»Bürgergeld« öffnet neues Kapitel sozialer Marktwirtschaft

Früherer Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus, hält Benefiz-Vortrag zum 50-jährigen Jubiläum des Einbecker Lions Clubs

Ein »solidarisches Bürgergeld« für alle, das wäre sinnvoll, finanzierbar und zugleich eine Chance für die soziale Marktwirtschaft. Zum 50-jährigen Bestehen des Lions Clubs Einbeck war der frühere Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, Dieter Althaus, zu Gast im Einbecker Rathaus. Vor einem großen Auditorium sprach er über das Bürgergeld.

Einbeck. Wer sind und was tun Lions, dieser Frage ging zunächst Lions-Präsident Karsten Klässig nach: Der Club, eine der größten Nichtregierungsorganisationen weltweit, wurde 1917 in den USA gegründet. Gemeinsam stellen sich die Mitglieder unter dem Motto »We serve«, »Wir dienen«, der Lösung gesellschaftlicher Probleme. So helfen sie bei der Finanzierung von Programmen für Kinder und Jugendliche, unterstützen Sehbehinderte oder Hilfsbedürftige in der Dritten Welt. 1,4 Millionen Mitglieder engagieren sich weltweit in mehr als 46.000 Clubs. In Deutschland wurde der erste Club 1951 in Düsseldorf gegründet, heute gibt es über 49.000 Mitglieder in 1.450 Clubs.

Bei Neugründungen ist man von Männer- zu gemischten Clubs übergegangen. Ob beim Kampf gegen Blindheit, beim Jugendaustausch, beim Erhalt von Kulturdenkmalen – immer sind die Lions unter den Helfern zu finden. Hilfe zur Selbsthilfe steht im Mittelpunkt ohne persönlichen materiellen Nutzen. Er freue sich, so Präsident Klässig, für die Activity im laufenden Jubiläumsjahr des Einbecker Clubs Dieter Althaus begrüßen zu können. Das »solidarische Bürgergeld« sei ein Thema, dem er sich nach dem Ausscheiden aus der Politik weiter widme.

Mit dem Bürgergeld wolle er eine gesellschaftliche Debatte auflegen, die dringend notwendig sei, betonte Dieter Althaus. Es gebe »echten Reformbedarf« in Deutschland. Um eine Lösung zu finden, müsse man tief bohren und herausfinden, was soziale Marktwirtschaft tatsächlich möchte. Sie verbinde die beiden deutschen Staaten seit der Wiedervereinigung 1989/1990, eine Erfolgsgeschichte nach der Wende, die so viel Kraft entwickelte, dass ein marodes Land, kaputt an Moral und Umwelt, saniert werden konnte.

Die soziale Marktwirtschaft wurde 1948 vom damaligen Direktor der Bi-Zone in Deutschland, Ludwig Erhard, eingeführt. Damit wurden Zwangsbewirtschaftung und Preisbindung abgeschafft. Die Freiheit des Marktes und die Chance des Wettbewerbs sowie das Prinzip des sozialen Ausgleichs sollten Deutschland wieder auf die Beine helfen, und tatsächlich sprang der Motor an, und das Wirtschaftswunder kam in Gang. Ordnungsprinzipien waren Solidarität, Gemeinwohl, Werteerhalt und Subsidarität, also Eigenverantwortung vor staatlichem Handeln.

Die Erfolgsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft, führte Althaus aus, müsse im 21. Jahrhundert in einer veränderten Situation neu geschrieben werden. Globalisierung und dramatische demografische Veränderungen stellten das System vor große Aufgaben. Es würden Systemfehler spürbar, etwa bei der Rente, deren Grundlagen nicht solide genug beachtet worden seien. »Wir haben keinen Mut zu Reformen«, kritisierte Althaus angesichts dieser Fakten. Unter diesen Aspekten müsse man nicht den fürsorglichen, sondern den befähigenden Staat ausbauen. Die Freiheit stehe im Mittelpunkt, aber auch eine gesunde Wirtschaft sei notwendig, damit die Gesellschaft ihre Ziele erfüllen könne.

Das »solidarische Bürgergeld«, führte der Referent aus, beschreibe ein existenzsicherndes Mindesteinkommen. Bisher sei es so, dass ein immer höherer Anteil des Bruttoinlandsprodukts genutzt werden müsse, um den Sozialstaat zu finanzieren. Das wirke sich auf die Lohnnebenkosten, das soziale Sicherungssystem und den Arbeitsmarkt aus. Die Leistungen für ALG-II-Empfänger, Erwerbsunfähige und so genannte Aufstocker würden pro Jahr bei 52 Milliarden Euro liegen, das seien 7.200 Euro pro Person und Jahr. »Das kann man umstellen, man muss es nur tun«, forderte Althaus. Der Ansatz sei, die Bürokratie zu reformieren sowie die Besteuerung klar, einfach und nachvollziehbar zu handhaben.

Althaus hält ein »solidarisches Bürgergeld« von 600 Euro pro Monat für jeden richtig. Eingeschlossen sind 200 Euro Gesundheitsprämie für eine Krankenversicherung. Ab 60 gibt es eine Zusatzrente von maximal 1.800 Euro, je nach Arbeitszeit und Verdienst. Elternrente wird in Höhe von 57 oder 85 Euro (verheiratet oder alleinerziehend) gezahlt. Die Einkommensteuer sollte für alle Bürger und auf alle Einkommen 40 Prozent betragen, die Lohnsummensteuer 18 Prozent, die Konsumsteuer 19 Prozent. Dafür würden alle Lohnnebenkosten wegfallen.

»Alle Einkommen werden entlastet«, so Althaus’ Bilanz, und er machte eine »einfache« Rechnung auf: Von einem Einkommen von 1.200 Euro würden 1.120 Euro netto bleiben, von 2.000 Euro 1.600 Euro netto. Für Kinder soll es 400 Euro netto geben. Die Haushaltseinkommen würden steigen.

Den Ausgaben dafür müsse man mit Einnahmen und Ersparnissen aufrechnen. »Es bleibt ein geringer Überschuss«, führte der Referent aus. Wichtig sei die Impulswirkung und dass alle Einkünfte gleichwertig für den Sozialstaat herangezogen würden. In den niedrigen Lohnbereichen würde der Arbeitsmarkt wieder zu einem echten Markt, und die moralische Pflicht zur Arbeit werde gestärkt. Nicht Versorgung, sondern Anreiz würde im Mittelpunkt stehen. Zudem gebe es keine Stigmatisierung, wie etwa heute bei Hartz-IV-Empfängern.

Das Konzept zur Befähigung, so Althaus, verspreche Gerechtigkeit, Sicherheit und Freiheit. Gesellschaftliche Solidarität könne man mit Leistungswillen verbinden, die Armutsquote werde reduziert. Die Gesellschaft müsse den Mut haben, in dieses dritte Kapitel der sozialen Marktwirtschaft einzusteigen, forderte er. Er wünsche sich, dass das Thema leidenschaftlich diskutiert werde – und dass man sich nicht länger vormachen lasse, dass die Rente sicher sei. »Das wäre eine Chance für die soziale Marktwirtschaft und für uns alle«, betonte Althaus.ek