Baustelle gibt Stadtgeschichte in 1,50 Meter Tiefe frei

Archäologische Grabungen vor dem Neubau des Kindergartens Münstermauer | Dreckgraben und Ofenlehm

Die Begrenzungsmauern des etwa einen Meter breiten Schmutzwasserkanals, der hinter den damaligen Häusern entlang lief, haben Grabungsleiter Rafael Roth (rechts) und der Einbecker Archäologe Markus Wehmer auf der Baustelle des Kindergartens Münstermauer entdeckt.

Einbeck. Für die Archäologie ist eine solche Baugrube etwas Besonderes. Hier lässt sich Stadtgeschichte ausgraben. Über die Erkenntnisse der vergangenen Wochen auf der Ausgrabung für den Neubau des Kindergartens Münster-mauer haben der Einbecker Archäologe Markus Wehmer und Rafael Roth, Mitarbeiter der Firma Goldschmidt Archäologie, der Grabungsleiter, vor Ort jetzt berichtet.

1.000 Quadratmeter groß ist die Grabungsfläche zwischen Stadtmuseum und Stadtgrabenstraße, wo der Neubau des Kindergartens Münstermauer entstehen wird. Seit vier Wochen ist das fünfköpfige Goldschmidt-Team hier im Einsatz, bis auf 1,50 Meter hat man sich vorgearbeitet. Die Bedingungen waren in den vergangenen Wochen nicht immer gut: Durch Sturzregen wurde die Fläche bereits komplett geflutet.

Die Funde sind bereits interessant: spannende Baustrukturen, Gebäudefundamente, Hofpflasterungen, Herdstellen und Brandschichten. Das Areal befindet sich in der Nähe des alten Bachlaufs, das Krumme Wasser ist einst durchgeflossen, bevor ab dem Mittelalter aufgefüllt wurde. Die schwierigen Bodenverhältnisse sind jedoch geblieben, und sie sind auch archäologisch sichtbar, beispielsweise in Form von nachgesackten Mauern.

Der erste Streifen, in dem die Archäologen tätig waren, ist gut 30 Meter lang; hier soll die Baustraße verlaufen. Alles, was jetzt gefunden wurde, ist freipräpapiert und dokumentiert worden; die Strukturen müssen allerdings für den weiteren Fortgang des Baus abgetragen beziehungsweise kontrolliert zerstört werden, um die Baugrube freizugeben. Die trocken gesetzten Mauern wären aber ohnehin schwierig zu erhalten, erläuterte Markus Wehmer: In Einbeck habe man mit Lehm, aber ohne Mörtel gebaut, die Strukturen seien zwar dauerhaft, müssten aber gepflegt werden.

Gefunden wurde beispielsweise ein Dreckgrabenkanal mit zwei Mauerschalen. »Das war der Abwasserkanal, der durch die Innenstadt führte – die Brauchwasserentsorgung«, erklärten die Archäologen.

Der Kanal verlief offen durch das Gartenland hinter der Bebauung. Gebaut wurde er vermutlich nach dem Stadtbrand um 1540, genauer lässt sich das nicht datieren. Genutzt wurde er bis etwa 1900; um diese Zeit wurde eine neuzeitliche Kanalisation gebaut.
Dass man hier auf den Kanal stoßen würde, war letztlich keine Überraschung, vielmehr konnte man gezielt auch danach graben. Vorgänger Dr. Stefan Teuber habe einen Teil schon bei den Grabungen vor dem Neubau der Kinderkrippe »erwischt«, schmunzelte Markus Wehmer. Jetzt verläuft der Graben genau am Baufeldrand. Innen ist der Kanal knapp einen Meter breit; die dicken Mauern bestehen aus Kalk- und Sandstein, sie sind nicht vermörtelt.

Richtung Bachlauf haben sich die ein paar Meter weiter gefundenen Mauerreste eines Gebäudes gesenkt – immerhin um 18 Grad, das sei beträchtlich, ordnete Rafael Roth die Situation ein. Hier könne man sehen, was ein feuchter Untergrund auch mit mächtigen Fundamenten anrichten könne. Was genau an der Stelle gestanden hat, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Für einen Stall sind die Fundamente zu groß. Gefunden wurden zudem keramische Abfälle, wie sie in Haushalten angefallen sind, dem 15. und 16. Jahrhundert zuzuordnen. Teilweise handelt es sich um mittelalterliche Grauware, etwa Kugelbodentöpfe. Meist wurde dieses Geschirr lokal hergestellt; auch in Einbeck gab es entsprechende Töpfereien.

Vor einem größeren Gebäude in Nord-Süd-Ausrichtung wurde eine Hofpflasterung aus Kalkstein freigelegt. Im Innern des Hauses – entsprechende Wandreste lassen sich erkennen – befinden sich Brandschichten, möglicherweise von 1540. Entdeckt wurden Überreste eines verzierten Kachelofens, wie er in Einbeck seit dem 13. Jahrhundert üblich war. Die Stadt, betonten die Archäologen, sei bekannt für ihre gut erhaltenen Reste von Kachelöfen. Unwahrscheinlich selten, darauf wies Markus Wehmer hin, seien solche Fragmente von verziertem Ofenlehm, wie man sie bislang nur zweimal in Einbeck, einmal in Dassel und einmal im Marburger Schloss gefunden habe. Er war zuversichtlich, dass man im weiteren Verlauf noch mehr Funde dieser Art bergen kann.

In einem Nebengebäude, vermutlich einem Anbau, gab es einen gepflasterten Boden und eine Feuerstelle. Eventuell stand hier der Waschkessel, möglicherweise auch eine Seifensiederei.

Die Grabungsfläche ist nur in geringer Höhe mit »modernem Schutt« bedeckt, unmittelbar darunter wartete dann schon das 16. Jahrhundert auf die Archäologen, die gespannt sind, worauf sie noch stoßen werden. Die Arbeiten hier werden bis Mitte/Ende Oktober dauern.
»Jede Ausgrabung ist einmalig«, stellte Rafael Roth fest, wobei er sich sehr freut, in einer Stadt wie Einbeck tätig zu sein. Die Schichten, die beim Weg in die Tiefe sichtbar würden, seien für Archäologen ebenso interessant wie das Umfeld und seine stadtgeschichtliche Relevanz.ek