Crème frech strapaziert ausgiebig die Lachmuskeln

Aufführung von »Außer Kontrolle« am 8. Juli ab 19.30 Uhr im ESV-Vereinsheim / Stück fordert Tempo und Textsicherheit

Die Fans waren informiert, und sie kamen in Scharen. Das Einbecker Musik- und Kulturzentrum »TangoBrücke« war am Wochenende zwei Mal restlos ausverkauft, als Crème frech – das Theaterprojekt Einbeck – die Komödie »Außer Kontrolle« von Ray Cooney präsentierte. Zum dritten Mal tritt diese junge Gruppe in ihrer neuen Heimat auf, unterstützt von Kaja und Martin Keil, den Machern des Hauses in der Langen Brücke. Hier arbeiten die begeisterten Amateure seit mehreren Jahren regelmäßig an ihren Vorhaben. Auch »Amanti« – ein zweites Projekt unter der Regie von Rolf-D. Bartels – hat hier seit vorigem Jahr seinen Probenbetrieb aufgenommen.

Einbeck. Cooneys Stück beschäftigt etwa zwei Stunden lang energisch die Lachmuskeln der Anwesenden, die mit geröteten Wangen und strahlenden Gesichtern die Vorstellung verlassen. Ray Cooney ist einer der zurzeit meistgespielten englischen Theaterautoren, gleichzeitig Thetermanager und Schauspieler. Er versteht es meisterlich, seine überaus witzigen, von typisch britischem Humor geprägten Stücke zu Publikumsrennern zu machen.

Richard Willey ist Minister der britischen Staatsregierung und sollte eigentlich an einer Debatte im House of Commons teilnehmen, um den Premier zu unterstützen. Da er zu diesem Zweck nach London kommt und seine Ehefrau zu Hause bleibt, möchte er die Zeit lieber anders nutzen. Schließlich hat der Vorsitzende der Opposition eine ganz reizende persönliche Assistentin, Jane Worthington. Und diese beiden wollen die Suite im Westminster Hotel für ein heißes Vergnügen teilen. Doch es kommt ganz anders. Als Jane die Vorhänge am Fenster beiseite zieht, hängt dort ein offenbar lebloser Körper über dem Fensterbrett. Nun müssen die beiden überlegen, wie sie diese Leiche loswerden, ohne dass ihre gemeinsame Situation bekannt wird. Jane will das Nächstliegende tun: die Polizei anrufen oder wenigstens das Hotelmanagement (zwischen Flirten und Erschrecken hin- und herirrend: Kristina Schlüsche). Richard aber, der eigentlich viel lieber »Dickie« genannt werden möchte, versucht stattdessen mit allen Mitteln, die ihm einfallen, den Sachverhalt zu verschleiern.

George Pigden wird herbeigerufen, Richards persönlicher Assistent. Er soll seinem Chef helfen, die Leiche aus dessen Raum zu entfernen und später in seinem eigenen Zimmer aufzufinden, das ihm ebenfalls im Hotel zur Verfügung gestellt worden ist. George versucht verzweifelt moralisch einwandfrei zu bleiben (»Mr. Willey, ich habe Sie schon immer vor den Folgen Ihrer Libido gewarnt!«). Aber er wird immer weiter in den Sog von Vertuschung hineingezogen, bis er selber anfangen muss zu flunkern und sich verrückte Ideen einfallen zu lassen, um die Situation zu entschärfen. Die Leiche wird von einem Platz zum nächsten geschleppt, muss notfalls auch tanzen, mit dem Kopf nicken oder winken, all das gesteuert von Richard und George.

Nicht nur die Hotelmanagerin (energisch dargestellt von Henrike Bock) taucht immer wieder auf, um nach dem Rechten zu sehen, auch das Servicepersonal Harriet (geldgierig und leicht verschusselt: Saskia Krummhaar) und Harold (ebenso geldgierig, dazu neugierig und sehr komisch: der Regisseur Rolf-D. Bartels) stören ständig und verlangen überdies noch Mengen an Trinkgeld. Das Chaos vergrößert sich, als Janes Ehemann Ronnie (laut und brutal wirkend, dann aber wieder überraschend weinerlich: Felix Ralf Otto) auf der Suche nach seiner Frau auftaucht, weil er schon länger ahnt, dass sich zwischen ihr und Richard etwas anbahnt. Die Managerin wird immer aufgebrachter, weil sie glaubt, ausgerechnet Richard und Ronnie zusammen in einer eindeutig zweideutigen Situation erwischt zu haben. Da sie nicht merkt, dass sie das, was sie zu sehen glaubt, falsch deutet, setzt sie mehr Druck hinter ihre Aktionen, indem sie ihren »Rausschmeißer« Bullit mitbringt (ein Klotz von Kerl; auch beim Leisesprechen bedrohlich wirkend: Nico Rosniewski).

