Erst ins Gefängnis, dann in Therapie

Überfall auf 50-Jährigen: Einmal dreieinhalb Jahre Haft, einmal Freispruch

Einbeck. Eine Haftstrafe und ein Freispruch: Damit ist vor dem Jugendschöffengericht beim Amtsgericht Einbeck das Verfahren wegen des Überfalls auf einen 50-Jährigen zu Ende gegangen. Im April wurden dem Opfer dabei in seiner Wohnung Geld und Rauschgift entwendet. Angeklagt waren zwei junge Männer aus Einbeck, 22 und 25 Jahre alt. Der 50-Jährige ist von zwei ungebetenen Besuchern überfallen worden. Der 25-Jährige räumte die Tat ein, Mittäter sei aber ein anderer als der mit ihm auf der Anklagebank Sitzende gewesen, sagte er. Der jüngere Angeklagte stritt eine Tatbeteiligung auch ab. Dem 25-jährigen Angeklagten wurde außerdem ein Handy-Raub vorgeworfen.

Zunächst wurde das Opfer dieses Handy-Raubes vom Dezember noch einmal befragt - in Abwesenheit des Angeklagten. Der habe, so der Eindruck die Staatsanwaltschaft, den Zeugen eingeschüchtert, er habe nicht alles gesagt, was von Interesse sei. Er habe sich mit der Freundin des Angeklagten getroffen, während 25-Jährige in Haft gewesen sein, räumte der 27 Jahre alte Zeuge ein. Der habe daraufhin seine Ehre verletzt gesehen und sich eine »Geldstrafe« für den Rivalen ausgedacht. Bei dem zufälligen Treffen der beiden in der Einbecker Innenstadt habe er Schläge befürchtet, sagte das Opfer. Die hat er auch bekommen, zwei Ohrfeigen, aber zunächst habe der Angeklagte ihm das Handy weggenommen.

Während eine Zeugenaussage eines Jugendlichen außer »Hörensagen« wenig Neues zum Überfall in einem Mehrfamilienhaus in der Innenstadt brachte, konnte ein Polizeibeamter zu früheren Drogenvergehen des 25-jährigen Angeklagten berichten. Seit einigen Jahren sei er polizeibekannt. Als er nach einer Drogenfahrt mit dem Auto angehalten wurde, ermittelte die Polizei hohe Werte, was auf Dauerkonsum schließen lasse. Dieser Drogenmissbrauch stand auch im Mittelpunkt einer Gutachteraussage. Der Experte, Mediziner einer psychiatrischen Klinik in Göttingen,  berichtete aus Gesprächen mit dem Angeklagten, der seit etwa zehn Jahren Drogenkontakte habe. Daraus wurde schnell abhängiger Konsum von Cannabis. Der in Moldawien geborene Mann kann als Kind nach Deutschland. Er hatte Integrationsschwierigkeiten, die Kifferszene bot einen gewissen Zusammenhalt. Obwohl er intelligent sei, habe er Ausbildungen abgebrochen und gegen Normen verstoßen. Von 2006 bis 2013 habe er drei Jahre in Haft verbracht. Dabei habe er bürgerliche Vorstellungen von einer heilen Welt. Drogen seien ihm aber wichtiger als anderes. Zu den Tatvorwürfen sagte er, er sei »breit« gewesen. Dem Überfallenen habe er nur das Gras wegnehmen wollen. Die Beute wollte er weitergeben, denn er rauche nicht gern allein. Die Tat habe er detailliert geschildert, neben einigen hundert Euro wurden rund 1.450 Gramm Marihuana gestohlen. An zwei laufende Bewährungen habe er nicht gedacht, sondern wichtig sei das Gras gewesen. Verminderte Schuldfähigkeit sei nicht auszuschließen, er würde das aber auch nicht positiv bestätigen wollen, so der Gutachter. Zudem schlug er eine Therapie in Unterbringung mit dichten Kontrollen vor. Andernfalls bestehe die Gefahr für weitere Straftaten.

Beide Angeklagten bringen ein dickes Paket an Vorbelastungen mit: Der 22-Jährige sei, berichtete de Richter Thomas Döhrel, seit 2006 immer wieder aufgefallen, er habe bereits wegen unterschiedlicher Delikte auch Haftstrafen verbüßt. Bis ins Jahr 2002 reicht die Akte des älteren Angeklagten zurück, auch hier sind verschiedenste Delikte vermerkt.

