Bedrohte Vielfalt in der Agrarlandschaft

Naturschutzbeauftragter Gert Habermann kritisiert hohen Einsatz von Pestiziden | Insekten unentbehrlich

Für ein Umdenken in der Agrarpolitik: Gert Habermann, Naturschutzbeauftragter des Landkreises Northeim, macht auf den Artenrückgang aufmerksam.

Ein zu frühes Grasmulchen, das zunehmende Zurückdrängen von naturnahen Landschaftselementen wie Hecken und Blühflächen sowie unzureichende Greening- und Blühstreifenprogramme verschärften den beängstigenden Artenrückgang, erklärt der Naturschutzbeauftragte des Landkreises, Gert Habermann – besonders hinsichtlich der Insekten, Vögel und Fledermäuse.

Einbeck. Die Feldmark Andershausen sei noch erfreulich struktur- und artenreich. In den Wiesenbrachen war seit langer Zeit wieder der Lockruf des Rebhuhns zu hören, auf den Disteln wippte der Neuntöter. Sogar das Grüne Heupferd und unterschiedliche Heuschrecken hüpften von Halm zu Halm. Auf einer seit vielen Jahren bestehenden Wiesenbrache auf flachgründigem Kalkboden hat sich zunehmend eine artenreiche Flora aus Glockenblumen, Skabiose, Distel, Odermennig, Dost, Origanum, Thymian, Hauhechel und vielen, andernorts bereits verschollenen Blüh-Pflanzen angesiedelt. Da aus Gründen des Trinkwasserschutzes bereits Anfang Juli die Fläche gemulcht werden muss, hat der Bewirtschafter erfreulicher Weise zur Erhaltung der Blühpflanzen- und demzufolge auch der Artenvielfalt, einen zehn bis fünfzehn Meter breiten Streifen entlang der Hecken und des Waldes nicht gemulcht, was er dann nach der Blütezeit nachholen wird.

Leider wird auf den meisten anderen Brachen, Wiesenrändern, Feldwegen, Rainen und Wegeböschungen nicht so umsichtig gehandelt. Der betriebliche Ablauf vor der Ernte öffnet ein Zeitfenster, das viele Landwirte nutzen, um bereits Anfang Juli die Grünflächen zu mulchen, obwohl die Vorgaben besagen, dass dies einmal jährlich, nicht vor Juli, zu erfolgen habe. Aus Artenschutzgründen sollte ein Termin möglichst erst ab Mitte August gewählt werden, so Habermann.

Mit dem, von einem Tag auf den anderen vollzogenen Lebens,- Nahrung, -Deckungs- und Brutraumentzug, setzt ein unvorstellbares Massensterben ein. Insekten können ihre Brut nicht mehr mit Pollen und Nektar versorgen. Vielen Vögeln fehlen plötzlich die Insekten, die einschließlich ihrer Entwicklungsstadien auf ganz spezielle Futterpflanzen geprägt sind. Die zu diesem Zeitpunkt noch flugunfähigen Küken der Rebhühner, die im Schutz des hohen Grases nach Insekten und insbesondere nach Wiesenameisen suchen, werden samt ihrer Nahrung geschreddert, wie Habermann bestürzt beobachten konnte. Nur die Gabelweihe freute sich darüber. Der Neuntöter verlässt sein Habitat, mangels Ansitzwarte und verschwundener Insektennahrung.

»Landwirtschaft ist angewandter Naturschutz« lautet ein Slogan früherer Jahre. Fakt sei aber nach Meinung Habermanns der hohe Einsatz von Pestiziden, den sogenannte Pflanzenschutzmitteln, eine zunehmende Konzentration auf wenige Nutzpflanzenarten. Aus wirtschaftlichen Zwängen werde vorwiegend in Monokulturen angebaut, vielfach auch als Energiepflanzen, auf immer größeren Feldblöcken. Dies gehe sichtbar mit einer zunehmenden Verarmung der biologischen Vielfalt einher, wobei dem Einsatz von Nervengiften, wie Neonikotinoide und dem Totalherbizid Glyphosat besonders drastische Artenverarmung nachgesagt wird.

