»Die Opfer nicht vergessen, die Erinnerung nicht verdrängen«

Gottesdienst und Gedenkfeier zum Volkstrauertag / Bürgermeister Minkner und Pastor Giering warnen vor Krieg und Gewalt

Mit einem gemeinsamen Gottesdienst und der Kranzniederlegung am Ehrenmal haben die christlichen Gemeinden in Einbeck und die Stadt am gestrigen Volkstrauertag der Opfer von Krieg und Gewalt gedacht.

Einbeck. Der Gottesdienst zum Volkstrauertag solle an das Unheil erinnern, das Deutschland mit Kriegen über andere und auch über sich selbst gebracht habe, sagte Pastor Martin Giering. Der Tag erinnere aber auch an alle, die noch immer unter Krieg und Gewalt leiden müssten.

Am 1. September 1939 begann, durch diabolische Machtgelüste eines Wahnsinnigen und seines Gefolges eingefädelt, der Zweite Weltkrieg, blickte Bürgermeister Ulrich Minkner zurück. Entfesselt wurde eine noch nie dagewesene Maschinerie des Todes und der Vernichtung. Unfassbar viele Opfer habe es gegeben, unbeschreibbare Folgen bei Hinterbliebenen und in folgenden Generationen. »Nie wieder Krieg« sei eine logische Folgerung gewesen. Und doch sei der Krieg noch immer nicht ausgerottet. Vielmehr zeige sich noch immer, wozu der Mensch in seinen Abgründen fähig sei. Krieg könne niemals gerecht sein, fuhr er fort, auch nicht als Mittel der Verteidigung. Dabei bleibe es nie, Gewalt führe immer zu neuer Gewalt. Deshalb müsse man wachsam sein gegenüber neuer Gewalt sowie Aufrechnung oder Relativierung von Gewalt verschiedener Ideologien.

Der Volkstrauertag sei nach dem Zweiten Weltkrieg wieder neu begangen worden, getragen vom Volksbund. Bis heute gehöre zu seinen Aufgaben die Kriegsgräberfürsorge. Kriegsgräberstätten seien als Mahnmale gegen Krieg und Vergessen zu pflegen. Der Volksbund tue dies in 45 Staaten. Über 200.000 junge Menschen hätten dabei geholfen unter dem Motto: »Versöhnung über den Gräbern -  Arbeit für den Frieden.« Der Volkstrauertag in Einbeck, so Minkner weiter, werde wieder mit einen ökumenischen Gottesdienst begangen. Er zeige, dass Christen hier entschlossen seien, gemeinsam ein Zeichen zu setzen für eine friedlichere Welt. Die Forderung des Apostels Paulus, das Böse durch das Gute zu überwinden, sei mitunter schwer - viele kleine und große Schritte zur Versöhnung seien notwendig. Dafür leisteten der Volksbund und die Aktion Sühnezeichen gute Arbeit, wofür er ihnen Dank und Anerkennung ausspreche. Die Kollekte des Gottesdienstes war für beide Organisationen bestimmt.

In seiner Predigt ging Pastor Martin Giering auf den Jesaja-Text des Alten Testamentes ein. Vom Gedröhn der Stiefel war hier die Rede. Die Elterngeneration habe das Gedröhn von Stiefeln, Panzern und Flugzeugen erlebt, sorgenvolle Bombennächte durchstanden oder an der Front auf verlorenem Posten gestanden, möglicherweise die besten Jahre in Gefangenschaft verbracht. Sie seien Kriegskinder, aber auch Kinder des Krieges gewesen, froh, das Joch des Ersten Weltkriegs abschütteln zu können. Olympia 1936 habe sie darin bestärkt: »Wir sind wieder wer.« Viele hätten vom Regime profitiert und ihm und dem Krieg zugestimmt.

Es gehe ihm nicht, betonte Giering, auf Schulzuweisungen, sondern um das Erkennen und künftige Vermeiden solcher Gefahren. Denn auch aktuell gebe es diese Situation. Krieg werde als notwendiges politisches und wirtschaftliches Mittel angesehen. »Auch wir sind eine Kriegsgeneration, aber wir merken es im Alltag nicht«, so der Pastor. Das erste Opfer des Krieges sei die Wahrheit, das habe man beispielsweise beim Einsatz in Afghanistan gesehen. Da gehe es nicht um Humanität, sondern um Geld und Macht. Es habe lange gedauert, das offen sagen zu dürfen. Auch Kinder seien heute Kinder des Krieges, sie würden spielend davon erfasst, etwa dann, wenn sie am Computer jemanden in den Tod schickten. So werde der Samen gelegt, aus dem weiter Krieg und Gewalt wachsen könnten.

Bei der Suche nach dem Ausweg verwies Giering auf den Propheten Jesaja. Er spreche von Kindern des Friedens, und während er selbst von seiner Hoffnung enttäuscht wurde, könnten Christen heute reflexartig auf Jesus deuten. »Doch wir können selbst zu Friedenskindern werden.« »Nie wieder Krieg«, dieser Schwur der Eltern könne Wirklichkeit werden. Es stimme optimistisch, dass die Kinder mit anderen Kulturen entspannter umgehen könnten als früher, ohne dass gleich die christliche Leitkultur bedroht werde. Andere in Schutz zu nehmen, Stammtischparolen zu widersprechen, ein gelingendes Miteinander vor Ort zu leben: »Wo sind Sie ein Kind des Friedens?« Man werde nicht wie die Kinder aus eigener Kraft, aber Gott sei für die Menschen zum Kind geworden, er habe den Frieden für sie zurückgewonnen. »Lasst uns als Gottes Kinder miteinander leben.«

Der Volkstrauertag wurde ins Leben gerufen, um die Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges zu bewahren, sagte der Bürgermeister am Ehrenmal, wo er Kränze für die Stadt Einbeck und den Volksbund niederlegte. Nachdem die Nazis den Tag als Heldengedenktag missbraucht hatten, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg sein ursprüngliches Anliegen erneuert, erweitert um die schrecklichen Erfahrungen jener Zeit. Inzwischen habe man in Deutschland seit 65 Jahren keine Krieg mehr, auch das Ende der Teilung Deutschlands liege schon 20 Jahre zurück. Trotzdem sollte man sich an die Kriege des 20. Jahrhunderts erinnern.

So sei dieser Tag ein Tag des Gedenkens an alle Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer, an die Soldaten, die in Kriegen und Gefangenschaft starben, an Menschen, die als Flüchtlinge oder Vertriebene ihr Leben verloren, an Menschen, die wegen ihrer Behinderung oder Krankheit als lebensunwert betrachtet wurden oder werden, an Menschen, die Widerstand gegen  Gewaltherrschaft geleistet hätten und dabei den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung festhielten, an Menschen, die heute Opfer durch Hass und Gewalt gegen Schwache und Fremde würden, hier und anderswo. Indem man bewusst zu Trauer und Mitgefühl bereit sei, spüre man die Verbindung zu diesen Menschen. »Wir dürfen sie nicht vergessen, wir dürfen die Erinnerung nicht verdrängen«, mahnte Minkner.

Die testamentarischen Lesungen im Gottesdienst übernahm Eckhard Senger. Musikalisch wurde die Feier umrahmt von Schülerinnen und Musiklehrern der Goetheschule, Leitung Anett Steinberg; am Ehrenmal spielte der Posaunenchor Einbeck-Kuventhal unter der Leitung von Willi Hoppe. ek