Eine Schule, in der Kinder mehr lernen als Unterrichtsstoff

Eltern und Lehrer berichten von ihren Erfahrungen mit den Integrierten Gesamtschulen Göttingen-Geismar und Bodenfelde

Für die Eltern ist das Thema Gesamtschule von großem Interesse - und ein wichtiges Anliegen. Gut besucht war der Abend unter dem Motto »Eltern informieren Eltern«, zu dem die Initiative für eine Integrierte Gesamtschule (IGS) in Einbeck eingeladen hatte. Hier war Gelegenheit, konkrete Frage zum Schulleben zu stellen und Antworten aus der Praxis zu erhalten.

Einbeck.  Eltern und Lehrer hätten sich in den vergangenen Jahren immer wieder für ein Gesamtschul-Angebot stark gemacht, die Politik habe sich gekümmert, so Siegfried Pinkepank von der Initiative für eine Integrierte Gesamtschule in Einbeck. »Wer kann Ihre Fragen nun besser beantworten als Betroffene?«, hieß er zahlreiche Eltern, aber auch Elternvertreter sowie Lehrer aus den Integrierten Gesamtschulen in Göttingen-Geismar sowie Bodenfelde willkommen. Die derzeit laufende Elternbefragung zur Einrichtung einer Gesamtschule in Einbeck werde zeigen, ob der Wunsch der Eltern groß genug sei. Eine Kooperative Gesamtschule sei dabei nur ein halber Schritt: »Wir wollen eine IGS.« Eine lange gemeinsame Beschulung, sagte er, sei eigentlich »weltweit der Normalzustand«, das dreigliedrige deutsche Schulsystem sei dagegen eine Ausnahme.

Zunächst wurden die Besonderheiten der jeweiligen Schulformen kurz erläutert: Eine KGS beschult Kinder von Klasse 5 bis 10 in einem Gebäude, aber in schulspezifischem Unterricht. Übergänge sowie Auf- und Abstiege werden erleichtert. Beurteilungen erfolgen nach dem jeweiligen Schulzweig, ebenso die Abschlüsse. Es unterrichten Lehrer aller Schulformen.

Gemeinsames Lernen, individuelle Förderung und differenzierter Unterricht werden möglich an der IGS: durch Pflicht-, Wahlpflicht-, Wahl- und Förderunterricht. Bisher, so Pinkepank, werde in Klasse 4 oder schon früher entschieden, welchen Schul- und mitunter Lebensweg das Kind nehme sollte. »Das ist eindeutig zu früh.« Für wichtig halte er die Unterrichtsfelder Wirtschaft und Technik, was es so beispielsweise an Gymnasien nicht gebe. »Lernen mit Kopf, Herz und Hand«, so lasse sich dieses Prinzip beschreiben. »In Zusammenhängen lernt es sich leichter«, stellte er fest, es sei wichtig, Themen in ihrer Komplexität zu erfassen. Das erfordere enge Zusammenarbeit und Absprachen im Lehrerteam, »aber die Wirklichkeit ist eben auch komplex.« Dass dies erfolgreich sei, zeige sich daran, dass die Schüler später in der Oberstufe bis zum Abitur mithalten könnten.

Die innere Differenzierung sei ein wichtiges pädagogisches Prinzip. Die Lehrer sorgten damit dafür, dass sie mit unterschiedlichen Aufgaben den verschiedenen Niveaus der Kinder gerecht werden könnten. »Das ist das Komplizierteste an einer IGS«, stimmten auch die Lehrer und Eltern der vertretenen Schulen zu. Äußere Differenzierung wird durch Fachleistungskurse auf drei Anspruchsebenen gewährleistet: in Mathematik und Englisch ab Klasse 7, in Deutsch ab Klasse 8, in Naturwissenschaften ab Klasse 9. Die Schüler werden in der Regel von Klasse 5 bis 10 vom selben Lehrerteam unterrichtet. Mögliche Konflikte gelte es auszuhalten beziehungsweise zu lösen.

Wie gut die Schüler an einer IGS lernen, zeigen die positiven Erfahrungen aus Göttingen und Bodenfelde seit Jahrzehnten: Göttingen gilt als eine der besten Schulen im Land mit einer hohen Abitur-Quote, und auch Bodenfelde weist viele Abschlüsse über der Laufbahn-Prognose auf. Bis zum Abitur gibt es dann auch keine Leistungseinbrüche. »Die Schüler der IGS haben bei uns so viel Erfolg wie unsere Eigengewächse«, bestätigte der Studienrat des Uslarer Gymnasiums die geglückten Übergänge.

Während in Bodenfelde als Kompromiss aus der Gründungszeit Noten vergeben werden, ist es ansonsten üblich, dass es zunächst keine Zensuren gibt, sondern eine Dokumentation der individuellen Lernentwicklung bis einschließlich Klasse 8. Sie hielten die Berichte sogar für besser als Noten, sagten die Göttinger Eltern, auf diese Weise werde den Kindern nicht der Mut genommen, wenngleich es zunächst ungewohnt sei, auf Zensuren zu verzichten. Da es keine Versetzungen gibt, sind auch Sitzenbleiben oder Schulwechsel nicht möglich. Die Abschlüsse werden, mit Zensuren ab Klasse 9, wie im gegliederten Schulwesen vergeben.

Eine neue IGS in Einbeck wäre idealerweise ein »Mittelding« zwischen Bodenfelde und Göttingen. Starten werden fünf Klassen mit bis zu 30 Schülern. Ein Risiko für die Eltern bleibt dabei die auf 150 Schüler begrenzte Starterzahl: So könnte es passieren, dass Eltern durch ihr Ja auf dem Fragebogen zwar die IGS unterstützen, letztlich aber keinen Platz bekommen und so ihr Kind nach außerhalb schicken müssen. Er rechne nicht damit, dass der Zulauf so groß sei, dass man Kinder abweisen müsse, so Pinkepank.

Für eine IGS spreche, dass das Kind hier nicht nur den Schulstoff lerne, sondern auch viele andere Dinge, allein schon durch das Miteinander von stärkeren und schwächeren Schülern. Das Prinzip »Jeder kann irgend etwas« gebe den Schülern Selbstvertrauen. Verschiedenheit werde nicht nur zugelassen, sondern sogar gewollt. Allerdings habe die Idee des sozialen und gemeinsamen Lernens nicht für jeden den gleichen Stellenwert, und so tue sich die Politik schwer mit den Gesamtschulen. Sicher werde es Anfangsprobleme geben, »aber keiner erfindet das Rad neu«, und die Lehrer würden vom Erfahrungsaustausch mit Kollegen profitieren, ohne deren Arbeit kopieren zu müssen. Hausaufgaben werden in der Regel in der Schule unter Aufsicht angefertigt.

Das Gymnasium, so ein Anliegen von Eltern und Lehrern, müsse wegkommen vom Elite-Gedanken, absteigen vom hohen Ross. Eine Zusammenarbeit mit einer künftigen IGS sei gewünscht und notwendig. Wenn die Befragung nun scheitere, »ist die IGS für Einbeck gestorben«, urteilte Siegfried Pinkepank. Aber den Wunsch danach werde es bei den Eltern im Landkreis weiterhin geben, und dann werde der Standort Northeim entwickelt. Einen solchen pädagogischen Leuchtturm und zentralen Schulstandort sollte sich Einbeck nicht entgehen lassen: »Sie wissen, was Sie dafür tun können.«ek