Feuer zerstörte Synagoge
Am 9. November 1938 wurde das jüdische Gotteshaus in Einbeck angezündet
Einbeck. Zu der Zeit hatte die Stadt Einbeck bei einer Gesamt-Einwohnerzahl von knapp 8.000 Bürgern rund 150 jüdische Einwohner. Neben der Synagoge gab es zur gleichen Zeit ein zweites größeres Bauprojekt, an dem jüdische Mitbürger Anteil hatten. Sie trugen als Mitglieder des Verschönerungsvereins zur Finanzierung des Kaiser-Friedrich- Turms bei. Jüdische Frauen und Männer waren auch in anderen Einbecker Vereinen engagiert. Dabei handelte es sich zumeist um wohlhabende Familien. Diese langsame Integration war aber keine vollständige Akzeptanz. »Ein privater Umgang zwischen Christen und Juden war nicht üblich«. Einbecker Juden nahmen auch am Ersten Weltkrieg teil – fünf von ihnen ließen ihr Leben.
Nach dem Krieg kam es 1919 in Einbeck mit der Verteilung von Flugblättern erstmals zu antisemitischen Aktionen. 1923 begann die nationalsozialistische Zeitung »Der Stürmer« Hetzpropaganda zu verbreiten. Ein früher Hinweis auf die Ausgrenzung von Juden in Einbeck findet sich im April 1924 in einer Zeitungsannonce zu einer Veranstaltung des völkisch-sozialen Blocks: »Juden haben keinen Zutritt«. Bei den Reichstagswahlen 1929 stieg der Stimmenanteil der NSDAP in Einbeck von ein Prozent auf 25 Prozent. Im Dezember 1930 sammelte der jüdische Frauenverein Einbeck »wegen der großen Not, unter der weite Teile der Einwohnerschaft der Stadt Einbeck leiden« Spenden. Bei der Weihnachtsfeier der NSDAP wurde diese Spendenaktion als »Staatsverbrechen « bezeichnet. Im März 1932 drang ein 30 Mann starker SA-Trupp in die Arbeiter-Siedlung in der Eigenheimstraße ein, wurde aber bemerkt. Auf dem Rückzug verwüsteten sie Gärten und warfen Scheiben ein. Im Laufe des Jahres kam es immer wieder zu Überfällen und Schlägereien. 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Bei den Reichstagswahlen im März bekam die NSDAP in Einbeck 48 Prozent der Stimmen.
Im gleichen Monat begann mit dem öffentlichen Boykott gegen jüdische Geschäfte das Martyrium der hier lebenden jüdischen Bürger, das mit der vollständigen Vernichtung der jüdischen Gemeinde in Einbeck enden sollte. In Einbeck erschien am 1. April der Aufruf zum Boykott: »Da des Juden Gott – der Mammon – das Gold ist, greifen wir ihn an seiner empfindlichsten Stelle an! Wir rufen das deutsche Volk auf: Kaufe niemals mehr bei einem Juden …Wer vom Juden frisst, stirbt daran! « Verschiedene Einbecker Geschäfte versicherten daraufhin in Zeitungsannoncen ihre »reinchristliche « und »nationalsozialistische« Gesinnung. Bis Ende 1933 wurden auch in Einbeck verschiedene Vereine und Organisationen aufgelöst. Alle in Deutschland lebenden Juden wurden in Karteien erfasst – das war der Beginn der systematischen Verfolgung. Im August 1935 fand wie in vielen anderen Städten auch in Einbeck eine »spontane Kundgebung « gegen das Judentum statt. Im Anschluss »marschierten NS-Verbände durch die Stadt«.
An den Ortseingängen wurden große Schilder angebracht: »Juden sind in Einbeck nicht erwünscht!« In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 steckten die Nationalsozialisten mehr als 1.000 Synagogen in Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei in Brand. Tausende von Geschäften wurden geplündert und verwüstet, Wohnungen und Häuser wurden demoliert und jüdische Friedhöfe wurden geschändet. Mehrere tausend jüdische Bürger wurden in Konzentrationslager verschleppt. Als Vorwand nahm Propagandaminister Josph Goebbels das Attentat des polnischen Juden Herschel Grynszpan auf einen Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Paris und rief in seinem demagogischen Sprachstil zur »Reichskristallnacht« auf. Auch die Einbecker Synagoge fiel der Reichspogromnacht zum Opfer. Der damalige Landrat Kurt Heinrichs erinnerte sich viele Jahre später, dass ihn am Abend der Einbecker Bürgermeister Hildebrecht und Polizeihauptwachmeister Ilsemann aus dem Bett klingelten: »Eben sei von der SS in Gandersheim angerufen wurden, sie sollten bei den Juden Hausdurchsuchungen machen und die Synagoge anstecken «. Auf der Polizeiwache warteten der Bürgermeister und SS-Sturmbannführer von Törne aus Bad Gandersheim »mit mindestens einem Dutzend SS-Männern«. Der SS-Mann begrüßte den Landrat mit den zynischen Worten: »Sie brauchen sich nicht mehr aufregen, sie brennt schon«.
Viele Einbecker standen auf dem Mühlenwall, sahen sich »das grausige Schauspiel an und konnten nicht einschreiten.« Die Synagoge brannte vollständig nieder. Dass die auswärtige SS verantwortlich gemacht wurde, gehörte zur Taktik der Nationalsozialisten. »Von uns war es ja keiner - wir konnten nichts machen«. Dass dem nicht so war, belegen Zeitzeugenaussagen, nach denen auch Einbecker Einwohner an der Zerstörung der Synagoge beteiligt waren. Einbecker SS-Angehörige versorgten sich von einem Hof in der Tiedexer Straße mit Kienspänen und gingen mit diesen Brandbeschleunigern zum »Judentempel«, wie die Synagoge im Volksmund genannt wurde. Am 11. November wurden die Einbecker Juden »zu ihrer persönlichen Sicherheit« in Schutzhaft genommen. Einige Tage später wurden alle jüdischen Schüler entlassen und die »Läden der Einbecker Juden geräumt«. Allein im Dezember 1938 mussten fünf Geschäfte schließen und gingen in »arischen Besitz« über. Heute erinnert das Mahnmal auf der gegenüberliegenden Straßenseite (hinter dem Mädchen auf dem Foto) an das jüdische Gotteshaus und das Leid der Juden während des Nationalsozialismus. Von der Synagoge selbst ist nichts mehr vorhanden.
Nur der äußere Steinpfosten der Grundstücksbegrenzung ist noch erkennbar. Er steht vom Wall aus gesehen ganz rechts neben dem Haus, das sich heute an der Stelle der Synagoge befindet. Am Mahnmal an der Bismarckstraße findet am 9. November eine Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an das Pogrom von 1938 statt. Die Kranzniederlegung am morgigen Sonntag, 9. November, beginnt um 12 Uhr.wk