Ungestümes Wachstum

Dassel. Nach der Gartenarbeit als Notfall zum Augenarzt? Nicht gerade die Traumvorstellung eines Hobby-Gärtners, der doch nur einige überschüssige Pflanzen aus seinen Beeten gezupft hatte. Doch wenn es sich dabei um eine Wolfsmilchart, zum Beispiel die dekorative Zypressen-Wolfsmilch (Euphorbia cyparissias L.) handelt und er sich nach getaner Arbeit nicht nur über die Stirn, sondern auch über die Augen wischt, kann es schon zu spät sein.

Der Kontakt des unter Druck stehenden und bei Verletzung sofort aus allen Pflanzenteilen austretenden weißen Milchsaftes mit den Augen ruft dort eine gefährliche Bindehautentzündung oder eine Verätzung der Hornhaut hervor, die unbedingt einer augenärztlichen Behandlung bedürfen. Nicht minder dramatisch sind die Folgen, wenn die Pflanzen gegessen werden.

Es drohen Magenschmerzen, blutiger Stuhlgang, Pupillenerweiterung, Herzrhythmusstörungen, Schwindel, Nierenentzündung, in schweren Fällen tritt der Tod nach ein bis drei Tagen ein. Von Wirbeltieren wird die Zypressen-Wolfsmilch wegen ihres wölfisch scharfen Geruchs und Geschmacks weitgehend gemieden. Bei Rindern können Vergiftungen durch Heu vorkommen, denn die Giftstoffe werden beim Trocknungsvorgang nicht abgebaut.

Kühe, die davon fressen, liefern geschmacklich veränderte Milch. Dass Insekten einen anderen Stoffwechsel haben, beweisen die Raupen des Wolfsmilchschwärmers (Schmetterling des Jahres 2014), deren einzige Futterpflanze die Zypressen-Wolfsmilch darstellt. Ihnen schaden die im Milchsaft nachgewiesenen Gifte Euphorbon sowie Phorbolester offensichtlich nicht, im Gegenteil: sie werden durch ihre Nahrung zu wahren Giftzwergen, die mit ihrer auffällig bunten Färbung potenzielle Fressfeinde warnen.

Kaum eine andere Gattung ist so artenreich wie die Gattung Euphorbia. Weltweit sind ungefähr 1.600 Arten bekannt. Der Gattungsname ist dem hochgebildeten König Juba II. von Mauretanien (um 50 v. Chr. – 23/24 n. Chr.) zu verdanken. Er benannte eine in seiner Heimat vorkommenden Gruppe von Pflanzen, die einen gummiartigen, als Arzneimittel verwendeten Milchsaft lieferten, nach seinem Leibarzt Euphorbos.

Wie bei allen Wolfsmilcharten ist die »Blüte« ein stark rückgebildeter Blütenstand, den Botaniker »Cyathium« nennen (lat. Cyathus = Becher). Er täuscht eine Zwitterblüte vor. Zwischen den fünf Hochblättern des Hüllbechers sitzen fünf männliche, nur aus einem Staubblatt bestehende Blüten. Deren Mitte nimmt eine weibliche Blüte ein, die auf einem längeren Stiel steht und auf einen dreifächrigen Fruchtknoten reduziert ist.

Die Funktion der fehlenden Kronblätter übernehmen die halbmondförmigen, gelben, später braunen Drüsen des Hüllbechers, von denen ein Teil Nektar anbietet. Nach der Bestäubung durch Insekten, besonders Bienen, bilden sich Früchte, die eine doppelte Verbreitungstrategie verfolgen. Zum einen können sie die Samen explosionsartig fortschleudern und zum anderen besitzen diese einen Ölkörper, der für Ameisen einen Leckerbissen darstellt.

Auf dem Weg zum Ameisennest verlieren sie nicht selten Samen und sorgen dadurch für die Verbreitung der Art. Die Zypressen-Wolfsmilch wächst in ganz Europa, bevorzugt auf Trockenrasen; Halbtrockenrasen, mageren Wiesen, Wegrainen und Kiesschotter. Aber auch im Garten kann sich die bis zu dreißig Zentimeter hohe Pflanze mit ihren dicht beblätterten Stängeln, den schmallinealischen, hell- bis bläulichgrünen Blättern und den von April bis Juli erscheinenden gelben Blütenständen sehen lassen.

Hat sie erst einmal Fuß gefasst, neigt sie zum Verlassen der ihr zugedachten Flächen und besiedelt in kurzer Zeit mit ihren Ausläufern unter anderem Steinplattenfugen, Beete und Wegränder. Dem ungestümen Wachstum kann Einhalt geboten werden, indem man die Pflanzen ausrupft, aber nur mit Handschuhen!im

Dassel

Dassel grillt mit guter Stimmung an