»Es gibt noch viel zu tun gegen schlechte Arbeit«

Maikundgebung der Gewerkschaften auf dem Möncheplatz gut besucht | Moritz Braukmüller mit Thema Mindestlohn

Einbeck. Viel ist erreicht, viel ist noch zu tun, zu erkämpfen und zu verteidigen: Unter anderem um Mindestlohn und Streiks ging es bei der Maikundgebung der Gewerkschaften zum Tag der Arbeit auf dem Einbecker Möncheplatz. Auf 125-jährige Tradition kann dieser Aktionstag zurückblicken; dass es dabei nicht bleiben kann, machten die Wortbeiträge deutlich: Frank Marquard, Betriebsratsvorsitzender bei Hahnemühle FineArt, in seiner Begrüßung, Moritz Braukmüller vom ver.di-Bezirk in seiner Mairede. Die gut besuchte Veranstaltung wurde musikalisch umrahmt von »Catuna Jam« mit Marcus und Tatjana, mit einer Luftballonaktion, Kinderschminken, Kaffee, Kuchen und Bratwurst.

»Das war schon immer mein Wunsch«, schmunzelte Frank Marquard, der von den Gewerkschaften als Begrüßungsredner »ausgelost« worden war, am Rednerpult.?Der Betriebsratsvorsitzende der Hahnemühle FineArt erinnerte an den Tag der Arbeit als Feiertag – in der Regel jedenfalls; einige hätten trotzdem Dienst, andere seien aus Überzeugung ehrenamtlich tätig: Allen gebühre dafür Anerkennung. Gewerkschaften seien nicht die, die säbelrasselnd durch die Straßen liefen, sondern sie seien berechtigt, Tarifverträge auszuhandeln; das sei im Betriebsverfassungsgesetz 1948 ganz richtig so festgelegt worden. Was die Gewerkschaften in der zurückliegenden Verhandlungsrunde an Verbesserungen erreicht hätten, seien »ordentliche Ergebnisse«. Jetzt stehe auch die Verhandlung bei der Papierindustrie an: Fünf Prozent mehr seien gefordert, ab Dienstag werde verhandelt, und wenn seit 40 Jahren hier nicht mehr gestreikt wurde, bedeute das nicht, dass man das nicht könne.

Die gewerkschaftlichen Rechte seien über Jahrzehnte in zum Teil blutigen Auseinandersetzungen hart erkämpft worden, so Moritz Braukmüller, ver.di-Bezirk Region Süd-Ost-Niedersachsen-Harz. Wie bei einem Einbecker Stadtführungsthema gebe es auch hier »Helles und dunkle Schatten«: Die Betriebe seien keine demokratiefreien Zonen mehr, aber nicht vergessen dürfe man, dass 1933 durch die Nationalsozialisten auch die Gewerkschaften Schaden genommen hätten. Das Thema Nationalismus sei leider wieder aktuell. Die Menschen fürchteten sich vor vermeintlich Fremden. Furcht erzeuge Wut, die erzeuge Hass, und der bringe Leid. Braukmüller kritisierte die Hetze gegen Flüchtlinge, die aus Zuständen fliehen würden, an deren Entstehung die Konsumgesellschaft großen Anteil habe.

Er fürchte sich, so der Gewerkschafter, nicht vor Fremden, sondern vor Kampagnen, die zu Hass und Gewalt aufriefen. Die Situation sei ein Zeichen dafür, dass das Wirtschaftssystem den Geist aufgebe. Immer mehr Geld sei in der Hand von immer weniger Menschen, und sie hätten großen Besitz an privaten Medien. Von dieser Seite komme die Kritik, der soeben erkämpfte Mindestlohn sei ein Bürokratiemonster. Aber wie wolle man ein Unternehmen führen, wenn man nicht einmal die Arbeitszeit der Mitarbeiter aufschreiben könne? Betroffen seien 3,7 Millionen Beschäftigte, die ein Recht darauf hätten, dass jede Minute entlohnt werde – ohne Tricks und Täuschung. Der Kampf darum sei noch nicht beendet, kündigte er an, es dürfe keine Ausnahmen geben. Die Arbeitgeber müssten wissen, dass das Nichteinhalten der Vorschriften geahndet würden. »8,50 Euro können nur der Anfang sein.«

»Prekäre Beschäftigung bleibt uns ein Dorn im Auge«, betonte er, und das gelte auch für Arbeitslosigkeit. Die Betroffenen brauchten mehr Unterstützung, auch aus der Gesellschaft. Und schließlich lenkte er den Blick auf den Bereich Erziehung und Pflege: Die Aufwertung dieser Berufe sei gescheitert, es gebe keine verbesserte Eingruppierung. Alle wüssten, dass hier wertvolle Arbeit geleistet und dass sie schlecht bezahlt werde. Aber mehr als ein Streicheln in Sonntagsreden gebe es nicht. Zudem werde die Arbeit häufig von Frauen und in?Teilzeit geleistet. Deren Bruttogehälter seien Nettoeinkommen in der Autoindustrie. Nach der laufenden Urabstimmung werde es sicher einen Streik geben: »Was muss, dass muss.«

Wenn die kommunalen Arbeitgeber weiter so hartleibig seien, dürften sich andere Beschäftigte nicht gegen die Streikenden in Stellung bringen lassen, so sein Appell: »Lasst die Kollegen nicht im Regen stehen.« Das gelte auch für die Beschäftigten der Post, die soeben das Outsourcen von tausenden Mitarbeitern beschlossen habe. In 49 neuen Gesellschaften erwarte sie bis zu 20 Prozent weniger Lohn, und es gebe keine Betriebsräte: »Ein Skandal allererster Güte.« Auch der Einzelhandel habe mit einem Euro pro Stunde mehr eine berechtigte Forderung angemeldet, die es durchzusetzen gelte:?»Es gibt noch viel zu tun gegen schlechte Arbeit und Bezahlung«, hob Braukmüller hervor. Die positive Entwicklung der Vorjahre sollte hier fortgesetzt werden - das gelte für Kindertagesstätten, Handel, Post und Industrie gleichermaßen: »Das alles sind wir.«ek