Die Heilig-Blut-Reliquie brachte Aufschwung nach Einbeck

Gestiftet von Kaiserin Richenza / 40 Tage Ablass / Stift wurde zum vielbesuchten Wallfahrtsort – bis zur Reformation im Jahre 1520

Eine so genannte A-Reliquie – also eine Reliquie, die Jesus zugeordnet wurde – die Reliquie des Heiligen Blutes kam schon möglicherweise durch Teilnehmer des Ersten Kreuzzugs von Jerusalem nach Einbeck. Die Reliquie brachte dem Stift Anfang des 12. Jahrhunderts so viel Zulauf, dass sich dort eine Ansiedlung bildete. Die als wundertätig verehrten Tropfen des Blutes Christi ließen Einbeck alsbald zum viel besuchten Wallfahrtsort werden. Wahrscheinlich hat ein – leider nicht erhaltener – Ablass Papst Gelasius II. (1118-1119) die Einbecker Heilig-Blut-Wallfahrt in Gang gebracht.

Einbeck. Papst Gelasius gewährte den Gläubigen, die zur Reliquie nach Einbeck pilgerten und ein Geldopfer darbrachten, einen 40-tägigen Ablass. Durch den Kauf eines Ablassbriefes oder eine längere Pilgerreise versprach die Kirche einen Erlass der Sünden beim jüngsten Gericht. Für Adelige konnte durch eine Pilgerreise auch weltliche Vergehen gesühnt werden. Allerdings kam man auch durch die Kirchenbuße nicht so einfach davon, wenn man beispielsweise für einen verübten Totschlag eine fast zweijährige Pilgerreise nach Santiago de Compostela in Nordspanien antreten sollte. Das sind von Einbeck auf der vorgeschriebenen Pilgerroute immerhin 2600 Kilometer (eine Strecke). Adlige, die eine solch beschwerliche Reise nicht antreten wollten oder konnten, hatten aber die Möglichkeit, stellvertretend einen Mönch gegen Bezahlung auf die Reise zu schicken.

Das Einbecker Stift wurde zum viel besuchten Wallfahrtsort. Ermöglicht wurde das wahrscheinlich durch die Kaiserin Richenza, der Frau von Kaiser Lothar III. und Großmutter Herzog Heinrichs des Löwen, die »in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nach Einbeck kam und das Stift zum weithin bekannten Pilgerzentrum machte«.Jetzt könnte man meinen, dass auf diese Weise die spätere Stadt Einbeck zu wachsen anfing. Dieses Wachstum des Stiftes wird aber aus Historikersicht nicht mit dem Wachstum der Stadt in Verbindung gebracht, weil das Stift kein Marktrecht besaß.

Richenza wurde zwischen 1087 und 1089 geboren und lebte bis 1141. Um das Jahr 1100 heiratete sie den späteren Kaiser (1125-1137) Lothar von Süpplingenburg (auch Süpplinburg oder Supplinburg), dem Herzog von Sachsen. Lothar war während des ersten Kreuzzuges 21 Jahre alt. Er war also in einem Alter, in dem er als junger Ritter, bzw. Herzog hätte teilnehmen können. Allerdings kamen die meisten Teilnehmer des ersten Kreuzzuges aus dem französischen, flandrischen; normannischen und lothringischem Gebiet. In Deutschland war zu dieser Zeit der größte Teil des Gebietes östlich der Elbe noch nicht christianisiert, so dass es um 1108 im damaligen Sachsen Überlegungen gab, einen Kreuzzug gegen die dort lebenden Slawen zu führen.Die Reliquie (lat. Reliquus: verbleibender Überrest) bestand aus einem Tropfen Blutes von Jesus Christus, der in einem repräsentativen Behälter ausgestellt wurde.

