Festungsturm Einbeck – oder doch nicht?

Die heutige historische Postkarte ist 111 Jahre alt und wurde in der letzten Woche bei einem Internet-Auktionshaus ersteigert. Die Karte war so begehrt, dass der Autor erst für einen vergleichsweise hohen Preis den Zuschlag bekam. Das Vorschau-Foto der Ansichtskarte war so klein, dass sich wenig Details erkennen ließen. Offenbar handelte es sich um einen Blick auf Wall und Storchenturm. Auf der Karte war die Bezeichnung »Einbeck Festungsturm« zu lesen. In Einbeck gibt es nur einen halboffenen runden Turm ohne Dach – und das ist eben der Storchenturm. Doch irgendetwas konnte auf dem Foto nicht stimmen.

Einbeck. War es vielleicht eine Fotomontage? Nachdem die Postkarte eingetroffen war, klärte sich das Rätsel auf. Herausgeber der Postkarte war der Verlag Oscar Ammon aus Einbeck. Der musste es schließlich wissen. Als Adressat steht auf der Rückseite »Frau Frieda Flachtmann«, wohnhaft bei »Herrn Oberstleutnandt Rettberg« in Hannover.

Der Oberstleutnant hat die Schreibweise hoffentlich verziehen. Auf der Bildseite grüßt ein Willi Behrens. Im Adressbuch von 1900 finden sich vier Herren mit dem Namen Behrens, doch sie heißen allesamt Carl mit Vornamen. Der Text auf der Postkarte könnte daraufhin weisen, dass Einbeck das Ziel einer Reise des Willi Behrens war: »Alles gut verlaufen. Mein Ziel erreicht«. Vielleicht war er aber zum Zeitpunkt der Herausgabe des Adressbuches noch zu jung, um darin aufgeführt werden. Eventuell meinte er mit Ziel eine bestandene Prüfung. Dann handelt es sich vielleicht um Willi Behrens, der später Telegrafenbeamter wurde und in der Grimsehlstraße wohnte. Doch zurück zur Ansichtskarte.

Im Verlag Oscar Ammon ist es ganz offensichtlich zu einer Verwechslung gekommen. Nur auf den allerersten Blick meint man hier eine Ansicht des Storchenturmes zu haben. Sieht man genauer hin, erkennt man einen fremden Turm, der obere Teil fehlt auf der Abbildung, das auskragende große Fenster ebenfalls und an der offenen Seite befinden sich beim echten Storchenturm ganz andere Steine. Der Wall ist viel zu steil und verläuft auch in anderer Form. Im Graben stehen Bäume. Auf vergleichbaren Postkarten vom echten Storchenturm stehen auch Bäume, allerdings keine Nadelbäume. Schaut man sich den Bereich hinter dem Turm an, bemerkt man das Fehlen des hohen Stadtmauerstücks. Auch die Häuser im Hintergrund gibt es so nicht.

In Einbeck stehen im Bereich des Storchenturmes Häuser mit der Traufenseite zur Mauer. Man kann also die Dächer sehen, aber nicht die Giebelseite wie auf der abgebildeten Postkarte. Letztlich handelt es sich um eine echte »Fehlprägung«. Irgendwer im Postkartenverlag Ammon hat nicht aufgepasst. Welche Stadtbefestigung hier tatsächlich zu sehen ist, ließ sich bisher nicht feststellen.wk