»Deutschland grenzenlos«

Foto-Gegenüberstellungen der deutsch-deutschen Grenze damals und heute

Einbeck. Schaut man von Duderstadt Richtung Ecklingerode, sieht man Unspektakuläres: Felder, Häuser und eine Kirche. 1982 stand hier das Schild des Bundesgrenzschutzes »Halt! Hier Grenze«, ein Grenzpfosten und dahinter ein Sperrzaun. Hier war die Welt zu Ende.

312 solcher Gegenüberstellungs-Fotos, damals und heute an der gesamten deutsch-deutschen Grenze - Niedersachsen hatte 555 von 1.400 Kilometern - sind jetzt, im 25. Jahr des Mauerfalls, auf 192 Seiten in dem Buch »Deutschland grenzenlos«(Christoph Links Verlag, ISBN 978-3-86153-774-8) erschienen. Viele während der Teilung gemachten Fotos wiederholte Jürgen Ritter nach 1989, von der gleichen Stelle aus, um Veränderungen zu verdeutlichen. Das Zeitdokument gehört in jede Bibliothek und bietet sich als Gesprächsgrundlage zwischen jenen an, die es erlebten, und jenen, die mit dem Brandenburger Tor nur singende Fußballer verbinden.

Jede Fotoseite, egal, ob der Grenzaufklärer, der sein Gegenüber aus dem Gebüsch fotografiert, der Sperrzaun auf der Staumauer der Eckertalsperre, der Blick auf den Brocken samt sämtlicher Anlagen, die Grenzschneise bei Görsdorf im Kreis Sonneberg, Metallgitterzäune früher und Wald heute, abgebaute Bahntrasse früher und ICE heute, Jugendliche, die in Zicherie hinüberblicken und ein Schützenverein, der 2009 nach Böckwitz wanderte,  belegt das für heutige Generationen kaum Vorstellbare. Die Texte des Politologen und Deutschlandfunk-Journalisten Peter Joachim Lapp geben einen Geschichtsüberblick und zeigen die Entwicklung seit 1989 auf. Eine Tabelle mit zehn unterschiedlichen Quellen verdeutlicht die Problematik der Feststellung der genauen Zahl jener, die in 40 Jahren bei Fluchtversuchen getötet wurden. Hierzu läuft ein Forschungsprojekt, wird der Leser informiert. Die Texte berichten von den 139 Grenzübergängen sowie -durchlässen, die bis Ende 1989 »in atemberaubender Schnelligkeit« entstanden, bis zu Minen in Thüringen, die heute noch beim Pilzesammeln entdeckt werden, von der erstmaligen Möglichkeit 1989 »geschleifte Orte« zu besuchen, bis zu ökonomischen »Zonenrand«-Problemen in der Gegenwart im Westen wie im Osten. Thematisiert werden die unterschiedlichen Erinnerungsblickwinkel Ost oder West, Jung oder Alt, Zeitzeuge oder Nachgeborener sowie die Aufgaben und Chancen der Gedenkstätten und Grenzmuseen. Zu Teistungen entstand der Gedanke bereits im Februar 1990.Mit Fotos und Texten zu dieser Grenze beschäftigen sich Lapp und Ritter seit Jahrzehnten. 40.000 Fotos der deutschen Grenzanlagen und der Veränderungen seit 1989 hat Ritter, der bei Uelzen lebt, bisher gemacht. Beide wurden von der Stasi beobachtet. Ritters Geschichte ist dramatisch: Wegen seiner »Gefährlicheit« wurde sogar ein Stellvertreter Mielkes informiert.

Ritter stellte seit 1981 Grenzfotos an mehr als 50 Orten aus, um zu dokumentieren, wie die DDR sich abschottet und mit Menschenrechten umgeht. Auch gründete er den Verein »Grenzopfer«. Die DDR sah die Ausstellungen als »Hetzveranstaltungen«, und im Westen folgten Ausstellungsabsagen, um Städtepartnerschaften nicht zu gefährden. 2007 erhielt Ritter den »Einheitspreis« für seine Fotos, die eine »einmalige Dokumentation der Teilung und Einheit« widerspiegeln. Ein Vorwort von Rainer Eppelmann sowie Übersichtskarte, Ortsnamen-Register und Literaturverzeichnis ergänzen das Buch.des