»In dieser Kapelle wurden in einem mit einem Deckel versehenen Kelche, der sich in dem Kopfe eines aus Gold verfertigten und mit Flügeln versehenen Engels befand, einige Blutstropfen des Erlösers, welche man zu besitzen glaubte, gezeigt und aufbewahrt.«

Der Einbecker Chronist des 19. Jahrhunderts, H- L. Harland hat diese Beschreibung offenbar dem Archiv für vaterländische Geschichte entnommen, denn dort heißt es ca. 20 Jahre vor Harlands Veröffentlichung: »In dieser Capelle wurden auf dem darin befindlichen Altare, in einem kleinen, mit einem Deckel versehenen Kelche, der sich in dem Kopfe eines, aus Gold verfertigten und mit Flügeln versehenen Engels befand, einige Blutstropfen des Erlösers, welche man zu besitzen glaubte, aufbewahrt«.

Nachdem die Kreuzfahrer Jerusalem erobert hatten, setzte ein schwungvoller Handel mit Reliquien ein. Schädel, Knochen, Zähne, Nägel, Haare oder sogar Teile des Fleisches von Heiligen wurden nach Europa geschafft und in den Kirchen verehrt. Andere Reliquien bestanden aus Gegenständen, die der Heilige zu Lebzeiten benutzt hatte, wie Gefäße, Ringe und Kleidungsstücke.

Der Blutstropfen Christi soll möglicherweise aus dem sagenhaften Heiligen Gral stammen, einem Gefäß, mit dem Josef von Arimathäa (auch Arimathia) das Blut aus der Brustwunde des gekreuzigten Jesus auffing.Und so verwundert es auch nicht, dass in der ältesten Einbecker Chronik (Johannes Letzner 1596) von ebensolchen die Rede ist: »… und dabey alle Tage viel unerhörete Wunder und Zeichen/ am Krancken und allerhandt gerechtlichen Leuten geschehen/ ist davon allenthalben und in allen Ländern ein gros geschrey und gerücht auskommen/ welchem dan alle Tage viel Volcks aus allen orten der Welt/ sonderlich aber gebrechliche Leut/daselbst Hülff und Rath in ihren Nöthen zu erlangen/ zugewandert/ Gott und das heilige Blut/ wie auch S. Alexandrum gelobet und gepreiset/ und dan den Patronen S. Alexandrum mit einem Opffer ein jeder nach seinem Vermügen begabet/ Daher ist das vielbemelte Stifft reich geworden/ und gewaltig zugenommen. Und dieser Zulauff ist so viel desto grösser worden/ weil Bapst Gelasius des Namens der 2. diese Wallfahrt und Pilgerschafft mit gewaltigen Brieffen und grosser Genade des Ablaß/ denen so diesen heiligen Ort mit rechter Andacht besuchen/ und S. Alexandro Fertonem, Daß ist/ ein Opffer bringen würden/ verheischen und verschrieben«.Der Altar in der Heilig-Blut-Kapelle war an eine Vikarie gebunden, die 1306 und 1322 von Burchard und Luthard von Meinersen durch einen Hof und 4 ½ Mansen in Hallensen gestiftet wurden.

»Zu dieser Kapelle und dem darin befindlichen heiligen Blute wallfahrte man …aus nahen und entfernten Gegenden, besonders an gewissen Festtagen, wo in feierlichen Processionen das heilige Blut mit herumgetragen wurde«.

1489 erlaubte Bischof Julian von Ostia mittels einer Urkunde aus Rom, »dies heilige Blut, welches … zu Einbeck aufbewahrt werden solle, [dort] in Processionen mit herumzutragen«. In den 1520er Jahren kam die Reformation nach Einbeck – damit war es vorbei mit den Wallfahrten. Zwar blieb die Münsterkirche vorerst katholisch und besaß immer noch die Reliquie, aber die »goldenen Zeiten« waren vorbei. In einer der nächsten Aufsätze lesen Sie, wie und warum die Reliquie in späteren Zeiten aus Einbeck verschwunden ist.wk