Zwischenzeitlich wacht die »Leiche« auf. Sie heißt Baker und ist eigentlich Privatdetektivin. Ronnie lässt durch sie seine Frau beschatten. Baker war auf den Balkon von Richards Zimmer gestiegen und hatte durch das Schiebefenster in die Suite geblickt. Dieses Fenster spielt eine besondere Rolle: Es fällt in unpassenden  Augenblicken wie ein Richtschwert nach unten, trifft Leute auf den Kopf – nicht nur sie, sondern im Laufe des Stückes auch andere – und versenkt sie in einen mehr oder weniger lange dauernden Tiefschlaf. Baker wird mit Schlaftabletten ruhig gestellt, damit sie nichts von dem verraten kann, was sie gesehen hat. Allerdings kann sie sich auch nur bruchstückhaft an die vorangegangenen Ereignisse erinnern. Anastasia Lisizin wird von einigen Zuschauern anfangs mit einer Puppe verwechselt, so perfekt spielt sie die »Leiche«.

Die Verwirrung wird vollkommen, als Richards Frau Pamela zu Besuch auftaucht. Sie möchte ihren Mann überraschen. Der ist zwar gerade nicht da, aber George, und der möchte gerne »dichthalten«. In seiner Verzweiflung fängt er an, mit Pamela zu flirten: »Mein Gott, sind Sie schööööön!« Nur zu gern lässt sich Pamela darauf ein, auf eine »wilde, leidenschaftliche Affaire« (hinreißend, wie sich Franziska Förster hinreißen lässt). Dann tauchen zwei Krankenschwestern auf, Gladys und Elaine. Eigentlich sollen diese sich um Georges kranke Mutter kümmern, aber Mama sorgt sich so sehr um ihren Sohn – sie glaubt, er sei inzwischen verheiratet, ohne sie informiert zu haben – dass sie die Pflegekräfte zum Nachsehen schickt. George sieht wieder nur einen Ausweg. Auch diese beiden Frauen bekommen zu hören: »Gott, sind Sie schööööön!«, und lassen sich offensichtlich freudig überrascht von George zu einem »flotten Dreier« überreden (erst energisch, dann geradezu niedlich in ihrer Beglückung: Ivana Kreies und Elena Litowtschenko).

Als Pamela darauf besteht, die Ehefrau des vermeintlich frisch verheirateten George zu begrüßen, hilft der Servicemann Harold aus der Patsche: Als Ivy verkleidet kann er Pamela beruhigen, dass alles in Ordnung ist. George aber zieht lieber mit den freudigen Krankenschwestern ab, Jane versöhnt sich mit Ronnie und Richard versichert seiner Pamela, dass er nie etwas anderes als sie im Sinn gehabt habe. Harriet, Harold und Baker teilen das reichlich geflossene Trinkgeld unter sich auf. Dann macht sich die »Privatdetektivin« bereit für den nächsten Coup und legt sich unter das Schiebefenster, um dafür zu sorgen, dass nach Richard Willey auch der nächste reiche Gast durch dieses verschworene Trio ausgenommen werden kann.Hochleistungen werden in »Außer Kontrolle« von allen Darstellerinnen und Darstellern verlangt. Das Stück erfordert Tempo und damit große Textsicherheit. Die Mitwirkenden von Crème frech unter der geschickten Regie von Rolf-D. Bartels waren dem allemal gewachsen. Sie überzeugten durch dynamisches Spiel und Ausdrucksreichtum. Eine Zuschauerin: »Auch Profis hätten das nicht viel besser gekonnt.« Vor allem auf den beiden Hauptdarstellern lastete eine Fülle an Text. Kai Tietze als Richard ging mit dieser Herausforderung souverän um. Er verkörperte den listigen und hinterlistigen, einfallsreichen, hektischen Politiker sehr überzeugend. Faszinierend, dass Boi Krumwiede als George eine ausgezeichnete Balance zwischen Entsetzen, Verteidigungsstrategien und schrillen Ideen hinbekam und große Textsicherheit zeigte, hatte er die Rolle wegen des Ausfalls eines Darstellers doch erst zwei Wochen vor der Aufführung übernommen.

Die Zuschauer waren restlos mitgerissen. »So viel habe ich schon lange nicht mehr gelacht.« Sie zeigten ihre Beglückung und Freude und Begeisterung durch langen, enthusiastischen Beifall und großzügige Spenden in den in der TangoBrücke legendären blauen Hut. Diejenigen, die das Stück noch nicht sehen konnten, haben dazu noch zwei Mal Gelegenheit: am 16. Juni ab 19.30 Uhr, im »Goldenen Saal« in Kalefeld, Auetalstraße, und am Sonntag, 8. Juli, ab 19.30 Uhr im Vereinsheim des ESV in Einbeck, Hubeweg. oh