»Die einzige Rettung für Afghanistan ist die Bildung«

Rotary-Engagement zahlt sich aus: Atefa-Schule in Estalef hat sich gut entwickelt / 640 Schülerinnen / Erste Abiturientinnen

Ein großer Tag für 19 junge Frauen in der afghanischen Stadt Estalef: Sie konnten als erste ihre Abiturzeugnisse in Empfang nehmen. Möglich wurde dies nach ihrem erfolgreichen Besuch der Atefa-Schule für Mädchen, und wesentlich dazu beigetragen hat auch der Rotary Club Einbeck-Northeim, der die Schule seit langem finanziell unterstützt.

Einbeck. »Die einzige Rettung für Afghanistan ist die Bildung«, mit dieser Überzeugung wurde die Schule 2002 von einem in Deutschland tätigen afghanischen Mediziner gegründet. Dr. Anwar Nabiyar aus Lüdenscheid hat die Initiative ergriffen, in seiner Heimatstadt eine Mädchenschule aufzubauen. Bei einem Besuch hatten er und seine Schwester erlebt, wie Unterricht in Afghanistan aussah: Die Kinder hockten unter freiem Himmel beziehungsweise einem Baum, und ab einem bestimmten Alter waren die Jungen unter sich beziehungsweise blieben die Mädchen zuhause. Mit eigenen Mitteln und auf einem gestifteten Grundstück sowie durch Spenden wurde der erste Schulneubau für Mädchen in Afghanistan nach dem Ende der Talibanherrschaft möglich.

»Das musste zu dieser Zeit geradezu als revolutionäre Idee anmuten«, blickt Dr. Alois Kühn zurück. Der Einbecker, Gemeindienstbeauftragter im Rotary Club Einbeck-Northeim, begleitet die Schule seit vielen Jahren. Über persönliche beziehungsweise berufliche Kontakte ist er auf das Projekt aufmerksam geworden, und er hat den Club dafür begeistern können.

Die Schule, die im März 2003 mit 140 Mädchen den Lehrbetrieb aufgenommen hat, verfügt inzwischen nach mehreren Erweiterungen über Platz für etwa 640 Schülerinnen. Benannt ist sie nach Atefa, einem afghanischen Mädchen, das im Alter von 13 Jahren bei einem sowjetischen Bombenangriff zwei kleinere Kinder von der Straße retten wollte und dabei selbst ums Leben kam. Es gibt eine Grund- und Hauptschule und seit einiger Zeit auch eine gymnasiale Oberstufe, die die ersten Schülerinnen abgeschlossen haben. »Das ist ein ermutigender Beweis dafür, dass junge und selbstbewusste Mädchen beziehungsweise junge Frauen heranwachsen, die die ihnen gebotene Bildungschance systematisch und zielstrebig zu nutzen wissen«, freuen sich Dr. Kühn und der Öffentlichkeitsbeauftragte von Rotary, Franz Alfus.

Nicht nur die Tatsache, dass die ersten Abiturientinnen in einer würdigen Feier entlassen werden konnten, sondern auch die Leistungen der Schule insgesamt machen die Unterstützter ein bisschen stolz: Immerhin gehört die Atefa-Schule nach einem aktuellen Gutachten des afghanischen Bildungsministeriums zu den vier besten der insgesamt 354 Schulen im Regierungsbezirk Kabul.

16 Absolventinnen möchten gern ein Studium beginnen, wobei das in der Regel mit finanziellen Problemen verbunden ist: Pro Monat wären dafür rund 200 bis 250 Euro zu zahlen. Im Moment wird aber von den Förderern der Schule noch nach Wegen gesucht, hier doch noch zu einer Finanzierung zu kommen.

Dazu trägt ein ordentliches Schulgebäude ebenso bei wie gut ausgerüstete Klassenräume und ein kompetentes Lehrerkollegium. Finanzielle Anreize machen es möglich, qualifiziertes Personal zu bekommen und zu halten. Wichtig für den regelmäßigen Schulbesuch der Mädchen ist auch ein Patenschaftsprogramm, an dem sich die Rotarier gemeinsam mit weiteren ausländischen Sponsoren beteiligen. Im Rahmen eines finanziellen Patenprogramms erhalten die Schülerinnen ab der vierten Klasse aufwärts ein monatliches Patenschaftsgeld in Höhe von 7,50 Euro. Dies sei zwar auf den ersten Blick nur ein bescheidener Beitrag, von dem Schulmaterial und Kleidung, aber auch Lebensmittel gekauft werden. Das Geld gibt den Familien jedoch vor allem wirksamen Anreiz, die Töchter zur Schule zu schicken und nicht vorzeitig zu verheiraten. Bei einem Lehrerinnen-Gehalt von 50 Euro im Monat sei das ungeheuer viel Geld für Eltern – und mitunter der entscheidende Faktor für den Schulbesuch in diesem viertärmsten Land der Erde. Die Schule, ergänzt Dr. Kühn, sei sehr positiv verankert in der regionalen Bevölkerung, sie sei akzeptiert, das trage zu ihrem Schutz bei. Übergriffe gab es innerhalb der letzten sieben Jahre nicht.

Das finanzielle Engagement untermauert Rotary beispielsweise durch Spenden, die bei privaten Einladungen zu besonderen Anlässen regelmäßig in die Spendenbox für die Schule gesteckt werden. »Wir können mit gutem Gewissen empfehlen, dafür zu spenden«, sind die Rotarier überzeugt. Das Geld komme an, davon überzeuge man sich regelmäßig vor Ort, und der Verwaltungsaufwand sei minimal. »Mit Bildung ist das Land schneller zu befrieden als durch Krieg«, und es seien gerade die Frauen, Mütter und Schwestern, deren Bildung man fördern müsse: »Das ist die beste Investition mit höchster Rendite.« Gern zitieren die Rotarier hier auch die iranische Literaturnobelpreisträgerin Shirin Ebadi: »Gebildete Mütter erziehen gute Söhne.« In diesem Sinne ist in Afghanistan einiges voran gekommen. ek