Einbecker Märchenwald beeindruckt durch große Vielfalt

SPD-Projektsommer unterwegs mit Gert Habermann durch eine besondere Abteilung im Einbecker Stadtwald / 230 Jahre alte Bäume

Ein 230 Jahre alter Wald, das ist eine Besonderheit. Er hat etwas Verwunschenes, sieht anders aus als der Wirtschaftsbetrieb Wald, in dem es auf hohen Ertrag ankommt, bietet Alt- und Totholz, umgefallene Bäume, Lichtkegel, Lebensraum für zahlreiche Tiere – ein Märchenwald also. Zum Kennenlernen dieses einzigartigen Fleckchens Natur hatte die SPD-Abteilung Einbeck-Kernstadt jetzt im Rahmen ihres Projektsommers eingeladen.

Einbeck. Gert Habermann hieß die Teilnehmer willkommen zu einem Spaziergang zu diesem ökologisch wertvollen Teil des Einbecker Stadtwaldes. Er freue sich, dass die SPD den Vorschlag aufgegriffen habe, diesen einmaligen Wald unter Dauerschutz zu stellen. In anderen Parteien sehe das Handeln leider anders aus, kritisierte der Waldpädagoge, da sei das Thema Naturschutz mit einem »Ja, aber ...« verknüpft.

Die Artenverdrängung weltweit sei zwar schleichend, aber dramatisch, führte Habermann aus, überall würden Lebensräume verschwinden, und Bäume würden durch den Kamin gejagt. Naturnahe Wälder gebe es immer seltener. In einem solchen Wald würden sich 70 Prozent der Bäume in der Alters- oder Zerfalls-phase befinden. Zunächst zeigte Habermann einen typischen Wirtschaftswald. Holz sei eine »super Ressource«, wenn man nachhaltig wirtschafte. Könnten Buchen bis zu 500 Jahre alt werden, würden sie doch schon nach 100 bis 120 Jahren geschlagen. Der Wald habe aber nicht nur eine Nutz-, sondern auch eine Schutz- und Erholungsfunktion, mahnte er. Der Wirtschaftswald sei, auch wenn er wirtschaftlich hervorragend geführt sei, dunkel und kalt – Waldbewohner suchten dagegen Wärme, deshalb sei der Artenschutz im naturnahen Wald zuhause. »Ich wette um 100 Euro, dass Sie in einem Wirtschaftswald wie diesem keine Spechthöhle finden«, zeigte sich Habermann mutig. Dabei sei der Specht der Erfinder des sozialen Wohnungsbaus, schmunzelte er: Der Vogel nutze seine Höhle selbst nur einmal; anschließend werde sie aber von 40 bis 50 anderen Waldbewohnern besetzt. Angesichts von Holzzuwächsen von zwölf oder 18 Kubikmetern pro Jahr und Hektar seien Nadelbäume wie Fichten und Douglasien natürlich gegenüber Buchen verlockend, führte Habermann aus. Dadurch würden aber zugleich ökologisch arme Lebensräume entstehen. Sicherer, auch angesichts bevorstehener Klimaextreme, und ökologisch vernünftiger seien Mischwälder. Vielfalt stehe hier für Stabilität. Ein Förster müsse in langen Zeiträumen denken, er dürfe nur entnehmen, was nachwachse. Dosierte, vorsichtige Eingriffe mit Fingerspitzengefühl sorgten für mehr Lichteinfall im Wald und für Naturverjüngung.

Zehn Prozent des Waldes unter Vollschutz zu stellen, wie er sich das für den Märchenwald wünsche, sei nicht utopisch, so Habermann: Lübeck habe das beispielsweise parteiübergreifend beschlossen. Experten hätten dem Einbecker Waldstück bescheinigt, dass es einmalig in Niedersachsen sei. Deshalb sei die angestrebte Herausnahme von immerhin fünf Prozent der Waldfläche aus der Bewirtschaftung ein guter Ansatz. Zudem sollen pro Hektar fünf Habitatbäume mit besonderer Bedeutung für den Artenschutz erhalten bleiben. Das Einzigartige des Waldes werde daran deutlich, dass nur 0,3 Prozent der deutschen Bäume überhaupt ein Alter von 230 Jahren erreichten. Ihre moosbedeckten Äste böten beispielsweise die Lebensgrundlage für viele Käfer. Es gebe hier viele Bilder, die in einem Wirtschaftswald nicht zu finden seien. Es sei eben nicht aufgeräumt, sondern naturnah. Man könne ständige Bewegung im Tierreich entdecken: So habe er neulich ein Waschbärjunges in einer Baumhöhle gefunden, berichtete Habermann. Totes Holz, zeigte er an verschiedenen Beispielen, stecke voller Leben und sei ökologisch unbezahlbar. Strukturreichtum entstehe durch Naturnähe. Der Wald stehe nicht für sich selbst, machte Habermann deutlich, sondern alles sei vernetzt. Ein Eingriff könne unerwünschte Laufmascheneffekte mit unabsehbaren Auswirkungen haben. Das Projekt Märchenwald, räumte er ein, habe dabei aber nicht nur Freunde. Eine der deutlichsten Schädigungen des Waldes erfolge durch den Stickstoffeintrag durch Regen von etwa 20 bis 80 Kilogramm pro Jahr und Hektar. Der Wald sei aber nur in der Lage, 15 Kilogramm zu puffern. In der Folge versauere der Boden, so dass alle zehn Jahre eine Kalkung mit einer Menge von drei Tonnen pro Hektar erforderlich sei. Der Wald, stellte er fest, sterbe noch immer – in einem langen Siechtum.

Eine Kartierung des Märchenwaldes soll demnächst erfolgen, und Tafeln sollen Besucher auf besonders wertvolle Elemente hinweisen. Die von der UNO ausgerufene »Dekade für Vielfalt« könne in diesem Sinne genutzt werden, und ein solcher Schatz der Natur sei auch eine touristische Chance für Einbeck, machte Habermann deutlich. Er sei nicht gegen moderne Erntetechnik, aber eben nicht im Naturwald, und es gebe auch genug Holz, so dass man wertvolle Bäume, wie man sie hier vorfinde, nicht angreifen müsse.ek