Großes Interesse an Bonhoeffer und seinem Wirken

80 Jahre nach der Tagung mit dem Theologen im CVJM-Haus »Solling« referierte Dr. Schlingensiepen an gleicher Stelle über ihn

Am 9. April war der 68. Todestag Dietrich Bonhoeffers, der in Flossenbürg von den Nazis ermordet wurde. Vor 80 Jahren tagte er mit 18 weiteren Theologen im CVJM-Haus in Dassel. Für Stadtarchiv, Evangelische Kirchengemeinde und CVJM-Haus »Solling« war dies Anlass, Dr. Ferdinand Schlingensiepen zu einem Bonhoeffer-Vortrag einzuladen.

Dassel. CVJM-Hausherr Gerald Stehrenberg, Pastor Martin Possner und Stadtarchivar Manfred Schnepel freuten sich ob des regen Zuspruchs der zahlreich erschienenen Zuhörer. In Dassel gebe es immer wieder geistliche Gruppen, die in Jesu Namen diskutierten, nahm Stehrenberg gleich Bezug auf die Tagung 1933. Bald gebe es auch ein Bonhoeffer-Zimmer. Schnepel erzählte vom Zustandekommen des Abends, der Bekanntschaft mit Dr. Schlingensiepen zum Jubiläum des Hauses 2012, der in der Chronik von Schnepel und Anneliese Bartels die Bonhoeffer-Tagung vermisste. So entstand der Gedanke zur Einladung.

Vor einem halben Jahr in Düsseldorf seien zum Vortrag neun Leute gekommen, berichtete Dr. Schlingensiepen, und er blickte in den mit rund 80 Zuhörern sehr gut besuchten Saal: »1:0 für Dassel.« Der Theologe aus Düsseldorf, Jahrgang 1929, war mit Eberhardt Bethge, Bonhoeffers engstem Weggefährten, befreundet und gründete die Bonhoeffer-Gesellschaft.

Dr. Schlingensiepen zeichnete zunächst ein Bild des Menschen aus großbürgerlichem Elternhaus: Hier ging man selbst Weihnachten nicht zur Kirche. Die Mutter, Pfarrerstochter, erzählte mit Leidenschaft biblische Geschichten, und die Kinderfrau las Losungen vor. Hier traf man auf interessante Gäste zu Gesprächen und Hausmusik. Bonhoeffer sei »in vielem anders gewesen als die jungen Theologen seiner Zeit«. Mit 21 Jahren war er Doktor, mit 24 habilitiert, mit 25 Privatdozent, ein »Überflieger«. Ein Mentor wurde der Superintendent Max Diestel. Auf dessen Bitte hielt er bereits als Student die erste Predigt in Berlin-Stahnsdorf, die mit dem beeindruckenden Satz begann: »Christentum braucht Entscheidung.« Auf Diestels Rat ging er als Vikar nach Barcelona. Wie zuvor als Helfer in der Grunewaldkirche, so hatte auch hier sein Kindergottesdienst großen Zulauf. Während eines Auslandsjahres in New York wurde er anerkannt als Sonntagsschullehrer von der schwarzen Bevölkerung in Harlem und später als Konfirmandenlehrer einer Gruppe wilder Berliner Jungen, die noch bis 1939 Kontakt zu ihrem »Löwenbändiger« hielten.

