Eindrucksvolles Bild des Ostergeschehens

Tizians »Auferstehung« / Christus als mächtiger Herrscher einer dunklen Welt

Viele Künstler – Dichter, Maler, Musiker – sind durch die Feste Ostern und Weihnachten zu bedeutenden Werken angeregt, durch Ostern allerdings weniger als durch Weihnachten: Bethlehem und die Krippe wirkten offenbar anregender als Ostern mit seiner schwierigen Theologie von Tod und Auferstehung. Unter den Auferstehungsbildern nimmt das des Renaissance-Malers Tizian (1477 bis 1576) eine ganz besondere Stellung ein. Es ist der Mittelteil eines Altarbildes in einer Kirche in Brescia.

Einbeck. Hatten die Maler in der Regel das geöffnete Grab mit den Frauen, die das Neue Testament erwähnt, gemalt, dazu als Mitte den Auferstandenen oder Auferstehenden und einige Wachsoldaten, ist Tizians Bildaufbau ganz anders: Im Vordergrund tiefes Dunkel, kaum erkennbare Steinplatten des Grabes mit einer ebenfalls kaum erkennbaren Inschrift, zwei auch in Dunkel getauchte, offenbar erschrockene Wachsoldaten, von hinten gesehen. Im Hintergrund, von aufscheinendem Morgenlicht erhellt, die Silhouette einer Stadt mit einem hohen Turm.

Und im großen Oberteil des Bildes, mit einem Fuß auf einer Wolke stehend, der athletisch gebaute Auferstandene, nur mit einem um die Lenden gewundenen Tuch bekleidet. Mit der rechten Hand hält er eine Siegesstandarte, mit der linken weist er (segnend?) aus dem Bild hinaus. Tizians »sinnlicher Naturalismus« und sein »vitaler Schwung« werden von Kunsthistorikern hervorgehoben und dass seine »großen Figuren oft die Landschaft in den Hintergrund drängen«. Für seine Darstellung Christi habe er sich die antike Laokoon-Gestalt zum Vorbild genommen. Die Laokoon-Gruppe war erst zu Tizians Zeit wieder entdeckt worden und hatte viele Bewunderer gefunden.

Eine literarische Anregung zu diesem Bildaufbau könnte ein Text aus der Bibel sein: In der »Offenbarung des Johannes« heißt es (12, 1 ff.), eine große Frauengestalt habe in einer Vision des Johannes den gesamten Himmel ausgefüllt. Frühe Ausleger der alten Kirche haben diese Gestalt als Maria, die »Himmelskönigin«, gedeutet. Wenn nun Maria als große Gestalt am Himmel erscheinen kann, müsste das doch ähnlich auch für ihren Sohn gelten können, und in dessen Biographie bietet sich da die Auferstehung an.

Tizians Bild ist eine der eindrucksvollsten bildlichen Gestaltungen des Ostergeschehens: Er nimmt die Gestalt Christi aus ihrem irdischen Rahmen und stellt ihn als mächtigen Herrscher über eine dunkle Welt dar, über der noch recht bescheiden ein neuer Morgen aufdämmert.

Man könnte meinen, in Händels »Halleluja« aus dem »Messias« sei Tizians Christus in Musik umgesetzt: Im »Handlungsablauf« des »Messias« gehört das mit elementarer Gewalt geladene »Halleluja – Preiset Jahwe oder: Lobet Gott« zum Osterjubel: »Der Herr wird König sein« verkündet der Chor – jetzt, nach seinem österlichen Aufsteigen, wie es Tizian gemalt hat. Und: »Das Reich der Welt ist nun des Herrn, des Herrn und seines Christ«, fährt der Chor fort. Der Weltenherrscher Christus ist bei Tizian im Bild gestaltet, und bei Händel ist er Musik geworden.da