Arbeitsplatz und Lebensraum

Steinbrüche im Solling haben eine jahrhundertlange Geschichte

Das Schloss Corvey, die Kilianikirche in Höxter, die Werratalbrücke bei Hann. Münden und das Marine-Ehrenmal in Laboe bei Kiel haben eines gemeinsam: An diesen Bauwerken wurde ­Solling­sandstein – auch Wesersandstein genannt – verbaut. Seit rund 1.000 Jahren nutzen die ­Menschen die Steine aus dem Solling, dem Waldgebiet des Jahres 2013. Den Menschen der Region brachten die ehemals unzähligen Steinbrüche für lange Zeiten Lohn und Brot – und lieferten ­wertvolles Baumaterial.

Dassel. An Hunderten Häusern in den Sollingdörfern und Städten der Umgebung zeugen noch heute die im Sonnenlicht rötlich-warm schimmernden Bruchsteinsockel, welche Masse an Steinen dem Solling im Laufe der Jahrhunderte abgerungen wurden. Der Sollingsandstein, der in der Trias vor 225 Millionen Jahren entstand, entwickelte sich zum Exportschlager und wurde sogar per Schiff bis nach Nordamerika transportiert.

Doch die Gewinnung des Gesteins ist nicht nur Geschichte, sondern auch Gegenwart: Fünf aktive Steinbrüche gibt es noch im Solling, alle bei Bad Karlshafen gelegen: »Der Wesersandstein ist ein wunderbares Material«, schwärmt Jürgen Bunk, Geschäftsführer eines Steinbruchbetriebes. Das Bad Karlshafener Unternehmen baut am Blockholzer Berg den Sandstein ab und veredelt diesen im eigenen Steinsägewerk zu Produkten wie Bodenplatten, Portalen, Verblendsteine und Treppen.

Sandstein ist nicht gleich Sandstein, wie Bunk anmerkt – nicht umsonst wurden in den vergangenen Jahrhunderten viele Steinbrüche aufgegeben, weil die Qualität des Gesteins nicht ausreichte. Der heute noch abgebaute harte Wesersandstein hingegen sei witterungsbeständig. Außerdem komme er als einziger Sandstein in zwei verschiedenen Farbvarianten vor: rot und grau. »Das ermöglicht bei Bau und Gestaltung sehr vielfältige Einsatz- und Variationsmöglichkeiten«, sagt Bunk.

Sandsteine aus dem Solling sind bundesweit gefragt, darüber hinaus auch in Dänemark und Frankreich. Und sie treten bei Bunk als 300 bis 3.000 Kilogramm schwere Blöcke sogar die Reise nach Nordamerika an, wo sie für Fassaden- und Restaurationsarbeiten geschätzt sind. Die jüngst renovierte »Town Hall« von Halifax in Kanada ist beispielsweise mit Sandsteinen von Bunk verkleidet worden.

Mit der harten, körperlichen »Maloche« der vergangenen Jahrhunderte hat Steinbrucharbeit heute nicht mehr viel zu tun: Musste früher jeder Stein einzeln von Hand aus der Wand gekeilt werden, erledigen heute Hydraulikbagger und andere Abbaumaschinen die schwere Arbeit. Nur beim Behauen von Pflaster- und Trockenmauersteinen ist noch präzise Handarbeit gefragt.

Als regionale Besonderheit finden sich im Solling auch zahlreiche Beispiele von Sandsteinen als Dach- oder Fassadeneindeckung, wie etwa am Jagdschloss Nienover oder auf dem Rittergut Friedrichshausen bei Sievershausen.

Viele Hunderte Steinbrüche im Solling sind mittlerweile aufgegeben. Oftmals sind sie nicht mehr als solche zu erkennen, weil die Natur die Steilwände sowie die Schutt- und Abbraumhalden längst zurückerobert hat. An anderen Stellen sind die bis zu zehn Meter hohen Klippen noch vorhanden – und bilden einen hervorragenden Sekundärlebensraum für seltene Arten, weiß Kai Conrad, Naturschutzförster im Solling: »Uhu und Wanderfalke nehmen solche exponierten Felswände gerne als Brutplatz an.«    

Damit diese Brutbiotope auch erhalten bleiben, entfernen die Niedersächsischen Landesforsten regelmäßig die Bäume am Fuße der Steilwände, damit diese nicht zuwachsen. Sogar künstliche Nischen ließen die Förster in die Feldwände schlagen, um damit attraktive Brutplätze für die bedrohten Greifvögel anzubieten.

Doch auch andere seltene Tier- und Pflanzenarten schätzen den »Lebensraum Steinbruch«. So kommen in den Kleingewässern, die oft an den Abbaustellen entstehen, Amphibien wie die seltene Geburtshelferkröte vor. Von der Sonne bestrahlter Sandstein speichert die Wärme gut und gibt sie später wieder ab. Eidechsen, manchmal sogar Schlangen wie die Ringelnatter sowie wärmeliebende Schmetterlinge wie der Schwalbenschwanz leben im Steinbruch. Fledermäuse gehen an den Felswänden auf Beutejagd, zudem finden seltene, an kargen Boden angepasste Pflanzenarten in Steinbrüchen, Abraumhalden und Rohbodenschütten ihren Platz - sie haben andernorts kaum eine Chance.

Weil auch die für den Abbau zuständigen Genehmigungsbehörden um den ökologischen Wert der Steinbrüche wissen, werden aufgegebene Abbaustätten bei einer anschließenden Rekultivierung heutzutage nur noch zum Teil verfüllt und bepflanzt, damit Steilwände, Kleingewässer und Bereiche mit natürlicher Vegetationsentwicklung erhalten bleiben.

Die Niedersächsischen Landesforsten bitten insbesondere Kletterer und Geocacher, aber auch ­Wanderer und Ornithologen, die ökologisch sehr wertvollen Steinbrüche nicht aufzusuchen, um Beeinträchtigungen und Beunruhigungen insbeson­dere der störungsempfindlichen Tierarten zu vermeiden.oh

Dassel

Hegering IV sammelt Müll