Ein mühsamer und enttäuschender Kampf um die Wahrheit

Michael Buback, Sohn des 1977 von Terroristen ermordeten Generalbundesanwalts, spricht beim Einbecker Lions-Club

Eine Fülle von Fehlern bei der Ermittlung, ein Abgrund an Inkompetenz und Schlamperei – oder einfach die Tatsache, dass jemand seine schützende Hand über den Täter oder die Täterin hält: Für Professor Michael Buback, den Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, sind die Täter, die seinen Vater erschossen haben, noch nicht gefunden und verurteilt. Seit einigen Jahren kämpft er darum, die Wahrheit zu finden. Dass man in einem Rechtsstaat so hart an Gerechtigkeit arbeiten muss, ist für ihn enttäuschend. Über seine Nachforschungen, die er seit 2007 anstellt, hat er jetzt beim Einbecker Lions-Club berichtet.

Einbeck. »Der zweite Tod meines Vaters« heißt das Buch, das der Göttinger Professor für Technische und Makromolekulare Chemie, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Ende 2008 veröffentlicht hat. Er beschäftigt sich darin mit den Fakten, die er durch Zufall 2007 erfahren hatte – dass nämlich die Täterschaft an der Ermordnung seines Vaters am Gründonnerstag 1977 durch RAF-Terroristen ungeklärt ist. Aus Behördenakten und Augenzeugenberichten hat er seine Kenntnisse erworben, und er hat maßgeblich dafür gesorgt, dass ein neuer Prozess stattfindet. »Warum will ich es wissen?«, diese Frage beantwortete er beim Lions-Vortrag mehrschichtig: Zum einen sei ihm sein Vater wichtig, er wolle dem Toten Respekt zollen. Zum anderen wolle er die – historische – Wahrheit kennen, um mit dem Thema abzuschließen. Und schließlich müsse auch die RAF möglicherweise neu bewertet werden.

Fehler, Versäumnisse und Mängel, so Michael Bubacks Überzeugung, habe es im Zusammenhang mit den Ermittlungen nach dem Attentat auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine Begleiter Wolfgang Göbel und Georg Wurster am 7. April 1977 gegeben. Drei Personen waren beteiligt: zwei auf einem Suzuki-Motorrad, von dessen Beifahrersitz aus geschossen wurde, und ein Fahrer eines Fluchtfahrzeugs, das außerhalb von Karlsruhe wartete. Günter Sonnenberg, Verena Becker und Christian Klar, diese Täternamen wurden schnell genannt – um am nächsten Tag Knut Folkerts, Christian Klar und Günter Sonnenberg als mögliche Täter zu präsentieren. Mit der Tatwaffe wurden Sonnenberg und Verena Becker im Mai in Singen festgenommen. Verurteilt wurden Folkerts und Sonnenberg; Christian Klar galt als Fahrer des Fluchtwagens, als »neuer« Schütze wurde Stefan Wisnewski genannt. In einem weiteren Prozess wurden Klar und Brigitte Mohnhaupt als Rädelsführerin verurteilt. »Folkerts, Klar oder Mohnhaupt, keiner hat auf dem Motorrad gesessen«, stellte Michael Buback fest. »Der unmittelbare Täter wurde nicht verurteilt.« Es sei zu Verfahrenseinstellungen gekommen, man habe sich auf unwesentliche Nebenstraftaten konzentriert.

2007 wurde Buback vom ehemaligen RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock auf Ungereimtheiten im Fall angesprochen. 30 Jahre, blickte der Referent in seinem Vortrag zurück, habe er sich um das Thema nicht gekümmert, plötzlich wurden die Vorgänge präsent. So gab es mehrere und vor allem deutliche Hinweise, dass auf dem Soziussitz des Motorrades eine Frau gesessen habe, und hier deute vieles auf Verena Becker hin. Bei ihr habe man beispielsweise bei der Verhaftung in Singen einen Schraubendreher aus dem Werkzeugset der Suzuki gefunden, »nichts, was man zufällig mit sich herum trägt«, so Buback. So etwas sei »höchst verdächtig«. Eine Gegenüberstellung mit Zeugen habe jedoch nicht stattgefunden. Vielmehr finde man in der Ermittlungsakte viele falsche oder verfälschte Angaben, das habe ihn erschüttert. Aussagen seien verschwunden. Ein Haarvergleich von Becker zuzuordnenden Spuren habe nicht stattgefunden, Gutachten waren nicht auffindbar, wichtige Beobachtungen von Augenzeugen wurden nicht veröffentlicht, die Hinweise auf eine an der Tat beteiligte Frau seien nicht interessant gewesen. Die Fehlentwicklung lasse auf unbegreifliche Fehler, auf Schlamperei oder auf eine schützende Hand über den Terroristen schließen, dieser Verdacht dränge sich ihm auf.

Die »wahrscheinliche« Motorradbesatzung, das seien Sonnenberg und Becker gewesen. Es stelle sich ihm aber die Frage, so Buback, ob staatliche Stellen und Terroristen zusammengewirkt hätten, und hier sehe er bedrückende Parallelen zum jüngsten rechtsradikalen Terror. »Was hat Verena Becker dafür geliefert?«, an dieser Frage sei er ebenso interessiert, wie an den Gründen, warum ihre Verfassungsschutzakte 2008 gesperrt wurde. Was sei bedeutsamer als der Mord an einem Generalbundesanwalt – und was müsse geschützt werden? Auffällig sei, dass Verena Becker in der Haft früh Vergünstigungen bekommen habe; nach zwölf Jahren wurde sie begnadigt. Derzeit läuft in Stuttgart-Stammheim ein Prozess gegen sie wegen Beteiligung am Attentat auf Siegfried Buback. Michael Buback tritt als Nebenkläger auf. An fast jedem Verhandlungstag würden »unglaubliche Dinge« passieren. Buback macht das Geschehen in seinem Internet-Blog öffentlich. »Was soll ich noch tun? Die Recherche kostet uns Kraft und Zeit, und wir laufen gegen Wände«, stellte Buback seine gegenwärtige Situation dar. Er habe bei seinen »Ermittlungen« erfahren, dass sich unfassbare Fehler leichter verbergen lassen als kleine. Die Hoffnung, dass der Täter auf dem Motorrad gefunden werde, habe er noch nicht aufgegeben. Dass sein Vater damals gestorben sei, sei dessen erster Tod gewesen; dass Ermordnung beziehungsweise Verrat nicht angeklagt würden, das sei der zweite Tod. Er wolle, betont Buback, dem Staat nicht schaden, aber das Resümee, zu dem er komme, sei bedrückend:

»Die Büchse der Pandora soll geschlossen bleiben.« Den einsamen Kampf weiterzuführen, sei für ihn und seine Familie und die Würde des toten Vaters wichtig. Es sei für ihn mehr als 30 Jahre völlig undenkbar gewesen, dass nicht alles zur Aufklärung des Falles getan wurde, erläuterte er in der Diskussion. Traumatisiert sei er nicht, dazu sei das Geschehen zu lange her, und als Wissenschaftler gehe er auch nicht emotional an den Fall heran. »Wir wundern uns über viele Dinge gar nicht.« Ihn interessiere, betont er, »ein ordentlicher Beweis, dass Verena Becker es nicht war.« Dann hätte er gar nichts gegen einen Freispruch.

Es habe, so Buback, zu viele Zufälle und Unwahrscheinlichkeiten gegeben. Inzwischen gehe er davon aus, dass es nicht zu einem befriedigenden Urteil kommen werde – er habe allerdings hart dafür gekämpft.ek