Die Frage, wie die Taten zu werten seien, warf die Staatsanwaltschaft in ihre Plädoyer auf. Der Handy-Überfall sei rechtlich kein Raub, sondern an der Grenze zu Diebstahl beziehungsweise räuberischem Diebstahl in Tateinheit mit Körperverletzung. Der Zeuge sei dreist eingeschüchtert worden, deshalb hänge die Schuld hoch, Im Auge behalten müsse man auch die einschlägige massive Vorbestrafung des 25-Jährigen: »Irgendwann ist Schluss.«

Die starken Kriterien, die für verminderte Schuldfähigkeit vorausgesetzt würden, seien nicht gegeben. Der Angriff auf den 50-Jährigen sei Raub, wie er im Buche stelle, in Tateinheit mit Körperverletzung. Die Frage, wer der zweite Täter gewesen sei, beantwortete sich für die Staatsanwaltschaft klar: der Mitangeklagte, zumal sein Alibi in der Verhandlung »explodiert« sei und von ihm keine Aussagen gekommen seien. Die Angaben der Zeugen, die in vieler Hinsicht »Kram« erzählt hätten, legten es nahe, dass es kein unbekannter Dritter gewesen sei. Immerhin sei der 25-Jährige, was die Drogen angehe, ehrlich gewesen. Er sei durch den Überfall an rund 1,45 Kilogramm Marihuana gekommen, das sei keine geringe Menge. Die Gesellschaft habe ein Recht auf Schutz, und mit einer Strafforderung von drei Jahren und neun Monaten sei man weit entfernt vom mittleren Strafrahmen. Angesichts der Drogenkarriere schlug die Staatsanwaltschaft eine zweijährige Unterbringung im Maßregelvollzug beziehungsweise eine Entziehung vor - am Ende der Haftstrafe, um den Angeklagten dann in die Freiheit zu entlassen. Für den jüngeren Angeklagten beantragte der Staatsanwalt eine Strafe von drei Jahren und drei Monaten.

Der Verteidiger des 22-Jährigen argumentierte, eine Tatbeteiligung seines Mandaten sei nicht nachgewiesen. Zeugenaussagen könnten die Vorwürfe nicht eindeutig belegen, zumal die Szene »unter einer Decke« stecke - jeder wisse etwas von den Vorgängen, aber das reiche nicht aus, deshalb sei ein Freispruch angemessen. Für den älteren Angeklagten sagte dessen Verteidiger, dass der Handy-Raub keine Attacke auf einen Fremden gewesen sei, sondern eine Reaktion auf die früheren Treffen des Opfers mit der Freundin seines Mandanten. Bei Überfall auf den 50-Jährigen sehe er eine verminderte Schuldfähigkeit, die Tat sei spontan und aus dem Suchtdruck heraus entstanden. Das Geständnis spreche für den Angeklagten, er wolle aufräumen. Er halte, so der Verteidiger, eine Haftstrafe von zwei Jahren und vier Monaten für angemessen. Das unbehandelte Drogenproblem sei die Ursache für sein Verhalten, deshalb sollte so schnell wie möglich eine Unterbringung erfolgen. Eine Entziehung sei sehr nötig, sie biete gute Aussichten auf Erfolg und verringere die Wiederholungsgefahr.

Den 25-Jährigen verurteilte das Gericht wegen Diebstahls und Körperverletzung sowie Raub und gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren und sechs Monaten Haft, die letzten zwei Jahre davon soll er im Rahmen einer Entziehung im Maßregelvollzug verbringen. Er habe sich über die Jahre eine Biografie des Verbrechens aufgebaut, so der Richter. Die vielfache Vorbelastung sei gewürdigt worden, aber auch die Tatsache, dass er beim Diebstahl des Handys keinen Wildfremden angesprochen habe. Wer der zweite Täter beim Überfall in der Wohnung gewesen sei, habe sich nicht ermitteln lassen. Verminderte Schuld beziehungsweise Steuerung sah das Gericht bei der Körperverletzung sowie beim unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln nicht: Der Angeklagte habe das Unrecht einsehen können. Die Unterbringung werde am Ende der Haft erfolgen. Bis dahin brauche er einen langen Atem, doch die Situation könne man ihm nicht ersparen, er habe sie sich selbst eingebrockt. Aber es gehe darum, ein neues Leben zu beginnen. Den jüngeren Angeklagten sprach das Gericht frei. Die Zeugen könnten sich getäuscht haben, die Aussagen reichten nicht aus, ihn zur Verantwortung zu ziehen.ek