Echte Überraschung für 36-jährigen Angeklagten

Körperverletzung nach Feier in Dasseler Ortsteil | Freiheitsentzug statt Geldstrafe

Einbeck/Dassel. Ein Streit, der eskaliert und unerwartete Folgen hat: Über einen Vorfall vom August 2021 hat das Amtsgericht Einbeck jetzt verhandelt. Einem 36 Jahre alten Angeklagten wurde zur Last gelegt, seiner 56 Jahre alten Mutter im Verlauf eines Streits erhebliche Verletzungen zugefügt zu haben. Sie ist anschließend, allerdings nicht an den Verletzungen, verstorben. Während sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung eine Geldstraße für angemessen hielten, sah der Strafrichter das ganz anders: Er verhängte eine sechsmonatige Freiheitsstrafe ohne Bewährung.

Einlassung des Angeklagten

Angeklagt hatte die Staatsanwaltschaft zunächst eine Körperverletzung mit gefährlichem Werkzeug. Der Angeklagte soll im vergangenen August mit seiner Mutter bei einer Feier in einem Dasseler Ortsteil in Streit geraten sein. Er habe sie getreten, sie fiel daraufhin über einen kleinen Zaun und blieb liegen. Anschließend habe sie sich übergeben, und als die hinzugerufene Polizei eintraf, sei sie zusammengebrochen und kurz darauf verstorben.
In einer von seiner Pflichtverteidigerin Petra Pfahl vorgetragenen Einlassung räumte der Angeklagte den Streit mit der Mutter ein. Auslöser sei der Umgang mit seinen Kindern gewesen. Unter Alkoholeinfluss habe sich das hochgeschaukelt. Die Mutter habe ihn weggeschickt, er wurde wütend, habe gegen ihr Auto getreten. Die Mutter drohte daraufhin, die Polizei zu rufen. Er wollte ihr das Telefon aus der Hand treten, habe sie aber im Hüft-/Bauchbereich getroffen, worauf sie gestürzt sei. Flaschen beziehungsweise Gläser seien ebenfalls geflogen. Bei der Befragung durch die Polizei sei die Mutter dann zusammengesackt. In der Haft habe er erfahren, dass sie verstorben sei.

Wie viele Tritte es waren, das war eine der Fragen, zu denen Amtsrichter Maksel mehrere Zeugen vernahm. So sagte ein 30-Jähriger, der mitgefeiert hat, dass es mindestens zwei Tritte waren, vielleicht auch drei. Er sei Nachbar und Freund der 56 Jahre alten Mutter gewesen, und als sie zusammengesackt und danach verstorben sei, »das war der schlimmste Tag meines Lebens.«

Eine weitere Nachbarin und Zeugin berichtete, es habe über den einen Tritt hinaus weitere Attacken gegeben, auch dann, als das Opfer schon über einen kleinen Zaun gefallen war und am Boden lag.

Von Schlägen und Tritten habe ihm die Mutter am Telefon während des Vorfalls berichtet, so ein Bruder des Angeklagten, der als Zeuge aussagte, am liebsten aber gar nichts mehr mit ihm zu tun hätte. »Mir ist schlecht«, habe die Mutter ihm noch berichtet, dann nichts mehr.

Die Todesursache der 56-Jährigen ist in der Universitätsmedizin Göttingen untersucht worden. Danach waren die Schläge beziehungsweise Verletzungen nicht die Ursache ihres Todes. Nach Vorschädigungen sei sie einem Herztod erlegen, möglicherweise aufgrund von Stress und Kreislaufbelastung während des Streits. Man könne weder von einem Tötungsdelikt noch von Körperverletzung mit Todesfolge ausgehen.

Die Blutprobe des Angeklagten wies einen Alkoholwert auf, der nicht auf eine verminderte Straffähigkeit schließen ließ.

Lang war die Liste der Einträge des 36-Jährigen im Bundeszentralregister: zehn seit 2000, darunter Körperverletzung, Sachbeschädigung, Nötigung, Widerstand, versuchte schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung und gemeinschaftlicher Versuch des schweren Diebstahls. Bis November 2022 steht er noch unter Bewährung. Der Kontakt zur Bewährungshilfe sei »unzureichend«, zitierte der Richter aus einer Stellungnahme.

Zu seiner persönlichen Situation berichtete der Angeklagte, trotz eines guten Schulabschlusses habe er keine Ausbildung absolviert und immer wieder Probleme gehabt. Er leide am hyperkinetischen Syndrom mit Symptomen wie Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität. Alkohol habe er seit dem Vorfall nicht mehr getrunken, allerdings Drogen genommen. Er plane aber eine Therapie, und auch eine Beschäftigung sei in Aussicht.

Die Staatsanwalt stellte in ihrem Plädoyer fest, dass die Tritte gegen die Mutter kein Versehen waren, sondern gezielt gesetzt wurden. Da der Angeklagte Turnschuhe mit weichen Sohlen getragen habe, könne man von einfacher Körperverletzung ausgehen. Schlecht für ihn sei, dass er schon mehrfach in Erscheinung getreten sei; positiv sei das Geständnis zu werten. Eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro seien ein angemessenes Strafmaß.

»Vom Rechtsstaat in keiner Weise hinzunehmen«

Die Pflichtverteidigerin stellte ebenfalls fest, dass die Turnschuhe nicht als Werkzeug im Sinne des Gesetzes anzusehen seien. Der Tritt könne nicht zu gefährlichen Verletzungen geführt haben. Angesichts der Tatsache, dass ihr Mandant derzeit nicht arbeite, seien 60 Tagessätze zu je zehn Euro als Strafe ausreichend.

Da überraschte dann das Urteil des Strafrichters: sechs Monate Freiheitsstrafe. Er teile die Auffassungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gar nicht, sagte er. Der Angeklagte habe »kompletten Quatsch« erzählt, und nur ein Zeuge habe die Vorgänge richtig geschildert. Es seien in jedem Fall zwei Tritte mit voller Wucht gewesen, und es sei eine »Schweinerei«, wegen einer Nichtigkeit zweimal auf die Mutter einzutreten. Zudem habe der Angeklagte schon eine entsprechende strafrechtliche Karriere hingelegt, in der auch Gewalt Thema sei. Er sei also Wiederholungstäter. Zudem habe er es während seiner laufenden Bewährung für eine gute Idee gehalten, auf seine wehrlose Mutter einzutreten. Eine Geldstrafe werde ihn nicht ausreichend beeindrucken, und das Mindeststrafmaß von drei Monaten halte er hier für zu gering: Der Angeklagte sollte ein halbes Jahr Freiheitsentzug spüren. Was er getan habe, sei vom Rechtsstaat in keiner Weise hinzunehmen. Für eine Bewährung gebe es keine ausreichend günstige Prognose. Alles, was der Angeklagte etwa zur angestrebten Therapie oder zur künftigen Arbeit gesagt habe, seien Lippenbekenntnisse: alles vorgeschoben. Er werde weitere Taten begehen, seine Akte spreche Bände. Das Urteil ist noch nicht wirksam. Rechtsmittel sind möglich.ek