1810 kam die Orgel wieder in die Synagoge

Professor Andor Izsák berichtet und spielt in der Alten Synagoge in Einbeck über jüdische Sakralmusik

Informativ und unterhaltsam: Vor zahlreichen interessierten Zuhörern berichtete Andor Izsák über Musik in den Synagogen.

Einbeck. Wie mag historische Musik in den Synagogen geklungen haben? In Theorie und Praxis hat sich Professor Andor Izsák diesem Thema in der Alten Synagoge in Einbeck gewidmet. Der Gründer des Europäischen Zentrums für Jüdische Musik in Hannover ist Experte für synagogale Musik und Botschafter der jüdischen Sakralmusik in Deutschland und darüber hinaus. So konnte er viel über diese Musik erzählen und sie auch direkt spielen.

Freuen konnte sich der Förderverein Alte Synagoge nicht nur über guten Besuch des Vortragsabends, sondern auch über eine Spende: Der Referent hat für das künftige Begegnungszentrum einen Fernseher, einen DVD-Spieler und einen Verstärker zur Verfügung gestellt. Nach dem jüdischen Kalender befinde man sich zurzeit zwischen hohen Feiertagen, erläuterte Professor Izsák: Soeben habe man Neujahr gefeiert, nach dem jüdischen Kalender befinde man sich im Jahr 5777.

Jetzt werde das Jom-Kippur-Fest begangen, der Versöhnungstag, an dem man Frieden mache mit sich selbst, mit Gott und auch mit den Nachbarn. Der jüdische Kalender bestimme das Leben, und er verlaufe nach dem Mond, sodass die Feiertage wechselnde Daten hätten. »Zu dieser Zeit gehen wir auch sehr oft in die Synagoge«, erläuterte er. Eine Synagoge bleibe immer eine Synagoge, sie könne nicht entweiht werden, das sei im Judentum nicht vorgesehen.

So sei die westliche Mauer des Tempels in Jerusalem die heiligste Stätte der Juden überhaupt, und es sei wichtig für sie, das anzufassen, was vom historischen Tempel geblieben sei. Auch in der Diaspora wende man sich im Gebet in Richtung des Tempels, nach Osten. In der Diaspora sei zudem vieles nicht erlaubt, was im Tempel Pflicht war. Musik gebe es in der Synagoge seit langer Zeit, man kenne Melodien, die älter seien als 3.500 Jahre.

Das jüdische Glaubensbekenntnis sei das Hauptgebet, jeder Jude kenne es, und es sei in jüdischen Haushalten zu finden: in einer Pergamentrolle in der Mesusa, einer Schriftkapsel am Türrahmen. Dieses Gebet werde von Musik begleitet, und die Melodie klinge für heutige Ohren gar nicht so fremd, wie man das vielleicht erwarte, sondern ein bisschen wie gregorianischer Gesang. Die Melodie sei so »allgemein« gestaltet, dass sie auch später hätte entstehen können. »Wie würde sie bei Bach oder Mozart klingen, in der Romantik bei Liszt? Und Verdi geht auch, mit Piano und Streichern.«

An Tonbeispielen nahm er die Zuhörer mit auf diese musikalische Zeitreise. Welche Instrumente im Jerusalemer Tempel erklungen sind, ist in Psalm 150 nachzulesen: Dazu zählen Posaune, Harfe, Zither, Tamburin, Flöte und Pauken. Sogar eine Orgel soll es gegeben haben, die bis Jericho zu hören war. In der Diaspora war es nicht erlaubt, diese Instrumente zu benutzen, denn die Herrlichkeit des Tempels sollte nicht vergessen werden - wie eine Wunde, die immer wieder aufgekratzt werde, so Andor Izsák. Vielmehr warte das jüdische Volk auf den Messias, »und wenn er kommt, dann gehen wir wieder nach Jerusalem.«

Die Christen, schmunzelte er, hätten das Problem vor etwa 2.000 Jahren gelöst. In den Synagogen der Diaspora gab es solange keine instrumentale Musik, bis Israel Jacobson als Tabu-Brecher 1810 in Seesen in der Synagoge eine Orgel einbaute. Er wollte nicht auf den Messias warten. Allerdings klang die Musik nicht jüdisch, denn es gab keine entsprechende Literatur - aus einfachem Grund: Am Sabbat war es verboten zu schreiben, also konnten die Melodien nicht notiert werden. Zudem war die Notation von links nach rechts ausgerichtet, Texte wurden dagegen von rechts nach links gelesen.

Erst das Schreiben in lateinischen Buchstaben machte das Sprechen, Lesen und Singen von Text und Noten möglich. Louis Lewandowski (1821 bis 1894), ein deutsch-jüdischer Komponist, schuf neue Melodien. Typisch ist ein Kantoren-Solo zwischen zwei Chorsätzen, wobei der Kantor die Verbindung zwischen Gott und den Gläubigen darstellt. Izsák stellte Beispiele für die große Synagoge vor, er wies aber auch darauf hin, dass es in kleinen ländlichen Synagogen anders gewesen sei.

Die Einführung der Orgel sei jedoch wie in Feuer in die Gemeinden gegangen. Louis Lewandowski wurde erstes jüdisches Mitglied in der Akademie der Künste. Als Tonbeispiel stellte er schließlich ein Gebet mit Präludium aus der Liturgie zu Jom Kippur vor: Der Mensch sei wie Gras, heiße es darin. An diesem tiefsten Punkt des Jahres erinnere man sich an jemanden, den man sehr geliebt habe, und auch an die Millionen Toten des Holocaust.

Es sei eine traurige Komposition für ein trauriges Gebet, aber der jüdische Glaube neige zu Extremen: in der Trauer ebenso wie in der Fröhlichkeit. Mit dem Ende seines beeindruckenden Vortrags verband Andor Izsák die Einladung an die Einbecker zu einem Besuch in der Villa Seligmann in Hannover: Er werde dort auf der authentischen Synagogen-Orgel spielen.ek