»Einsicht und Steuerung aufgehoben«

Amtsgericht verhandelt gegen 42-Jährigen wegen diverser Straftaten in den Jahren 2016 und 2017

Von Dämonen war die Rede, aber auch von Rauschgiftabhängigkeit und von Erinnerungslücken: Zahlreiche Straftaten werden einem Einbecker zur Last gelegt, der sich zurzeit vor dem Schöffengericht im Amtsgericht Einbeck verantworten muss. Immerhin rund zehn Minuten hat es gedauert, bis die Vertreterin der Staatsanwaltschaft die komplette Anklageschrift verlesen hatte. Dabei ging es um Vorfälle aus den Jahren 2016 und 2017, bei denen auch gefährliche Werkzeuge zum Einsatz gekommen sein sollen.

Einbeck. Der 42-jährige Angeklagte, in Kasachstan geboren, deutscher Staatsbürger und seit 2000 im Land, war bereits mehrfach erfolglos zum Verfahren geladen worden; nach Untersuchungshaft seit Ende Mai konnte nun eine Vorführung und damit der Prozessauftakt stattfinden. Die Anklagevertreterin berichtete über Attacken gegen Autos und gegen Nachbarn, über Ladendiebstahl, Bedrohung und Sachbeschädigung. So soll er unter anderem bei Tritten gegen ein Fahrzeug einen Schaden von 2.500 Euro angerichtet haben.

In einem Baumarkt wollte er zwei Kleinigkeiten und Sicherheitsschuhe stehlen, und jemanden, der ihn dafür zur Rede stellte, soll er angegriffen haben. In der Nachbarschaft soll er sich mit Drohungen gegen laute Musik gewehrt und außerdem eine Scheibe eingeschlagen haben. Er hat eine Kochplatte auf jemanden geworfen und Schaufensterscheiben eingeschlagen. Schließlich soll er an seinem Arbeitsplatz einen Ladendiebstahl begangen haben.

Zu wenigen Dingen ließ sich der Angeklagte selbst ein. Er habe niemanden verletzen wollen, stellte er fest. Überwiegend könne sich sein Mandant nicht erinnern, ergänzte sein Verteidiger; der Ladendiebstahl von Parfüm an seinem Arbeitsplatz sei kein Diebstahl gewesen, sondern er wollte vor Arbeitsbeginn schlechten Geruch in der Umkleidekabine entfernen.

Mit den Aussagen mehrerer Zeugen versuchte das Gericht, Licht in die unterschiedlichen Geschehnisse zu bringen, angefangen beim jüngsten Vorfall, dem Parfümdiebstahl vom Dezember 2017.

Die vom Arbeitgeber herbeigerufene Polizei habe nicht nur die Flacons von im Geschäft aufgestellten Testern beim Angeklagten gefunden, sondern in seiner privaten Kleidung steckte auch ein Einhand-Klappmesser, ein »gefährliches Werkzeug«, wie das Gericht nach Begutachtung entsprechender Fotos befand. Der Wert des Diebesguts wurde mit 15,24 Euro angegeben. Nach dem Vorfall habe der Arbeitgeber Hausverbot ausgesprochen.

Ein Nachbar schilderte einen Streit, der mit einem kaputten Fenster endete. Weitere Zeugen berichteten, was sie vor fast genau einem Jahr erlebt hatten: den Wurf einer Kochplatte auf den Mitarbeiter eines Restaurants und Sachbeschädigungen an Schaufenstern in der Hullerser Straße am späten Abend.

Schließlich kam es zu zwei Vorfällen in Einbecker Kirchen: In der Münsterkirche St. Alexandri wurden Seiten aus dem Gästebuch gerissen, die Kirchentüren waren komplett geöffnet, Kerzen brannten, und das Altarkreuz lag vor der Kirche auf dem Rasen.

In der Marktkirche habe er eine Rentnerin, die dort Aufsicht führte, »regelrecht überfallen«, wie sie berichtete. Auch hier wurden die Türen aufgerissen, die 74-jährige wurde an den Haaren gezogen und aus der Kirche geschubst, das Kreuz wurde vom Altar gestellt. Dämonen seien in der Kirche. Später, so die Zeugin, habe sich der Mann aber bei ihr entschuldigt.

Der ärztlicher Gutachter berichtete, dass der Angeklagte nach seiner Übersiedlung nach Deutschland schnell drogenabhängig geworden sei. Wiederholt sei es wegen psychotischer Episoden zu stationären Krankenhausaufenthalten gekommen. Mehrere Therapien seien ohne Erfolg geblieben. Erst seit wenigen Wochen sei er vermutlich erstmals drogen- und ersatzstofffrei. Die Psychosen seien bis zum Abbruch durch den Patienten medikamentös behandelt worden. Einsichts- und Steuerungsfähigkeit seien in solchen Episoden aufgehoben.

Nach dem Tod der Mutter 2015 hätten die paranoiden Zustände begonnen, erläuterte der Gutachter. In wahnhaften Vorstellungen habe sich der Angeklagte eingeredet, seine Mutter sei getötet worden, und auch ihm werde nach dem Leben getrachtet. Er fürchtete unter andere, dass schädliche Substanzen durch die Wände seiner Wohnung dringen würden, und schließlich habe er sich in der gesamten Stadt durch Giftgase bedroht gefühlt. Die Kochplatte könne als Möglichkeit, giftige Substanzen herzustellen, damit im Zusammenhang stehen. An einer akuten paranoiden Psychose gebe es keinen Zweifel, er habe keine adäquate Realitätswahrnehmung festgestellt.

Mit psychiatrischer Behandlung und Medikamenten könne man das aber in den Griff bekommen – solange es der 42-Jährige nicht bei entsprechenden Willensbekundungen belasse, sondern konkret handele.

Der Gutachter sprach von aufgehobener Schuldfähigkeit für einige Vorfälle – weitere Anklagepunkte sollen mit weitere Zeugen Ende der Woche geklärt werden. Amtsgerichtsdirektor Döhrel ließ keinen Zweifel daran, dass auch weiterverhandelt werde, wenn der Angeklagte nicht erscheine, zumal der Haftbefehl aufgehoben sei: »Ich fände es aber deutlich besser, wenn Sie kämen«.ek