Einbecker Bierkutschen versorgten die Stadt

Zwei Braugänge pro Jahr | Gut bei Stein-Leiden| Hohe Preise | Broyhan als Konkurrenz

Bis auf das Bild rechts oben stammen alle Fotos aus dem Jahr 1961. Die Einbecker Bierkutschen waren an der Wagen-Nummer zu erkennen, sie lieferten im gesamten Stadtgebiet aus.

Einbeck. Über das Bockbier und seine Herkunft muss in Einbeck nicht viel gesagt werden. Was einige aber vielleicht nicht wissen: In französischen Wirtshäusern war es früher üblich, bei der Bierbestellung »un boc« (ausgesprochen: äänbock) zu sagen und damit den Namen der Stadt, ein wenig anders klingend, auszusprechen.

Einbecker Bier treibt am besten

»Das gute Einbeckische Bier selbst wetzet und treibet den Urin vom Menschen mit großem Nutz. Und ist sonderlich denen so wegen des Steins Weh und Schmerzen fühlen heil ist befindet. Dann dieses der Urin viel hefftiger als von anderm Bier zum Ausgang eilet und getrieben wird« (Chronik Letzner 1596).

Der Schwur des Braumeisters

Das Bierbrauen war streng geregelt. Jeder städtische Braumeister musste den Schwur leisten, sich an die Brauordnung zu halten. Zweimal im Jahr wurden die Einbecker Braupfannen in die vielen Brauhäuser geschafft und dann wurde das Bier gesotten. Nur der Braumeister und seine Gehilfen durften beim Brauen Hand anlegen.

Wirtschaftsfaktor Bier

Einbecker Bier war damals wie heute ein Wirtschaftsfaktor. Nach 1500 allerdings ging der Absatz immer mehr zurück, und die Brand-
katastrophe von 1540 brachte schließlich die gesamte Produktion zum Erliegen. Doch ab 1549 war der Bierhandel wieder gewinnbringend, und er weitete sich aus. Einbecker Bier hatte einen guten Namen und einen entsprechend hohen Preis. Die Verbraucher wollen damals wie heute hohe Qualität, allerdings schauen sie auch auf den Preis. Noch gab es keine Alternativen, doch dann wurde im hannoverschen Raum Broyhan ausgeschenkt – das Konkurrenzbier schmeckte gut und kostete nur die Hälfte.

Im Zeitraum 1445/46 ist eine wütende Beschwerde aus Braunschweig über den hohen Einbecker Bierpreis überliefert: »Dat Em-
beckes beerd at were to dure (teuer). Me scholde dat mynner setten, dat arme lude ok Embeckes beer drinken konden, unde me scholde dem armen so ghut beer tappen alse deme riken«. Dennoch: Das Einbecker Bier blieb weiter hoch im Kurs: Als Herzog Erich der Jüngere 1545 heiratete, bestellte er 35 Fässer. Doch bei »Otto Normalverbraucher« kam der vergleichsweise hohe Preis nicht gut an. Im Ratskeller von Hannover wurde 1567 Verlust geschrieben: »Dat Beer is lygende geblewen unde suer geworden«.

Einbecker Bier steigt nicht zu Kopf

Zur gleichen Zeit beschrieb der Arzt Heinrich Knaust (oder Knust) das Einbecker Bier als »ein gesundes Getränk, weil es eine Mittel-Natur hat und nicht so sehr, wie andere Biere thun, den Leib der Menschen erhitzet. Und wiewohl dies Bier auch gut Nutriment giebt, dennoch werden die Leute nicht so gar feiste davon, gleich wie sie von andern Bieren wol werden. Das Bier dringet leicht durch und erregt den harn, von wegen seiner Substanz, die nicht so starck ist, und von wegen des Hopfen. So steiget das Bier auch einem nicht zu Kopfe, wie die anderen obgemeldeten Biere thun, und ist deshalb allen andern Bieren im Sommer vorzuziehen.«

Transportmittel Pferdekutsche

Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Einbecker Straßen von Bierkutschen geprägt. Gemütlich zottelten die Pferde durch die Straßen und belieferten die Kundschaft. Die Pferde kannten ihren Weg und blieben vor der Tür des nächsten Kunden stehen. Die Kutschpferde hatten das »autonome Fahren« als Serienausstattung. Ein schönes Beispiel, dass die Selbststeuerung auch von Nachteil sein kann, beschrieb Konrad Beste in seinem in Wenzen spielenden Heimatroman »Das vergnügliche Leben der Doktorin Löhnefink«: Das alte Milchwagenpferd Isabella hatte in 15 Jahren »über fünftausendmal an immer wieder denselben Ecken haltgemacht, um sich erst wieder in Bewegung zu setzen, wenn die laute, fröhliche Schelle erklang, mit der die Kunden an die nächste Ecke gerufen wurden.« Mittlerweile hatte das Pferd ausgedient und wurde durch ein motorisiertes Fahrzeug ersetzt. Konrad Beste bekam das Tier geschenkt und wollte mit ihm gleich nach Einbeck fahren. Der alte Kutscher war entsetzt. »Ich will die Herrschaften doch lieber mit dem Milchwagen hinfahren, das geht doch viel schneller.« Es kam, wie es kommen musste. Am Tiedexer Tor blieb das Pferd zum ersten Mal stehen. Erst nach einer gewissen Zeit ging es weiter. Das wiederholte sich alle paar Meter. Das innere Navigationsgerät des Pferdes war auf die 5.001. Kundenauslieferung eingestellt. Zwar ging es immer weiter, wenn das Klingeln ertönte, aber das hatte einen entscheidenden Nachteil. Auch die Anwohner wurden vom Klingeln angelockt.

»Ein halberblindetes altes Mütterchen, das uns mit flehender Gebärde ein Milchtöpfchen entgegenhielt« musste abgewiesen werden: »Heute gibt es keine Milch Frau Knackstedt! Das alte Mütterchen war mit leerem Topf enttäuscht davongewankt«. Aber dafür sammelten sich immer mehr Einbecker am Straßenrand an, die dem Schauspiel zusahen. Schließlich griff der diensthabende Wachtmeister gewichtigen Ganges und ernsten Gesichtes ein und zerstreute die Menge. »Wir fahren gleich weiter«, rief ihm der Kutscher zu, »wir mußten hier zehn Liter warten, aber die sind bald herum.« Insgesamt wurden 500 Liter pro Tour ausgeliefert. »Am Ende … bedurfte es der ganzen Schönheit dieser alten Stadt und dann einer ausgiebigen Stärkung bei Konditor Strube, um unser seelisches Gleichgewicht wiederzuerringen«.wk