Angeklagter wollte Aufmerksamkeit erregen

In den sozialen Medien | Sachverständigengutachten im Prozess um Brandstiftungsserie in Einbeck

Einbeck/Göttingen. Aufmerksamkeit erregen, im Mittelpunkt stehen, sich mächtig fühlen und darüber seinen Selbstwert stabilisieren – das war nach Ansicht des psychiatrischen Sachverständigen die Motivation des mutmaßlichen Serienbrandstifters von Einbeck. Dem 24-Jährigen sei es darum gegangen, ein gutes Gefühl herbeizuführen und sich als wirkmächtig zu erleben, sagte der Gutachter Dr. Helge Laubinger am Donnerstag im Prozess vor dem Landgericht Göttingen. Anders als manch anderer Brandstifter habe er sich die Feuer nicht angesehen, sondern sich nach dem Anzünden schnell entfernt. Der Angeklagte habe sich vielmehr für die Reaktionen und Berichte in den sozialen Medien interessiert: »Er hat dann mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, wieviel Aufregung er da verursacht.«

Der 24-jährige frühere Feuerwehrmann soll laut Anklage im vergangenen Sommer insgesamt 16 Feuer im Großraum Einbeck gelegt haben, darunter mehrere Brände in seinem Heimatort Salzderhelden. Er selbst hat dazu sowohl gegenüber der Polizei als auch gegenüber dem Sachverständigen ausgesagt, dass er zuvor aus den Medien von dem Brand der Saline und weiteren Brandstiftungen in Salzderhelden erfahren habe. Ihm sei dann aufgefallen, wieviel Aufmerksamkeit diese Taten erregten. Daraufhin habe er sich entschlossen, selbst Feuer zu legen.

Nach Ansicht des psychiatrischen Sachverständigen liegt bei dem Angeklagten keine krankhafte seelische Störung vor, so dass eine Unterbringung im Maßregelvollzug nicht in Betracht komme. Der 24-Jährige habe zur Tatzeit unter einer Anpassungsstörung gelitten. Ein Auslöser sei gewesen, dass seine Freundin ihn zu Beginn des Jahres 2020 verlassen hatte. Die Erfahrung des Verlassenwerdens habe er bereits zuvor im Alter von 15 Jahren gemacht, als seine Mutter sich von seinem Vater trennte und aus dem Elternhaus auszog. Dies sei ein Schlüsselerlebnis für ihn gewesen.

Während der Beziehung zu seiner damaligen Freundin sei der Angeklagte oft mit ihr essen gegangen und habe auch viele Fahrkosten gehabt, berichtete der Sachverständige. Da er zudem zwei neue Handy-Verträge abschloss und diverse Versandhausbestellungen tätigte, habe er erhebliche Schulden angehäuft, was zu einer Auseinandersetzung mit seiner Mutter führte. Eigenen Angaben zufolge hatte der Angeklagte sein Leben als sinnlos empfunden und mit dem Gedanken gespielt, es zu beenden. Vorher habe er jedoch noch etwas Spaß haben wollen und sich deshalb in einem Autohaus ein PS-starkes Auto für eine Probefahrt ausgeliehen, das er dann allerdings nicht wieder zurückbrachte. Mit diesem fuhr er wochenlang kreuz und quer durch die Gegend, so dass am Ende die Bremsen verschlissen waren. Er mietete sich zudem in diversen Hotels ein, wo er sich Drei-Gänge-Menüs servieren ließ, die er ebenso wenig bezahlte wie die Übernachtungen.

Nach Angaben des Gutachters betrachtete sich der Angeklagte als Opfer von Umständen und machte andere für seine Probleme verantwortlich. Statt diese zu lösen, fuhr er vor ihnen davon und vergrößerte sie dadurch. Dabei sei ihm klar gewesen, dass er »aus der Nummer nicht mehr rauskommen« würde.
Bei den Brandstiftungen habe noch ein weiterer Aspekt eine Rolle gespielt: Der Angeklagte habe jahrelang unter seinem Vater gelitten, der ein aktiver Feuerwehrmann ist. Dementsprechend habe er gewusst, wie sein Vater reagiere, wenn der Funkmeldeempfänger Alarm auslöst. Durch das Feuerlegen habe er darüber bestimmen können, was sein Vater in dieser Situation tun müsse, und sich so als »wirkmächtig« erlebt.

Besonderen Stress hatte er den Feuerwehren gemacht, als er Anfang September an einem Morgen nacheinander drei Brände legte. Einen Tag zuvor war der Geburtstag seiner Mutter gewesen. Dieser emotional besetzte Tag habe ihn so aufgewühlt, dass die Erleichterung durch ein Feuer allein nicht ausgereicht habe, meinte der Gutachter. Das Gericht will sein Urteil voraussichtlich in der kommenden Woche verkünden.pid-nie