg haben. 1972 kauft er die Rechte am Namen Barum, und damit und mit seinen fantastischen Raubtiernummern schreibt er Manegen-Geschichte.

Immer wieder spielt der Zufall – oder das Schicksal – eine wichtige Rolle in Gerd Siemoneits Leben, und sei es, dass er wie durch einen Fingerzeig aus dem fahrenden Zug heraus auf einen Zirkus aufmerksam wird. Wenn sich verschiedene Möglichkeiten auftun, so wählt er mitunter nicht den einfachsten, wohl aber den richtigen Weg. Er geht Risiken ein, doch er wird belohnt, und dabei schließt sich der Kreis zum Titel des Buches, denn er hat immer wieder »viel riskiert für einen Traum.«

Rund drei Jahre hat Gerd Siemoneit-Barum an dem Buch geschrieben. Bei Vorträgen hat er schon oft die Menschen mit seinem abwechslungsreichen Lebensweg faszinieren können. Gewidmet hat er das Buch seiner Familie, seiner Frau und den beiden Kindern. »Die große Nummer« sei ein Film gewesen, der schon in seiner Jugend die Richtlinie für sein Leben vorgegeben habe. »Den hab’ ich auf DVD«, verrät er, und noch immer schaue er den Streifen gern an – als schöne Erinnerung und mit Freude darüber, wie prachtvoll Zirkus einmal gewesen sei. Schon als Jugendlicher habe er sein Ziel klar vor Augen gehabt und sich gewissenhaft hochgearbeitet. Lebhaft steht ihm noch seine erste Begegnung mit Einbeck vor Augen. Damals gab es ein Barum-Winterquartier am heutigen Parkplatz Pfänderwinkel; und weil spätabends von Salzderhelden aus kein Zug mehr fuhr, ritt er kurzerhand auf dem Pferd dorthin.

Mit 20 Jahren schon eine Löwen-Nummer zu übernehmen, »da wird man vom Tier schnell belehrt«, umschreibt er eine Grundlage seines Verständnisses für Tiere. Mit Bescheidenheit und Geduld müsse man sich den Tieren nähern, das habe er stets bedacht. Jedes habe eine eigene Persönlichkeit, die gelte es zu respektieren, zu erhalten und zu fördern. »Die Tiere sprechen zum Menschen«, ist er überzeugt, und sie würden genau merken, wenn es beispielsweise in einer Vorstellung nicht rund laufe.

Die Sprache der Tiere könne man erlernen, ist Siemoneit überzeugt. So räumt er zum Ende des Buches mit gängigen Vorurteilen auf. Die natürlichen Instinkte hätten die Tiere nicht verloren. Darauf verweist er nicht zuletzt mit Blick darauf, dass sein Leben in der Manege keineswegs unfallfrei verlaufen ist, denn mehrfach hat es sogar lebensgefährliche Situationen gegeben.Das Buch hat 447 Seiten, es ist am Wochenende mit der Präsentation auf der Frankfurter Buchmesse erschienen. Vorab erfuhr es bereits eine große Ehre: Professor Dr. Bernhard Claußen, Hamburg, hat es als »Buch des Jahres« für die aktuelle Ausgabe des Jahrbuchs »Sozialwissenschaftliche Umschau« der »Studiengesellschaft für Sozialwissenschaften und Politische Bildung« besprochen.

Das sei von der Textsorte her zwar ungewöhnlich, es gebe aber gute Gründe. Erzählte Lebensgeschichte werde deutlich, von gediegenem Ausnahmecharakter, seriöses Expertentum verbinde sich mit gekonnter Kurzweiligkeit. Der Wissenschaftler lobt die kraftvoll beschreibende Ausdrucksweise und Fabulierkunst des Autors, die klaren, schnörkellosen, aber gut colorierenden Formulierungen. Viele Spannungsbögen ziehen die Leserschaft in den Bann. Siemoneit zeige hartes Training, frühe Erfolge, produktive Verarbeitung von Niederlagen und Förderung von Persönlichkeitsbildung, und die tierpsychologischen Essenzen, ohne belehrend erhobenen Zeigefinger, seien der wohl wichtigste Sinn des Buches. Die Lektüre vermittele eine beeindruckende Mischung aus Selbstbewusstsein und Demut.

Im »Haus der Bücher«, Marktstraße, wird Gerd Siemoneit-Barum am Mittwoch, 17. Oktober, aus seiner Autobiographie lesen. Beginn ist um 19.30 Uhr. Der Termin ist kurzfristig möglich geworden, eine Signierstunde schließt sich an. Karten gibt direkt im »Haus der Bücher« oder Telefon 6650. ek