Vor Gericht: Drogenkonsum führte zu psychotischen Aussetzern

42-Jährige wegen mehreren Delikten angeklagt | »Alles konsumiert, was es gab«

Dassel. Mit 14 Jahren angefangen, Alkohol und Drogen zu konsumieren, wurde die Sucht immer größer. Nach Schulabbruch folgten zwei Lehren und stetig weitere Einnahmen von Betäubungsmitteln.

Es schlossen sich mehrere Aufenthalte in Einrichtungen sowie Entgiftungsmaßnahmen an, aber auch Freiheitsstrafen. Der inzwischen 42-Jährige war vor dem Einbecker Schöffengericht unter Leitung von Richterin Martina Sievert wegen mehrere Delikte wie Beleidigung, mehrfache Körperverletzungen – eine davon auch im lebensbedrohenden Bereich – angeklagt. In einer Einrichtung für betreutes Wohnen in Dassel gab es einige Auffälligkeiten.

Am 12. Februar schubste der Angeklagte nach einem Disput einen anderen Bewohner des Pflegeheims zu Boden und trat mehrfach auf ihn ein, so dass das Opfer drei Wochen lang humpelte. Grund war Veruntreuung von Geld. Das Opfer sollte bei einem Aufenthalt in Göttingen Betäubungsmittel für den Angeklagten besorgen, verprasste aber stattdessen die Euros.

Am 16. März geriet er mit einem anderen Mitbewohner beim Abendessen aneinander. Der Angeklagte fühlte sich provoziert, konnte sich nicht mehr kontrollieren, schubste den anderen an die Wand und hielt ihn so lange am Hals fest, bis er fast das Bewusstsein verlor. Bei den Taten stand er unter Einfluss von Betäubungsmitteln, erklärte der Angeklagte.

Anders sah es am 3. April beim Osterbrunch aus. Seit drei Tagen hatte er nichts konsumiert und litt unter Entzugserscheinungen. Er war labil und brauchte »Stoff«. Nach einem Disput mit einem weiteren Bewohner warf der 42-Jährige diesen zu Boden. Es folgte ein Schlagabtausch, bei dem beide Beteiligten verletzt wurden. Erst durch das Eingreifen von Betreuern endete die gewalttätige Auseinandersetzung.

Da der Angeklagte auch verletzt wurde und Nasenbluten hatte, steigerte sich seine Wut immer mehr. Am Abend wollte er sich gewaltsam Zutritt zum Zimmer seines Kontrahenten verschaffen, dieser war aber in einem anderen Raum. Diesen suchte der Angeklagte danach auf, es kam zu einem weiteren Schlagabtausch. Eine vorbereitete Schlinge nutzte der 42-Jährige, um sein Opfer zu strangulieren. Der Angeklagte schob und verkeilte danach seinen Gegner im Wandschrank, würgte ihn, bis »die Augen zufielen« und schlug anschließend mehrmals mit einem Regalbrett auf ihn ein. Dann ließ er von seinem Opfer ab. Dieses hatte Todesangst und flüchtete, nachdem er wieder »beisammen« war zu einem Betreuer. Gerufen wurde anschließend die Polizei.

Eine Mitarbeiterin der Einrichtung sagte, dass sich alle Personen auf den Osterbrunch gefreut hätten. Überraschend für sie kam es zum Disput zwischen den beiden Männern, jedoch gab es im Vorfeld immer wieder Vorfälle mit dem Angeklagten. Konsum von Betäubungsmitteln konnte man ihm nicht nachweisen, einige Mitbewohner hatten Angst vor ihm. Manches Mal war er übertrieben euphorisch, was den Verdacht auf Konsum erhärtete, an anderen Tagen extrem depressiv.

Für ein Jahr sollte der 42-Jährige in der geschlossenen Einrichtung in Dassel sein, so die Mitarbeiterin. Für einige Angebote wie Backen interessierte er sich, an anderen war er nicht interessiert. Er fühlte sich leer und ohne Beschäftigungsanreize. Diagnostiziert wurde eine durch Drogen initiierte schizophrene Psychose. Zurzeit gebe es eine einstweilige Unterbringung in Göttingen.

Die aktuelle Bewährungshelferin betreut ihn seit nicht so langer Zeit. Nach einer Haftstrafe zog der Angeklagte 2018 zu seiner Schwester nach Göttingen. Es folgte ein Aufenthalt in einer Entziehungseinrichtung. Nach gutem Anfang wurde dies wegen Erfolgslosigkeit beendet. Es folgte ein weiterer Aufenthalt in einer Einrichtung. Mit »Crack« (einem Produkt auf Kokainbasis) kam er in Kontakt, das die Psychosen verschlimmerte.

Im Raum Göttingen versuchte er ein »normales Leben« zu führen und begann eine Bäckerlehre, es folgten mehrere Aufenthalte bei Asklepios in Göttingen sowie ab vergangenem Jahr und auf eigenen Wunsch die Einweisung in die geschlossene Einrichtung in Dassel.

