An wirklichen Lösungen arbeiten

Neujahrsempfang der Einbecker Loge: Bei gelebter Toleranz den kritischen Blick nicht verlieren

Beim Neujahrsempfang der Einbecker Loge hörten die Besucher einen Vortrag über »Gewaltlegitimation im 21. Jahrhundert«.

Einbeck. Der Neujahrsempfang der Freimaurerloge »Georg zu den drei Säulen« hat Tradition. Neben der Musik stand diesmal das Thema »Gewaltlegitimation im 21. Jahrhundert« im Mittelpunkt, das der Militärhistoriker Dr. Dirk Reitz beleuchtete. Manfred Linner, Meister vom Stuhl, nahm die gesellschaftspolitische Lage in den Blick. Er regte an, dass Deutschland wieder ein Land der Dichter und Denker werden müsse – »dann werden wir wieder sachthemenbezogene Demokratie erleben«.

Linner bezog sich auf Niccolo Machiavelli: »Nicht wer als Erster die Waffe ergreift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt.« Heute würden Konflikte nicht mehr mit der Waffe gelöst, vielmehr werde das Wort als Waffe eingesetzt. Gerade aber auch im Bereich der digitalen Kommunikation finde man verbale Gewalt. Und so kritisierte Linner auch den amerikanischen Präsidenten, der teilweise »undifferenziert postet«, was wiederum weltpolitische Folgen haben könne.

Linner erinnerte an die Finanzkrise vor zwölf Jahren, in deren Folge heute die Zinspolitik zu sehen sei. Die Frage sei nun, wer der Böse sei – die Zentralbank, die offenkundig reagiere oder die Verursacher, die sich aus der Verantwortung schleichen.

Die Freimaurer, unterstrich der Meister vom Stuhl, vertreten einen klaren Toleranzgedanken. Toleranz ermögliche Weiterentwicklung, bedingungslose Toleranz könne aber auch zu Ignoranz führen. Es sei die persönliche Herausforderung jedes Menschen, auch bei gelebter Toleranz nicht den kritischen Blick zu verlieren. Und so fokussierte sich Linner nicht nur auf den Brexit, sondern auch auf den Klimawandel. »Denn dass unser Umgang mit fossilen Brennstoffen irgendwelche Auswirkungen haben muss, ist offensichtlich.« Ob das Elektroauto die Lösung sein könne, bezweifelte er.

Das Rentensystem mit Generationenvertrag sei ohne Reform nicht mehr haltbar, und im Bereich der Politik machte Linner »ablenkende Stellvertreterkämpfe« aus. Er kritisierte, dass Entscheidungen nicht mehr auf gesundem Menschenverstand, sondern auf den »Aussagen von Lobbyisten und Ideologen« basieren.

Es gehe den Menschen gut, fuhr Linner fort. Und er ist sich bewusst, dass geteilt werden müsse. Und so fragte er, wie lange man noch auf Kosten künftiger Generationen leben wolle. In Deutschland habe man die Mittel und Möglichkeiten, an wirklichen Lösungen zu arbeiten. Und diese Chance dürfe man nicht verstreichen lassen.

Der Militärhistoriker Dr. Reitz befasste sich mit den unterschiedlichen Aspekten der Kriege ab 1648 (Westfälischer Friede) bis hin zur Neuzeit. Das Wort Krieg löse in Deutschland auch jetzt noch einen besonderen Schrecken aus. Krieg kenne nur Sieger oder Verlierer, so Dr. Reitz. Grausamkeiten häuften sich mit der Dauer des Kampfes.

Zu den allgemeinen Kriegstypen zählten unter anderem Staatenkrieg, Glaubenskrieg, Angriffs- und Verteidigungskrieg. Neue Kriegsformen wie Cyberwar oder Outerspace kämen nun noch hinzu. Kriege würden zukünftig »zeitlich entgrenzt« geführt, so der Referent. Auch seien schon jetzt vielschichtige Kampfweisen mit unterschiedlichen Akteuren zur Lösung territorialer, ethnischen und religiöser Spannungen zu beobachten. Die Regeln des Krieges hätten sich verändert. Nichtmilitärische Mittel würden vermehrt zum Erreichen der politischen und strategischen Ziele eingesetzt.

Reitz bewertete einige militärische Handlungen wie beispielsweise den Jugoslawienkonflikt, dessen Rechtsgrundlage strittig sei, den Irakkonflikt 1993 als Operation ohne Mandat, die »Rückgliederung« der Halbinsel Krim 2014 als mehrheitlich international nicht anerkannten Gesamteinsatz und den Syrienkonflikt 2019 ohne Mandat.

Bezugnehmend auf Gerassimov stellte Reitz die Tendenzen der Kriegsführung im 21. Jahrhundert heraus: der Zustand zwischen Frieden und Krieg verwische, intakte Staaten könnten sich in Tagen in eine Arena erbitterter Kämpfe verwandeln, Opfer einer ausländischen Intervention werden oder im Chaos, in einer humanitären Katastrophe oder im Bürgerkrieg versinken. Die Regeln des Krieges hätten sich verändert, nichtmilitärische Mittel zur Erreichung
politischer und strategischer Zeile wachsen. Und so fragte der Militärhistoriker sein Auditorium, ob man sich hinreichend mit der Lage auseinandersetze und ob das rechtliche Instrumentarium diesen Veränderungen noch gerecht werde.

Musikalisch umrahmt wurde der Neujahrsempfang der Freimaurerloge durch das Quartett »Fleitjepiepen«, das 2018 mit der neuen Flötenklasse von Professor Henrik Wiese, Hochschule für Künste Bremen, entstand. Clara Marlene Büchi, Emma Hochschild, Katrin Fuss und Carmineluigi Amabile zauberten mit Stücken von Kuhlau, Mozart, Bozza und Berthomieu bei den Zuhörern ein Lächeln ins Gesicht.sts