»Die Wahrheit« amüsierte vielfätig

Schauspieler inszenierten Komödie von Florian Zeller im Wilhelm-Bendow-Theater

»Wenn die Leute von heute auf morgen aufhören würden, sich zu belügen, gäbe es kein einziges Paar mehr auf Erden. Und in gewisser Hinsicht wäre das das Ende der Zivilisation«; das ist das Motto nach dem Michel (Helmut Zierl) lebt. Zusammen mit seiner Frau Laurence (Karin Boyd), seiner Geliebten Alice (Susanne Berckhemer) sowie deren Mann Paul (Uwe Neumann) – gleich­zeitig der beste Freund von Michel – versuchte er im Wilhelm-Bendow-Theater zu ergründen, was »Die Wahrheit« ist.

Einbeck. In der Komödie von Florian Zeller, die der Einbecker Kulturring für die Spielzeit organisiert hatte, ging es um das Spiel zwischen Lüge und Wahrheit sowie die möglichen Definitionen und Ausprägungen der Wörter: Seit sechs Monaten treffen sich Alice und Michel heimlich in einem Pariser Hotel, was ihr zu wenig ist. Sie will mit ihrem Geliebten nicht nur Nachmittage zwischen Sprechstunde und Firmenmeetings in einem anonymen Zimmer Zeit verbringen, sondern ein ganzes Wochenende. Michel moniert – trotz der Affäre mit der Frau seines besten Freundes –, dass die Menschen in der heutigen Zeit keine Moral und Ethik mehr hätten.

Als vermeintlicher »Lügenbaron« hält er Schuldgefühle für überflüssig, und er scheint kein Herz zu haben, auch wenn ihn Herzrhythmusstörungen quälen. Um seine Ziele zu erreichen, nimmt er die Aussagen seiner Mitspieler auf, und er gibt sie überzeugend als seine aus. Michel glaubt, dass er als fremd gehender Bonvivant alle hinters Licht führen kann, doch sowohl Laurence als auch Alice haben ihre Geheimnisse, und Paul ist nicht so naiv, wie er eine Zeitlang scheint.

Um ein gemeinsames Rendezvous zu realisieren, gaukelt Alice ihrem Mann einen Besuch bei der Tante in Chartres vor sowie Michel seiner Frau eine Konferenz in Bordeaux. Als während des Stelldicheins aber Paul bei Alice auf dem Handy anruft und mit der Tante reden möchte, mimt Michel sie mit verstellter Stimme – doch kennt er sich nicht mit den speziellen Familienangelegenheiten aus.

Das Kartenhaus der Lügen bekommt seine ersten Risse, da das ständige Versteckspielen und die immer neuen Ausreden ebenfalls das Gewissen von Alice belasten. Sie will endlich »reinen Tisch« machen, worüber Michel sich empört: »Du belügst ihn nicht, Alice. Du sagst Paul nur nicht die Wahrheit. Es wäre egoistisch, ihm die Wahrheit zu sagen, nur um dein Gewissen zu erleichtern.«

Ob er seine Geliebte überzeugt hat, da ist sich der Lebemann nicht sicher. Nach einem der geliebten Tennisspiele erzählt ihm der arbeitslosen Paul, der durch seine Spaziergänge durch die Pariser Tullierien zu sich findet und die Welt um sich herum wieder besser versteht, von dem Verdacht, dass Alice ihn betrügt.

Als seine Frau ihm süffisant von Telefonaten mit Paul erzählt, und Alice ihm mitteilt, dass ihr Mann alles weiß, aber auch seit eineinhalb Jahren eine Affäre mit Laurence hat, echauffiert sich der vermeintliche Meister der Verschleierung. Ihm wird klar, dass er angelogen wurde – von seinem besten Freund, der ihn zusätzlich seit langer Zeit extra beim Tennis gewinnen lässt.

Plötzlich sieht Michel, der notorische Schwindler, sich in der Rolle des Opfers, wird von seinen eigenen Lügen eingeholt, und er fragt sich, ob er der einzige ehrliche Mensch auf der Welt ist. Er, der von sich überzeugt war, das Labyrinth seines kompliziertes Liebeslebens im Griff zu haben, wird förmlich von den angeblichen oder zutreffenden Wahrheiten überrollt.

Erst nachdem er seiner Frau verspricht, in Zukunft besser zu lügen, wendet sich das Blatt. Er hält Laurence unter Vorspielung falscher Tatsachen den Spiegel vor und beweist, dass er die »einzig wahre Wahrheit« weiter für sich verwenden kann.

Das klassische Boulevardtheaterstück für vier Personen lehnte Florian Zeller an die Aussage von Voltaire: »Die Lüge ist nur ein Laster, wenn sie Böses tut. Sie ist nur dann eine Tugend, wenn sie Leiden vermeidet. Lügen Sie, meine Damen. Seien sie tugendhaft. Ich werde ihnen bei Gelegenheit Gleiches mit Gleichem vergelten.« In der Inszenierung präsentierten sich die Akteure temporeich, mit viel Wortwitz und mit überraschenden Auslegungen der Wahrheit.

Helmut Zierl, Karin Boyd, Susanne Berckhemer und Uwe Neumann brauchten nur Bett, Stuhl, Couch und Umkleideraum, um bei der süffisanten und raffiniert geschriebenen Komödie mit pointierten Dialogen das Publikum zu faszinieren. Immer wenn es glaubte, die Wahrheit mit allen Nuancen zu kennen, wurde es bis zum Schluss mit neuen Wendungen der jeweiligen Wahrheit überrascht; als Dank spendeten die Zuschauer den Schauspielern viel Beifall. mru