»Der Täter ruht sich auf dem Verhalten des Opfers aus«

Informationsveranstaltung zum Thema »Wege aus der häuslichen Gewalt« / Fallzahlen steigen an – in allen Gesellschaftsschichten

Heute ist der internationale Gedenktag »Nein zu Gewalt an Frauen« – passend dazu organisierte die Einbecker Gleichstellungsbeauftragte, Sabine Möhle, in Zusammenarbeit mit der Gleichstellungsstelle Northeim und in Verbindung mit der Beratungs- und Interventionsstelle (BISS) eine Informationsveranstaltung über die aktuelle Arbeit mit dem Gewaltschutzgesetz in Einbeck. Wege aus der häuslichen Gewalt aufzuzeigen war das Ziel – angesichts von rund 71 Fällen im vergangenen Jahr allein in Einbeck auch notwendig. Man wolle, erklärte Möhle, über das Thema häusliche Gewalt informieren, damit die Zusammenarbeit aller Beteiligten intensiviert werden kann.

Einbeck. Dirk Schubert vom Polizeiermittlungsdienst in Northeim definierte häusliche Gewalt als jegliche Form der physischen, psychischen oder sexuellen Gewalt zwischen Menschen. In Niedersachsen seien im vergangenen Jahr 13.500 Fälle bekannt geworden. Vor sechs Jahren gab es im hiesigen Bereich weniger als 200 Fälle, die Zahl habe sich aber mittlerweile verdoppelt. Allein in Einbeck gab es im vergangenen Jahr 71 Fälle häuslicher Gewalt. Doch nicht jedes Opfer wolle, dass der Täter strafverfolgt werde.

Wird der Notruf ausgelöst, sind die Polizeibeamten die Ersten, die mit der Situation vor Ort konfrontiert werden. Wie Thomas Papenberg vom Einsatz- und Streifendienst Einbeck erklärte, werde zunächst versucht, die Situation zu klären. Mit dem Opfer – in der Regel die Frau – werde gesprochen, der Tathergang wird aufgenommen, ihr werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie weiter verfahren werden kann. Die Polizei kann dem Täter einen Platzverweis für höchstens 14 Tage aussprechen. Ist noch Alkohol im Spiel, kann es erforderlich sein, den Täter in Gewahrsam zu nehmen. Man dürfe nicht zulassen, dass der Mann mache, was er wolle, stellte Papenberg fest. Einerseits tue man dem Strafanspruch genüge, erläuterte Petra Steinhoff vom Kriminalermittlungsdienst Einbeck, andererseits versuche man Betroffenen zu helfen, sie zu Beratungs- und Interventionsstellen weiter zu leiten. Hilfe gebe es aber nicht nur für Opfer, sondern auch für Täter.

Die Beratungs- und Interventionsstelle (BISS) Northeim ist eine von 34 in Niedersachsen. Hier wurden im vergangenen Jahr rund 210 Fälle verzeichnet, wobei man von einer weitaus höheren Dunkelziffer ausgehe, stellte Heike Oppermann vom BISS fest. Viele Frauen würden sich nicht trauen, das Thema nach außen zu tragen, sie fühlten sich verantwortlich. Nach dem Polizeiprotokoll nehme das BISS mit den Betroffenen Kontakt auf, Ziel sei die Krisenintervention. Den Betroffenen werden weiterführende Beratungsstellen genannt. Beachtet wird, welchen Weg die Frau gehen wolle, welcher Weg für die Kinder richtig sei. In diesem Zusammenhang wichtig sei ein Netzwerk, beispielsweise mit Kinderschutzbund oder Weißem Ring.

Unter den rund 300 Familienverfahren, die am Einbecker Amtsgericht im vergangenen Jahr verhandelt wurden, waren 28 Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz. Um häusliche Gewalt ging es dabei in weniger als fünf Fällen, denn auch Nachbarschaftsstreitigkeiten können unter das Gewaltschutzgesetz fallen, erläuterte Thomas Döhrel, Direktor am Amtsgericht Einbeck. Zugenommen, stellte er fest, habe aber sicherlich der Wunsch, dass jemand von außen hilft. Und das müsse man ernst nehmen.

Dass sich häusliche Gewalt durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten zieht, konnte Elke Ossenberg von der Staatsanwaltschaft Göttingen feststellen. Im entsprechenden Sonderdezernat werden rund 1.500 Fälle im Jahr verfolgt.  Wenn die Staatsanwaltschaft am Zuge sei, habe sich die angespannte Situation meistens gelegt. Nüchtern gehe man das Thema an, schließlich arbeite man vorerst nur mit Papier. Die Staatsanwaltschaft hat aber auch die Möglichkeit, den Täter vorzuladen. Da ein besonderes öffentliches Interesse an diesen Fällen bestehe, müssen die Taten verfolgt werden. Der Täter, berichtete sie aus ihrer Erfahrung »ruht sich oft auf dem Verhalten des Opfers aus«.Dass gewalttätiges Verhalten erlerntes Verhalten sei, betonte Dr. Peter Nordhoff vom Verein »Wege aus der Gewalt«. Der Verein organisiert Verhaltenstrainingskurse für Täter in Göttingen und Northeim. Da in 80 Prozent der Fälle auch Kinder eingebunden seien, gelte es, schnell zu handeln. Geschehe das nicht, seien Probleme in der Zukunft vorprogrammiert. Dem Täter müsse ermöglicht werden, an seinem Verhalten zu arbeiten.

Angesichts des Themas war sich Bürgermeister Ulrich Minkner sicher, dass hier noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten sei. Dass das Land Niedersachsen sich für den Schutz von Frauen und ihren Kindern vor Gewalt im häuslichen Bereich einsetze, damit ihr Anspruch auf ein gewaltfreies Leben eingelöst werden könne, unterstrich Hans Walter Rusteberg, Polizeidirektor der Polizeiinspektion Northeim-Osterode. Der mehrtägige Platzverweis nach dem Motto »Wer schlägt, der geht« habe sich als wirkungsvolles Instrument erwiesen. Denn damit werde ein eindeutiges Signal gesetzt, dass häusliche Gewalt nicht erduldet werden muss beziehungsweise nicht geduldet wird. Polizeiliche Krisenintervention stoße aber auch an Grenzen, wenn es beispielsweise darum gehe, ein Opfer weiter zu betreuen. Vorfälle häuslicher Gewalt werden unaufgefordert an die BISS gemeldet, die dann Kontakt zum Opfer aufnimmt, um Hilfestellungen zu leisten. Angebote zur Täterarbeit könnten zudem helfen, den Teufelskreis der Gewalt in einer Beziehung zu durchbrechen.

Trotz guter rechtlicher Rahmenbedingungen, wirkungsvollen Hilfsangeboten und intensiver Polizeiarbeit sei häusliche Gewalt aber immer noch ein ernstes gesamtgesellschaftliches Problem. Denn wer zuhause erlebt, dass Gewalt eine Problemlösung ist, neige eher dazu, in problematischen Situationen selbst Gewalt anzuwenden. Die oftmals nicht vorhandene Aussagebereitschaft des Opfers erschwere eine wirkungsvolle Strafverfolgung des Täters. »Wenn Menschen im häuslichen Bereich Gewalt erleiden, ist es nicht Privatsache. Es ist staatliche Pflicht einzugreifen, aber auch gesellschaftliche Pflicht, nicht wegzusehen, sondern den Opfern zu helfen.«sts

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