Böse Wahrheiten im Plauderton

Hagen Rether in Einbeck | Kabarett am Wahlabend | Spiegel vorhalten ohne Rücksicht auf politische Korrektheit

Sonntagabend gastierte der bekannte Kabarettist Hagen Rether mit seinem Programm »Liebe 4« im gut gefüllten Wilhelm-Bendow-Theater. In teilweise sehr bissigem Plauderton hielt Rether dem Publikum den Spiegel vor und brachte genau beobachtete böse Wahrheiten unters Volk. Dabei bediente er sich über weite Strecken einer derben Sprache.

Einbeck. Passend zum Abend der Bundestagswahl war mit Hagen Rether ein politischer Kabarettist zu Gast in Einbeck. Die Veranstaltung begann bereits um 19 Uhr, die meisten Gäste hatten sich zu Hause gerade noch die ersten Hochrechnungen angesehen, als sie im Saal eintrafen. Entsprechend fragte Rether auch gleich zu Beginn seines Programms, ob auch FDP-Wähler im Raum seien. Mehr als fünf konnte er nicht zählen.

Rether selbst outete sich, die Grünen gewählt zu haben. »Die Grünen waren am Ende die Pädophilen-Partei, die einem das Schnitzel wegnehmen will.« Zum Kandidaten Steinbrück bemerkte er, »das ist so ein Typ, wo du nicht weißt, in welches Land man noch fahren kann, weil er da gerade eine Rede gehalten hat.« Und überall sieht man Wahlplakate mit Vier-Wort-Sätzen. Richtig viel Text hatten nur die Linken: »Da muss man sich direkt vor das Plakat stellen, um die sechs Zeilen zu verstehen.« Zu den Medien meinte Rether, »ein Jahr lang haben sie den Steinbrück gehäckselt – da ist nur noch Rindenmulch übrig.« Bei Wind und Wetter hätten die namenlosen und ehrenamtlichen Wahlkampfhelfer Plakate aufgehängt. Und jetzt stehe man vor gigantischen Müllbergen, die große Kosten verursacht hätten. »Das kann man sich doch sparen.« Die SPD hätte auf Wahlwerbung verzichten müssen. Stattdessen hätte man einige Kitas gebaut und 40 Erzieherinnen eingestellt. »Dann kann man sagen: Das Volk hat begriffen. Von der SPD kriegen wir diesmal nicht Hackfressen auf vier mal sechs Meter-Plakaten. Und das würden dann auch die anderen Parteien machen müssen.«

»Die FDP ist draußen, ihr Platz in den Talk-Shows wird künftig leer bleiben.« Übrigens stammen die vielen Politiker in diesen Sendungen aus einer Talk-Show-Züchtung; irgendwo in der Uckermark werden diese Politiker gleich mit Stuhl am Hintern gezüchtet, und nach jeder Talk-Show schiebt man sie dann abends in die Hallen irgendeiner Spedition, bevor es am nächsten Tag woanders weiter geht.

Hagen Rether ließ aber auch an der Mentalität seiner Mitbürger kein gutes Haar: »Ich weiß ja nicht, wie die Parksituation in Einbeck ist, aber wenn ich zu Hause in Essen mal zur Apotheke fahre und für zwei Minuten auf dem Bürgersteig stehe, dann hängt danach ein Zettel an der Windschutzscheibe: Voll Sch… geparkt, Du A…! Was ist los? Sind die Blockwarte wieder unterwegs? Wundert euch nicht, dass die Kinder ADHS haben, wenn die Erzieherinnen schon in der Burn-Out-Reha waren.«

Mit Bezug auf das verkürzte Abitur bemerkte er spitz: »Wieso haben eigentlich die A…geigen immer die bessere Lobby? Mit 17 machen die Kurzen Abi – und das, wo die Leute heute 90 Jahre und älter werden. Warum müssen die mit 17 aus der Schule? Und warum muss die Schule überhaupt um 8 Uhr anfangen? Zwei Stunden lang laufen Schüler und Lehrer stumm glotzend durch die Schule und haben noch keinen Puls.«