Zuerst fühlte sich der Angeklagte dort wohl, doch schon im Dezember gab es die ersten heftigeren Dispute. Bei Drogenkonsum oder Entzug wurde er oft auffällig. Mit ihm zusammen versuchte sie immer wieder, Dinge zu finden, wie er seine Tage strukturieren und sich beschäftigen kann. Der Angeklagte stand unter »Suchtdruck« und fand immer wieder Wege, Betäubungsmittel zu bekommen.

Das Ziel der Wiedereingliederung war der Aufenthalt in Dassel. Eine Substitution als Suchthilfeangebot oder auch ein Entzugsaufenthalt wünschte sich der Angeklagte, doch liege nach ihrer Einschätzung ein nicht geringes Rückfallrisiko vor.

Der Sachverständige, ein Facharzt für Neurologie, führte mehrere Gespräche mit dem 42-Jährigen. In Kalefeld aufgewachsen, kam der Angeklagte schon früh in Kontakt mit Alkohol und Drogen. Dies steigerte sich bis Ende der 1990er Jahre. 1999 folgte eine erste stationäre Einweisung. Damals konsumierte er alles, was es gab. Mehrere Entgiftungskurse verliefen erfolglos, eine Langzeittherapie hingegen erfolgreich. Bei ihr lernte er seine Lebensgefährtin 2002 kennen. Nach der Trennung 2009 wurde der Angeklagte wieder rückfällig.

Eine mehrjährige Haftstrafe wegen sexueller Nötigung folgte 2010. Der Aufenthalt in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bad Emstal verlief zuerst gut samt Unterbringung auf der offenen Station. Nach exzessiver Spielsucht ging es in den geschlossenen Bereich zurück. Die Behandlung nach Paragraf 64 des Strafgesetzbuchs für Straftäter mit Suchtkrankheit wurde ebenfalls abgebrochen, der Angeklagte musste daher seine Freiheitsstrafe im Gefängnis absitzen.
Nach Entlassung wohnte er bei seiner Schwester, flog wegen Rückfällen aus der Wohnung heraus.

Es schlossen sich Entwöhnungstherapien und Wiedereingliederungsversuche in Einrichtungen sowie stationäre Einweisungen an – immer wieder standen diesen der Konsum von Betäubungsmitteln im Weg. Der Angeklagte wurde zunehmend depressiv, so der Sachverständige, man stellte Hepatitis C sowie schizophrene Psychosen, beides durch die Drogen initiiert, fest.

Es liege eine große Abhängigkeit von bewusstseinserweiternden Substanzen vor. Der Angeklagte räume seine Taten und Fehler ein und wolle alles »Erdenkliche tun, um seinen Drogenkonsum in den Griff zu bekommen«, teilte der Sachverständige mit. Die Delikte und Körperverletzungen habe er unter Einfluss von Betäubungsmitteln oder im Entzug durchgeführt, es lag eine Minderung der Steuerungsfähigkeit vor. Der Sachverständige stellte eine gute Prognose für die Zukunft, wenn der Angeklagte sein Leben in den Griff bekomme. Im Strafregister stehen schon zwölf Einträge.

Mit Erschleichen von Leistungen und Diebstahl 1997 beginnend, geht es über Widerstand gegen Vollzugsbeamten, Tätlichkeit, Beleidigung, Verstoß gegen das Waffengesetz und sexuelle Nötigung bis zu mehreren Körperverletzungen – einige auch im schweren Bereich.

Der Staatsanwalt sagte, dass das Einräumen der Taten für den Angeklagte spreche. Laut Gutachter gebe es Beeinträchtigungen durch langjährigen Drogenkonsum; eine verminderte Steuerungsfähigkeit liege vor, was den möglichen Strafrahmen verringere.

Positiv neben der Geständigkeit sei die einstweilige Unterbringung seit mehreren Monaten. Negative Aspekte stellen die vielen Einträge im Strafregister sowie die teilweise gezeigte Brutalität dar. Die Drogenabhängigkeit müsse bearbeitet werden, anzuordnen sei eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Er sprach sich für 60 Tagessätze zu je 15 Euro sowie einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten aus.

Die Taten bereue der Angeklagte, teilte die Verteidigerin mit. Durch Konsum oder Entzug sei teilweise seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben, so dass es auch zu den lebensgefährlichen Handlungen kam. Er nahm teilweise alles, was es gab. Man sollte Wert darauf legen, den Angeklagten und die Allgemeinheit vor ihm zu schützen. Die Behandlung nach dem Paragrafen 64 des Strafgesetzbuchs für Straftäter mit Suchtkrankheit stelle einen unumgänglichen Faktor dar. Er sei jetzt untergebracht, medikamentös gut eingestellt, will Perspektiven haben und eine Chance für ein normales Leben erhalten, so die Verteidigerin, dies sollte man berücksichtigen.

Das Gericht verurteilte den Angeklagten zu 60 Tagessätzen zu je acht Euro und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Angeordnet wurde zudem die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Die Einräumung der Taten und die Entschuldigung bei den Opfern sprechen für ihn, die Schwere der Übergriffe und die zahlreichen Vorbelastungen gegen ihn. Oft sei er gereizt und gestresst gewesen - auch während der Gerichtsverhandlung. Durch seine Drogenabhängigkeit leide er unter Stimmungsschwankungen, eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit liege vor. Es gebe dringenden Handlungsbedarf, um von der Abhängigkeit wegzukommen.mru

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