Diestel wollte einen Mitarbeiter für die Ökumene. Dass dies damals etwas ganz anderes bedeutete als heute, erläuterte Dr. Schlingensiepen ausführlich: Ein Miteinander von Evangelischen und Katholiken gab es nicht. »Bis dahin verstand man unter Ökumene die internationale Gemeinschaft der christlichen Kirchen mit Ausnahme der römisch-katholischen.« Drei ökumenische Organisationen existierten: der »Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen« von 1914, die »Bewegung für praktisches Christentum« von 1925 sowie die »Bewegung für Glaube und Kirchenverfassung« von 1927. Diestel sandte ihn 1931 zur Weltbund-Tagung nach Cambridge: Jüngere sollten beteiligt werden. Bonhoeffer wurde einer von drei Jugendsekretären. Es ging um Gegensätze in Abrüstungsfragen, ein schwieriges Thema nach dem Ersten Weltkrieg. Bonhoeffer stellte fest, es handele sich für die Kirchen darum, ob die Völker, die sich vertraglich zur Abrüstung verpflichteten, dies einhielten. Bereits vor 1933 sei es in der Ökumene also politisch-kämpferisch zugegangen. Mit Franzosen aus der Cambridge-Tagung organisierte Bonhoeffer eine erfolgreiche deutsch-französische Jugendtagung 1932 im Westerwald.
An Beispielen wurde den aufmerksamen Zuhörern verdeutlicht, wie sehr sich zwischen 1930 und 1933 auch die Sprache Bonhoeffers veränderte, die viel klarer und politischer wurde, um verstanden zu werden. Und mit Wesen und Sprache hinterließ er stets einen tiefen Eindruck. In der Tschechoslowakei warb er für eine internationale Zusammenarbeit der Kirchen in Europa. Er sprach auch von den Problemen der Friedensarbeit und warnte vor Hitler: »Die Christen müssen sich im Kampfe gegen die Kräfte vereinen, welche die Völker zu einem falschen Nationalismus verführen, welche den Militarismus fördern und die Welt mit einer Unruhe bedrohen, aus welcher ein Krieg entstehen könnte.«

Neben Dozent, Studentenpfarrer und Synodalvikar wurde er auch Sekretär der Geschäftsstelle im Kirchenbundesamt, der »Mittelstelle für ökumenische Jugendarbeit«. Diese geriet in den Streit um Pro und Contra internationaler ökumenischer Arbeit. Konfessionelle Fragen und die Friedensfrage wurden in Diskussionen erörtert. Im April 1932 schrieb Bonhoeffer über eine Konferenz von »einer tiefen Ratlosigkeit bei den entscheidendsten Fragen«. Dr. Schlingensiepen gab einen Überblick zu den Thesen, Auseinandersetzungen, Argumenten, von Bonhoeffer zum Beispiel zu den dogmatischen Unterschieden zwischen Kirchen, die in der Ökumene zusammenarbeiteten und die teilweise schwerwiegender gewesen seien als zwischen ursprünglichem Protestantismus und Katholizismus. Die »spannende« Konferenz sollte im Dezember 1932 fortgesetzt werden, um Lösungen zu finden – es gab noch nicht einmal einen Bericht. In Dassel wollte man diese Probleme erneut angehen.

1933 kam der neue Reichskanzler. Das sei die Situation gewesen, in der sich vom 6. bis 10. März 1933 19 Theologen in Dassel trafen. Es ging um Jugendarbeit, aber bei dieser Tagung habe es nur einen gegeben, der im 20. Jahrhundert geboren wurde. Der Älteste war 73. Die Wahrheitsfrage in der ökumenischen Arbeit, ökumenische Auseinandersetzung sowie Maßnahmen zur Vertiefung der ökumenischen Front seien einige  Themen gewesen. Bonhoeffer habe sich zweimal zu Wort gemeldet. In der ökumenischen Arbeit müsse auch wieder der Begriff der Häresie, der Irrlehre, in Kraft treten. Bonhoeffer, so der Referent, stellte damit die entscheidende Frage, »vor der die deutsche evangelische Kirche wenig später stand: Wie haben wir uns zu der Häresie der ›Deutschen Christen‹ zu verhalten, die Hitler zum von Gott gesandten Retter Deutschlands erklären … und die Judenchristen aus der Kirche ausschließen wollen?«

»Der Einzige in dem Dasseler Kreis, der in aller Schärfe erkannt hatte, was mit Hitler und seinen Leuten auf die Kirche und auf Deutschland zukam«, sei Bonhoeffer gewesen. Er sei damit zum Vorbild geworden, »und an ihn und seinen Widerstand künftig in diesem Hause zu erinnern, das ist wirklich ein guter Gedanke.« Nachzulesen ist Bonhoeffers Wirken in der umfangreichen Biographie von Dr. Schlingensiepen, erschienen bei dtv und C.H. Beck.
Viel Beifall und zahlreiche interessierte Fragen folgten, bevor sich ein 20-minütiger Film zu Bonhoeffer anschloss, Idee, Regie und Drehbuch von Sohn Hellmut Schlingensiepen.des

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