»Sex und Gewalt haben wir mittlerweile in allen Vorabendserien. Nur Langeweile haben wir nicht. Am ersten Ferientag müssen wir sofort los. Auf dass wir ja keine Zeit haben, in den Abgrund zu sehen. Aber es ist dein Abgrund. Da muss man ab und zu mal reingucken. Aber vorher muss man noch unbedingt die Bude aufräumen. Damit man nach dem Urlaub in eine schöne Wohnung kommt. Aber dann kannst du doch gleich zu Hause bleiben, wenn es da schön ist. 150.000 Jahre lang konnten sich die Leute zu Hause erholen, aber seit 15 Jahren ist das anders? Früher, das war die Zeit, wo die Geschäfte um halb sieben zu hatten und die Verkäuferinnen noch Tagesschau sehen konnten. Wir fürchten die Langeweile. Stellen Sie sich mal vor, ich würde jetzt sechs Minuten nichts mehr machen, da würde hier im Saal das Aggressionspotential steigen. Statt Wutbürger wäre mal der Begriff Schmerzbürger angemessen. Es ist wahnsinnig wohlfeil, dauernd wütend zu sein. Wem nützt das? Wutbürger sind die, die demonstrieren, aber haben sie mal einen Brückentag, dann geht es nach Mallorca. Und im Flieger sind sie wieder wütend: Ich habe 19 Euro bezahlt und es gibt noch nicht mal Mittagessen.«

»24 Stunden lang herrscht auf jedem Kanal Witzigkeitszwang. Unterhaltung in Deutschland hat mittlerweile nur noch mit Auflaufen lassen zu tun. Jeder muss gewinnen. Ich bin damals aus der Kirche ausgetreten und bei Arte eingetreten. Die besten Sendungen laufen in der Nacht. Um 20.15 Uhr läuft nur «Tatort” und Volksmusik, also auf jeden Fall Gewalt. Vor dem Schlafen noch N24 gucken, und wenn ich gesehen habe, dass jederzeit ein Meteorit auf die Erde einschlagen könnte, kann ich beruhigt einschlafen. Außerdem finde ich es gut, dass es einen Sender gibt, der Kampfhubschrauber testet. Damit ich mich beim nächsten Mal nicht wieder vertue.« Eine Sendung über das Brät, »also Currywurst oder Leberkäse« hatte es Hagen Rether angetan. »Da schiebt man die Tiere zurück in den Darm. Und wenn man das ganz erfolgreich macht, dann heißt man Hoeneß. Wir sind ein Volk von Schnäppchenjägern und Kleinbürgern. Es ist immer der gleiche Spiegelneuronen-Sch… . Wir selber müssen uns nie verantworten, aber die Politiker, ja und dann? … Es ist immer das gleiche Murmeltier, das wir grüßen müssen.«

Rether geißelte die Doppelmoral der Gesellschaft. Dabei nahm er auch die Religion nicht aus. Wie würde sich Jesus heute verhalten? Das Neue Testament »ist doch nur eine bekloppte Vorlage aus der Bronzezeit.« Jesus hätte vor den Römern fliehen sollen. Dann wäre er 60 Jahre oder noch älter geworden. Er hätte seine Geschichte selber aufgeschrieben, »dann wäre nicht 100 Jahre später von vier Plagiatoren dieser Mist verzapft worden.«Zwischendurch lobte Rether das schöne Fachwerk in Einbeck. »Ich habe erst gedacht, ich bin in Rothenburg ob der Tauber.« »Was, schon eine Stunde 40?« Mit Blick auf die Uhr setzte sich Rether ans Klavier und sang ein Lied. Wo die meisten anderen Veranstaltungen zu diesem Zeitpunkt vorbei sind, ging es in die Pause. Im zweiten Teil des Abends widmete sich Rether ausgiebig seinem Flügel, den er während seiner Plaudereien mit Hingebung polierte. Dazu hatte er einen großen Stapel Mikrofasertücher dabei, die er fein säuberlich faltete. »Ich bin froh, dass ich bei den Guten bin.« Das habe er bei Asterix gelernt. Die Römer sind die Bösen. Irritierend war nur, dass am Ende immer der einzige Pazifist im Dorf, der auch noch lesen und schreiben konnte, an den Baum gefesselt wurde.

Mit einem bitterbösen Umkehrschluss endete der Abend: Man stelle sich vor, es fliegen regelmäßig Flugzeugladungen mit dicken thailändischen Männern nach Deutschland, die die Töchter haben wollen. Und die Männer könnten nichts machen außer Fußbälle zu nähen. Mit einem Lied von Michael Jackson verabschiedete sich Rether vom Einbecker Publikum. Inklusive Pause dauerte der unterhaltsame Abend, bei dem einem mehr als einmal das Lachen im Halse stecken blieb, mehr als dreieinhalb Stunden.wk