Das Bundesamt für Naturschutz stellt in seinem Agrar-Report 2017 fest und gleichlautend weist die Bundesregierung in einer Presseerklärung vom 15.Juli darauf hin, dass seit den achtziger Jahren ein verheerendes Insektensterben von 80 Prozent ihrer Biomasse festgestellt wird. Insekten sind unentbehrliche Nahrungsbasis vieler Vögel und Fledermäuse, die damit ebenfalls, nach Arten zwar unterschiedlich, dramatisch im Bestand einbrechen.

Nun hatte man gehofft, das Greening- und Blühstreifenprogramme den Artenrückgang aufhalten können. Allerdings sei bedauerlicher Weise festzustellen, dass niedersachsenweit auf 60 Prozent der zum Programm gehörenden Flächen Zwischenfrüchte wie Rettich, Senf, Erbsen, Bohnen angebaut werden. Schwer nachvollziehbar sei, dass hier bis heute auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erlaubt ist. Zunehmend wird bereits im Spätherbst die Zwischenfrucht von Schafen abgeweidet, friert bei Frühfrösten runter oder wird spätestens Ende Februar vor der Einsaat gemulcht. Was eine ökologische Verbesserung bringen sollte, diene vorrangig dem Landwirt hinsichtlich einer besseren Bodengare, als Futtermittel und werde überflüssiger Weise noch mit Steuermitteln begünstigt.

Ein weiteres Artenschutzprogramm fördert ein- und mehrjährige Blühstreifen. Dabei sind die einjährigen Blühstreifen meist artenarm. Sie enthalten fast ausschließlich Kulturarten, wie Ackersenf und Rettich, blühen nur sehr kurze Zeit und sind daher für Insekten nahezu ungeeignet. Mehrjährige Blühstreifen seien besser zu bewerten, wenn sie aus »Regionalem Saatgut« begründet und für eine lange Zeit erhalten werden.

Zusätzlich sei es wichtig, dass sie nicht isoliert, sondern im Verbund angelegt sind. Insekten sind vielfach sehr standorttreu. Nur so können dauerhafte Populationen aufgebaut werden. Unerlässlich sind angrenzende Nisthabitate wie Hecken und Baumgruppen. Blühstreifen inmitten ausgeräumter Agrarlandschaft können auch wegen zu weiter Flugdistanzen und fehlender Brutnischen weniger besiedelt werden.

Grenzertragsstandorte wurden früher vorrangig als blütenreiche Wiesen und Weiden genutzt. Sie waren natürliche, artenreiche Lebensräume. Zunehmend werden auch diese Flächen als industriemäßig bewirtschaftetes Agrarland, und zwar für den Anbau von Energiepflanze, wie der Silphie genutzt. Hierbei handelt es sich um eine nordamerikanische, mehrjährige Pflanze mit einer großen Biomasseproduktion.

Es sei dringend ein Umdenken in der Agrarpolitik notwendig, so wie es von der Bundesumweltministerin, Barbara Hendricks, gefordert wird: »In Zukunft sollten Landwirte nicht mehr nach Hektarzahl bezahlt werden, sondern nach dem, was sie für die Allgemeinheit leisten, zum Beispiel für den Artenschutz«.

Erst wenn Naturschutzleistungen einen angemessenen Preis generieren und sie einem handelbaren Produkt, gleichwertig den Agrarprodukten, vergütet werden, könnte sich ein entscheidender Wandel im Wert der Natur entfalten. Besonders kleinbäuerlichen Betrieben, die schon heute nicht mehr mit der Preisentwicklung industriemäßig wirtschaftender Großbetriebe mithalten können, böten gleichwertig entlohnte Naturschutzleistungen eine sichere Zukunftsperspektive, so Habermann.oh