Atomausstieg bleibt für die Grünen ein Herzensanliegen

»Die Zukunft ist erneuerbar«: Diskussionsabend zu »Atomkraft – Schluss jetzt!« mit Viola von Cramon und Rainer Hinrichs-Rahlwes

»Atomkraft: Schluss jetzt!« – Wie das möglich werden könnte, darüber haben die Grünen jetzt in Einbeck diskutiert. Auf Einladung des Kreisver­bandes Northeim-Einbeck waren dazu die Bun­des­tagsabgeordnete Viola von Cramon und Rainer Hinrichs-Rahlwes, Mitglied der Bundes­arbeitsgemeinschaft Energie, zu Gast. An Bei­spielen machte der Referent deutlich, dass die Klima-Ziele der Bundesregierung übertroffen werden können, dass damit die Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden wäre und dass es ge­nügend Perspektiven gibt, die Risikotechnik Atomkraft umgehend vom Netz zu nehmen.

Einbeck. Einblicke in die Bundestagsdebatte zur Atomgesetznovelle in der vergangenen Woche gab zunächst Viola von Cramon. Das Thema sei mit fragwürdiger Methode, nämlich dem Außerkraftsetzen der Geschäftsordnung, durch den Umweltausschuss gepeitscht worden. Änderungsanträge wurden erst in der Bundestagsdebatte selbst eingebracht, vorab wurde eine Geschäftsordnungsdebatte geführt, »und es gab wirklich unterirdische Sprüche von der CDU«, erinnerte sich die Politikerin.

Mit zahlreichen persönlichen Erklärungen wurde es eine aufgeheizte Diskussion, deren Inhalte schwierig zu ­vermitteln waren. Es sei gut gewesen, dass im Anschluss auch Bundestagspräsident Lammert das Verfahren kritisiert habe. Die Koalition drücke das Thema so durch, weil die Kanzlerin einen »Herbst der Entscheidung« angekündigt habe, »und das war die Auftaktveranstaltung.«  Die Regierung habe das Gesetz zudem so klein gestückelt, dass es nicht durch den Bundesrat müsse. Auch deshalb habe man eine Verfassungsklage angestrengt. »Wir steigen aus«, das bleibe in Punkto Atomkraft ein grünes Herzensan­liegen. Die Grünen, so die Abgeordnete, seien nicht die Dagegen-Partei, sondern sie stünden für Technologie, Aufbruch und erneuerbare Energie. Wer wirklich »grün« sei, dafür sei die vergangene Woche ein Lackmustest gewesen. »Wir sind ­kritisch, aber nicht innovationsfeindlich.« Rückwärtsgewandt sei dagegen die CDU, die immer noch auf qualmende Schornsteine und brummen­de Atomkerne setze.

Rainer Hinrichs-Rahlwes von der Bundes­arbeitsgemeinschaft Energie der Grünen war von 1998 bis 2005 Abteilungsleiter Erneuerbare Energien und Klimaschutz im Bundesumweltministerium. Erneuerbare Energien, betonte er, seien eine sichere und zukunftsfähige Weise der Versorgung. Deutschland habe eine Vorreiterrolle, und über das Erneuerbare-Energien-Gesetz sei viel erreicht worden.

Weltweit habe es in den vergangenen Jahren ebenfalls großes Wachstum auf allen Feldern der erneuerbaren Energien gegeben. Die Energieversorgung laufe derzeit zu 66 Prozent über fossile Quellen, zu acht Prozent über nukleare Erzeugung und zu 26 Prozent über erneuerbare Energien. Inzwischen gebe es mehr Erzeugung aus Photo­voltaik als aus Atomenergie. Im Rahmen der Studie Re-Thinking 2050 gehen die Grünen da­von aus, dass nahezu 100 Prozent der Versorgung in Europa sowohl für Strom, Verkehr und Wärme aus erneuerbaren Energie gesichert werden könnte. »Vom Wünschen allein kommt’s nicht, es müssen auch die poli­tischen Voraussetzungen ge­schaffen werden.« Das gelinge vermutlich leichter, wenn man die Wirtschaftskraft deutlich ma­che, die dahinter stehe: So würden bis 2050 drei Trillionen Euro investiert, hinzu komme, dass man 1,1 Trillionen Euro für Öl-, Gas- und Kohleimporte vermeiden könne. Auch der Faktor Arbeitsplätze falle mit sechs Millionen Beschäftigen im Bereich erneuerbarer Energien in Europa ins Gewicht.

Das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 18 Prozent des Bedarfs aus erneuerbaren Energien zu decken, könnte nach Ansicht von Hinrichs-Rahlwes um zehn Prozent übertroffen werden. Windkraft und Photovoltaik seien hier die entscheidenden Faktoren. Beim Strom sei sogar ein Deckungsgrad von 47 Prozent möglich. Bei der Wärmeversorgung könnte man die Prognose der Bundesregierung von 14 Prozent um elf Prozent übertreffen – allerdings müssten dazu Potenziale geweckt werden. So seien in Deutschland viele Heizungen mit geringem Wirkungsgrad im Einsatz. Entsprechende Fördermaßnahmen könnten einen guten Anreiz zum Austausch geben. Das gleiche gelte für den Einsatz von Biokraftstoffen in Autos, für Elektroautos brauche man ein ernsthaftes Markteinführungsprogramm. Da fehle es allerdings am politischen Willen, etwas zu tun, es passiere nichts. Mindestens 40 Prozent bei der Stromgewinnung, mindestens 30 Prozent bei Wärme und ein Minus von 40 Prozent bei den Treibhausgasen, das sei mit erneuerbaren Energien »locker« möglich, versicherte der Experte: »Die Zukunft ist erneuerbar.«

Mit dem verstärkten Einsatz von erneuerbaren Energien wäre darüber hinaus eine Erhöhung der Zahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich verbunden: von jetzt 340.000 auf bis zu 500.000 bis 2020. Dabei müsse man stark auf dezentrale Erzeugung setzen. Ein weiterer Vorteil sei, dass Deutschland unabhängiger werde von Importen. Ein zu günstiges Bild des Ausbaus gezeichnet zu haben, wies Hinrichs-Rahlwes zurück: Wichtig sei, vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen. Und man müsse erkennen, dass die Bundesregierung die Atomenergie zur Brückentechno­logie »umlüge«. Mittlerweile sei eine Industrie bei den erneuerbaren Energien geschaffen worden, die auch Schwarz-Gelb nicht ignorieren könne. Ein vollständiges Einstampfen der Förderung wäre nicht möglich.

Positiv beurteilten die Grünen das Enga­gement der Stadtwerke Einbeck bei Öko-Strom: Dies sei, so Dietmar Bartels, »echter Öko-Strom«, und auch von Cramon ergänzte: »Das ist vorbildlich, hier sind Sie weiter als woanders.« Stuttgart 21 war schließlich ebenfalls Thema: 1994 habe es einen Vorvertrag dazu gegeben, an­schließend war sechs Wochen lang Zeit für Einsprüche. Die Grünen hätten damals ein Alter­nativ-Gutachten in Auftrag gegeben, »und wir sind uns 16 Jahre treu geblieben«, stellte sie fest. Glaubwürdige Politik zahle sich aus. Natürlich sei man für die Bahn, aber nicht zu diesen Kosten.

Auf den Nägeln brennt in der Region die 380-kV-Höchstspannungsleitung. Für die Zukunft sei ein neues Energienetz notwendig. »Aber Höchstspannung gehört unter die Erde.« Dabei müsse man auf Gleichstromleitungen drängen, eine Technologie, die sich als verträglichste Alternative erwiesen habe.ek