Ein kleines, aber starkes Multitalent

Große Kerbameise ist das Insekt des Jahres 2011 / Beispiel für Vernetzung in der Natur

Eine Ameise als Insekt des Jahres 2011 – das freut den Landesvorsitzenden der Deut­schen Ameisenschutzwarte, Gert Habermann aus Andershausen, besonders, zeigt die Wahl der Großen Kerbameise doch beispielhaft, dass so ein kleines Tier Großes und Bedeutendes für die Umwelt leisten kann.

Einbeck. Die Große Kerbameise (Formica (Coptoformica) exsecta) ist zum Insekt des Jahres 2011 ernannt worden. Damit wurde eine seltene und gefährdete Art gleichermaßen aus­gewählt, die zudem häufig auf bedrohten Stand­orten anzutreffen ist, beispielsweise auf Magerrasen. Die Große Kerbameise gehört zur Unterfamilie der Schuppenameise, zu der alle Waldameisen zählen. Sie ist sieben bis acht Millimeter lang und somit etwas kleiner als die Rote Waldameise. Die Schuppe auf ihrem Hinterleib ist auffallend eingekerbt, das hat ihr den Namen gegeben.

»Eine ganz wichtige Aufgabe der Ameisen ist die Verbreitung von Waldpflanzen«, betont Gert Habermann. »Denken Sie an die Vielfalt im Wald – ohne die Waldameisen wäre sie kaum möglich.« Die Ameisen, von denen es mehr als 12.600 Arten weltweit und 114 Arten in Deutschland gibt, stehen für eine vernetzte Welt, viele andere Organismen leben mit und von ihnen. Ins Ökosystem sind sie komplett eingebunden. Sie fressen andere Insekten, beispielsweise Schädlinge, und sie beseitigen Aas, sie sind aber auch selbst Nahrung für andere Tiere, etwa für Spechte. Hier zeigt Habermann eine komplexe Verkettung auf: »Viele Ameisen, viele Spechte, viele Höhlen, viele Nachfolgemieter: Bis zu 40 Tiere leben in leeren Spechthöhlen, und so legen die Ameisen die Grundlage für sozialen Wohnungsbau im Wald«, schmunzelt der Vorsitzende.

Mit ihren Ameisenhügeln bieten die Tiere für den eigenen Staat und darüber hinaus auch für zahlreiche andere Bewohner Unterkunft. So ist im Ameisennest beispielsweise der Rosenkäfer, das Insekt des Jahres 2010, heimisch. Wenn Dachse die Hügel durchwühlen, dann nicht, weil sie Ameisen verspeisen wollen, sondern weil sie auf der Suche nach den großen Rosenkäfer­larven sind. Die Waldameise ernährt nicht nur viele Tiere des Waldes, sondern sie macht sich auf andere Art und Weise nützlich. So lassen sich verschiedene Vögel von den Ameisen mit Ameisensäure besprühen. Das wirkt gegen Milben­befall. Aktuelle Forschungen, berichtet Gert Habermann, drehen sich um die Ameisen als Produzenten von natürlichen Antibiotika, und ein großer deutscher Autohersteller hat sich die kleinen Krabbler als Beispiel dafür genommen, wie man mit Verkehrsstaus umgehen kann.

»Faszination Ameise«, mit dieser Wanderausstellung, die die Vernetzung der Tiere in den Blickpunkt rückt, hat der Landesvorsitzende schon zahlreiche Schüler fasziniert. Auch in Einbeck war die Schau bereits in der Geschwister-Scholl-Schule zu sehen. »Die Schüler können dabei ganz praktisch erkennen, was persönliches Handeln im Kleinen später einmal im Großen bewirkt«, führt er aus. Nicht von ungefähr soll die Ausstellung, die Nachhaltigkeit vor Augen führt, ein Unesco-Projekt werden. »Die Ameise lässt sich hervorragend für Waldpädagogik nutzen«, so seine Erfahrung – und die Kinder lassen sich davon begeistern.

Den Ausstellungsbesuchern, vom Kindergarten bis zu Abiturklassen, führt Habermann dabei stets die Besonderheiten der kleinen Giganten vor Augen: Über Düfte und Körperkontakte ge­lingt ihnen eine perfekte Kommunikation: »Sie können sich möglicherweise besser unterhalten als wir Menschen«, vermutet der Experte. So fließen über verschiedene Sinneswahrnehmungen Informationen über Nahrungsquellen.

Die Ameisen sind zudem in Mitteleuropa unter den Boden bewohnenden Insekten die Re­kordhalter als größte Biomasseproduzenten und größte Energieverbraucher, und sie bewegen am effektvollsten Erdmaterial. Zudem können sie ein Vielfaches des eigenen Gewichts transpor­tieren.

Der Ameisenstaat ist gekennzeichnet durch hohe Arbeitsteilung, jedes Mitglied hat seine genaue Aufgabe. Feinde werden mit Ameisen­säure aus der Giftblase bespritzt oder mit dem gezähnten Oberkiefer gebissen. Den Winter verbringen die Ameisen in Kältestarre im Nest. Im Frühjahr wird in Sonnungstrauben Wärme getankt und ins Nest transportiert. Die Nestkuppel besteht nicht, wie bei den größeren Verwandten, aus Nadeln oder kleinen Zweigen, sondern aus zurechtgebissenen Gräsern. Die Brut wird zwischen März und September großgezogen. Die Begattung der künftigen Königinnen findet im Juli statt; eine einzige Begattung sichert die Befruchtung über die ge­samte Lebensdauer der Königin hinweg, und das können mehr als 20 Jahre sein.

Die Große Kerbameise zählt zu den besonders geschützten Tierarten, auf der Roten Liste wird sie als »gefährdet« eingestuft. Ihre bevorzugten Lebensräume, etwa der Magerrasen, aber auch Gehölzsäume, sind bedroht. Da freuen sich die Ameisenschützer umso mehr, dass ihr Schützling als Insekt des Jahres viel Aufmerksamkeit finden wird. ek